Urs Tillmanns, 8. Dezember 2012, 07:00 Uhr

Buchtipp: René Groebli «Das Auge der Liebe»

Restexemplare einer Rarität. «Das Auge der Liebe» von René Groebli nimmt als «Liebesgedicht an seine Frau Rita» eine ganz besondere Stellung unter den Bildbänden der 1950er-Jahre ein. Jetzt werden die autorsignierten Restexemplare des Reprints von 2002 im Offizin-Verlag angeboten.

 

Gewisse Dinge kommen im Leben zurück. Damals, an der Basler Gewerbeschule, war «Das Auge der Liebe» von René Groebli unter uns Fotografenlehrlingen ebenso ein Diskussionsthema wie Groeblis Fotoreportage «Magie der Schiene» über die Fahrt mit einer Dampflokomotive von Paris nach Basel. Während letztere sehr positiv beurteilt wurde, stiess «Das Auge der Liebe» auf wenig Anerkennung. Das ging nicht nur uns «Stiften» so, auch von kompetenteren Kritikern erhielt das Büchlein wenig Zuspruch. Man verstand damals die Fotografie von René Groebli einfach noch nicht … Ich hatte mir damals den kleinen Bildband mit meinem Stiftenlohn nicht leisten können – und jetzt findet es als Besprechungsexemplar den Weg zu mir.

Das «Auge der Liebe» entstand in einer für René Groebli bewegten Zeit. Noch waren ihm die grauenhaften Erlebnisse des Suezkrieges in bewegender Erinnerung, den er als Fotoreporter dokumentieren musste, als ihn ein Auftrag der Chemischen Industrie in Basel in eine völlig neue Auftragswelt entführte. Und dann sollte 1953 die verpasste Hochzeitsreise nachgeholt werden, in Paris und Südfrankreich. Rita schwebte eine Bildserie über die morbiden Hotelzimmer vor – teurere konnten sie sich nicht leisten. Doch René blickte durch den Sucher in eine andere Richtung und bannte seine Gefühle und Emotionen zu Rita auf den Film. Und so entstand eine Liebesgeschichte, ein «Liebesgedicht an seine Frau Rita», wie es die Kunsthistorikerin Birgit Filzmaier so treffend formulierte.

Das Ergebnis ist ein 40 Seiten umfassendes Bilderbuch im A4-Querformat mit 24 Fotos. Sie erzählen eine Geschichte, die sich in einer Nacht hätte zutragen können, die bewegt und zu eigenen Fantasien anregt – und genau das sollen sie auch: Assoziationen auslösen – Bilder, die eigene Gedanken lostreten …

«Das Auge der Liebe» war kein Erfolg – zumindest nicht in Europa. Wir hatten die Gedankenwelt und die Bilder von René Groebli damals noch nicht verstanden. Die Bilder waren ja nicht einmal scharf! Und sie entblössten Rita in einer Art und Weise, die von der Gesellschaft vor 60 Jahren nicht gebilligt wurde.

Anders in Amerika. Edward Steichen, 1953 Direktor des Museum of Modern Art (MoMa), erkannte deren Bedeutung und die Ausdrucksweise von René Groebli und kaufte die Bildreihe für seine Sammlung – abgesehen davon, dass sich das Büchlein im modernen Amerika auch deutlich besser verkaufte als im rückständigen Europa.

Seither sind 60 Jahre ins Land gezogen. René Groebli hatte es verstanden auch in der Auftragsfotografie eigