Urs Tillmanns, 13. Mai 2012, 07:00 Uhr

Interview: Leica ist auf Kurs

Leica hat in Berlin eine ganze Reihe von Neuheiten vorgestellt (Fotointern.ch berichtete). Bei dieser Gelegenheit führte Fotointern.ch ein Exklusiv-Interview mit Dr. Andreas Kaufmann, Aufsichtsratsvorsitzender der Leica Camera AG und Stephan Schulz, dem Leiter des Professional Imaging-Bereichs, der auch für die Leica Mittelformatkamera S2 verantwortlich ist.

 

Fotointern.ch: Herr Dr. Kaufmann, Ihr Geschäftsjahr ist gerade zu Ende gegangen. Wie geht es Leica.

Dr. Andreas Kaufmann: Leica geht es gut. Wir haben das Vorjahresergebnis nochmals deutlich übertroffen. Dieses lag 2010 bei rund 250 Millionen Euro. Leider darf ich Ihnen unsere aktuellen Zahlen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bekanntgeben, aber gehen Sie davon aus, dass wir eine nächste grosse Zahl geknackt haben. Leica ist auf gutem Kurs und schreibt seit 2009 wieder schwarze Zahlen.

Dr. Andreas Kaufmann im Interview

Sie sind auf Expansionskurs: Der Spatenstich zum neuen Werk in Wetzlar ist erfolgt, und auch in Portugal ist der Neubau fast vollendet. Welches sind Ihre Zielsetzungen?

Die Platzverhältnisse in Solms werden allmählich prekär, und wir wollen im neuen «Leitz-Park» rund 650 Mitarbeitende der Verwaltung, Forschung, Entwicklung sowie Fertigung unter einem Dach unterbringen und an den ursprünglichen Standort der Leica zurückkehren. Ganz wichtig ist auch das Kundenservicecenter sowie der grösste Leica Store, die ebenfalls im Leitz-Park zu finden sein werden. Im Moment sind wir gut im Plan und gehen davon aus, dass wir den Leitz-Park im November 2013 beziehen können.

Das Werk in Famalicao ist praktisch fertiggestellt. Hier arbeiten ebenfalls rund 650 Mitarbeitende vor allem in der Baugruppenfertigung und in der Vormontage in drei Schichten. Auch die Planoptik-Fertigung [Prismen-Herstellung und ähnliches, Anm. d. Red.] für unsere Sportoptik ist hier angesiedelt. Portugal hat sich als Produktionsstandort seit Jahrzehnten bewährt. Die Leute sind sehr zuverlässig und fleissig und Portugal ist auch politisch sicher.

Und das Werk in Solms wird Ende 2013 geschlossen?

Das ist im Moment wieder zur Diskussion. Sicher werden wir es während dem sukzessiven Umzug noch brauchen, doch steht dann zur Frage, ob wir es weiterhin als Reserve- und Lagerfläche noch behalten werden. Auf Grund der unmittelbaren Nähe könnte sich dies mindestens über einen gewissen Zeitraum anbieten …

Leica geht weltweit zu einer neuen Vertriebsstruktur über: Weg von Stützpunkthändlerkonzept, hin zu Boutiques und eigenen Stores. Welches ist Ihre Vision?

Das Problem ist, dass die Stützpunkthändler immer weniger werden. Im Jahr 2004 waren es noch um die 6’000 Händler und wir schrieben einen Umsatz von 150 Millionen Euro, heute sind es noch etwa 800, und wir haben den Umsatz nahezu verdoppelt. Die Schweiz ist diesbezüglich eine Ausnahme, weil der Fotofachhandel im Vergleich zu anderen Ländern noch sehr viel stärker strukturiert ist. Aber in den meisten Ländern müssen wir eigene Wege gehen, um unsere aussergewöhnlichen Produkte dort anbieten zu können, wo unsere Kunden sind. Wir haben das etwas von Hermès gelernt, und haben in Tokio vor drei Jahren unseren ersten Leica-Store eröffnet, der sich sofort hervorragend entwickelte. Jetzt sind es bereits zwischen 60 und 80 Verkaufspunkte weltweit. Die Zahlen zeigen, dass sich das Konzept bewährt, denn wir treffen in den Leica Stores eine andere Gruppe von Interessenten, die gezielt eine Leica will und auf eine absolut kompetente Beratung Wert legt.

Ist der Verkauf über das Internet ein Thema?

Nein, zur Zeit nicht. Und vor allem nicht für unsere Artikel, zu denen der Kunde eine andere, emotionalere Beziehung hat als dies bei anderen Marken der Fall ist. Das Internet erscheint uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt für unsere Art von Produkten als Absatzkanal kaum geeignet. Wir konzentrieren uns im Moment ganz klar auf das das Boutique- und Store-Konzept mit unseren Leica Partnern und unseren eigenen Verkaufspunkten. Wie sich das längerfristig entwickeln wird wissen wir noch nicht ….

Zur Zeit ist vor allem im professionellen Spiegelreflex-Segment Video ein starker Trend. Wann dürfen die Leica-Profis mit einer Movie-Funktion rechnen?

Leider geben wir keinen Kommentar zu laufenden Projekten, aber Sie können sich vorstellen, dass wir uns mit dieser Nachfrage aus dem Markt beschäftigen. Video-Funktion und Live-View bedingen neue Sensoren und einen sehr grossen Entwicklungsaufwand im Bereich der Elektronik.

Dann werden Sie auch zu einer möglichen spiegellosen Systemkamera, die sich zwischen den Kompaktmodellen und der M-Reihe ansiedeln könnte, noch keinen Kommentar abgeben …

Richtig. Auch hier handelt es sich um ein mögliches Entwicklungsprojekt. Wir haben ja eine spiegellose Systemkamera, nämlich die Leica M. Brauchen wir eine zweite Linie? Wir haben jetzt gerade die X2 vorgestellt, mit dem Leica Elmarit 1:2,8/24 mm ASPH. Das ist ein fantastisches Objektiv, mit einer Brennweite, die für die meisten Fälle ideal ist. Zudem ist die Kamera klein und kompakt und hat einen 16 Megapixel-Sensor im APSC-Format. Hätten wir die X2 mit Wechselobjektiv herausgebracht, wären Gehäuse und Objektive wesentlich grösser geworden. Schon der Erfolg der X1 hatte bewiesen, dass es für eine derartige Kamera einen grossen Abnehmerkreis von Kunden gibt, die eine andersartige Kompaktkamera wollen, als das breite Marktangebot.

Dr. Andreas Kaufmann präsentiert die neue Leica M Monochrom

Sie haben heute die Leica M Monochrom vorgestellt. Wie schätzen Sie diesen Markt ein?

Die Leica M Monochrom ist ein ganz besonderes Produkt, das sich an Fotografen wendet, die gezielt Schwarzweissbilder in höchster Qualität machen wollen. Dadurch, dass jedes einzelne Pixel als Bildpunkt genutzt wird, ist die Auflösung bei der Leica M Monochrom um den Faktor zwei besser als bei Farbsenoren. Das entspricht schon fast der Auflösung einer Mittelformatkamera. Die Qualität ist mit nichts vergleichbar und ist deutlich besser als ein konvertiertes Farbbild.

Wie gross das Potential ist – da gehen die Meinungen auch intern auseinander. Liegt er bei 1:5, oder gar bei 1:4? Wir wissen es nicht. Sicher ist, dass Schwarzweiss ein unübersehbarer Trend ist – auch in der Werbung und Peoplefotografie. Man muss die Qualität erlebt haben, um den wirklichen Wert dieser Kamera richtig beurteilen zu können. Auch haben wir im Vorfeld verschiedenen Fotografen eine Leica M Monochrom zur Verfügung gestellt, und nicht nur sie waren von der Kamera begeistert, sondern auch wir von den Bildergebnissen.

 

Leica S2 – ein neues System etabliert sich

Fototintern.ch: Herr Schulz, vor vier Jahren wurde die Leica S2 erstmals öffentlich vorgestellt. Wie steht sie heute im Markt?

Stephan Schulz: Als ich 2007 zu Leica kam, war das S–Projekt gerade angelaufen. Dann, auf der Photokina 2008, konnten wir es erstmals der Öffentlichkeit vorstellen – als totale Überraschung übrigens, denn niemand hatte von Leica eine Mittelformat–Systemkamera mit Autofokus erwartet.

Bis ein solches völlig neuartiges System im Markt greift, und bis die Berufsfotografen neben den bekannten Marken in ein neues System Vertrauen fassen, geht es einige Jahre. Kommt hinzu, dass zwar die Kamera deutlich zeigte, in welche Richtung unser Konzept geht, doch standen zunächst zu wenige Objektive zur Verfügung, um die ganze Bandbreite der Auftragsfotografie abzudecken.

 

Stephan Schulz gibt uns Hintergrundinformationen zur Leica S2

Wie ist die Situation heute?

Die Situation hat sich deutlich verbessert. Das Wichtigste ist, dass die Kunden Vertrauen in das neue System gewonnen haben, und dass sich inzwischen auch die Liefersituation deutlich verbessert hat. Gerade heute konnten wir ankündigen, dass nun die Entwicklung von fünf weiteren Objektiven abgeschlossen ist, und dass diese ab Oktober sukzessive mit integriertem Zentralverschluss auf den Markt kommen werden. Dies sind sehr wichtige Brennweiten, wie die beiden Weitwinkelobjektive Leica Elmarit-S 1:2,8/30 mm ASPH und Leica Summarit-S 1:2,5/35 mm ASPH, dann das neue Standardobjektiv Leica Summarit-S 1:2,5/70 mm ASPH, das Tele-Makro-Objektiv Leica Apo-Macro-Summarit-S 1:2,5/120 mm für Nahaufnahmen und das Teleobjektiv Leica Apo-Tele-Elmar-S 1:3,5/180 mm. Die Entwicklung und Fertigung solcher Objektive dauert sehr lange, weil höchste Qualität verlangt wird. Die neuen S-Objektive sind auch über den gesamten Anwendungsbereich die besten, die Leica je gebaut hat.

Die Leica S-Objektive besitzen alle einen Zentralverschluss, neben dem Schlitzverschluss in der Kamera. Lohnt sich dieser Aufwand, wenn man bedenkt, dass der Zentralverschluss nur bei der Tageslichtaufhellung mit Blitz nützlich eingesetzt werden kann.

Das ist richtig, aber auch hier wollen wir keine Kompromisse eingehen, denn gerade in der Werbe- und Modefotografie sind solche Gegenlichtsituationen, bei denen man den Hintergrund dosierbar unscharf auflösen möchte, relativ häufig. Leica S-Fotografen haben diese Möglichkeit immer, und wir sind stolz, dass wir dieses Wunderwerk in dieser Perfektion entwickeln konnten.

Kleinod der Technik: Der Leica-Zentralverschluss in den S-Objektiven

Bauen sie den Zentralverschluss tatsächlich selbst? Es kämen doch noch andere Anbieter in Frage.

Das ist richtig, doch wollten wir die Qualität hundertprozentig selbst im Griff haben, deshalb haben wir den Zentralverschluss selbst entwickelt und produzieren ihn auch selbst. Einen Verschluss mit diesem Durchmesser zu konstruieren und herzustellen, der eine 1/1000 Sekunde als kürzeste Verschlusszeit leistet und 100’000 Auslösungen garantiert, ist eine technische Knacknuss, und nicht zuletzt lag es an diesem aufwändigen Teil, dass die Objektive zur S2 immer wieder verzögert wurden. Aber jetzt haben wir ihn, wie er besser nicht sein könnte.

Der Sensor kommt von Truesens, der einstigen Kodak-Abteilung. Wie gut ist die Datenqualität?

Die einstige Sensoren-Abteilung von Kodak wurde im letzten November von der Finanzierungsgesellschaft Platinum Equity aus dem Kodak-Konzern erworben und ist nun ein selbständiges Unternehmen. Die Qualität der Sensoren ist absolut makellos, und wir können den Fotografen damit eine hervorragende Datenqualität gewährleisten, die im DNG-Format direkt in den Photoshop-Workflow eingebunden werden kann. Das ist in der Praxis ein erheblicher Vorteil.

Die beiden Interviews führte Urs Tillmanns

Weitere Informationen über die Leica-Neuheiten finden Sie hier.

 

 

 

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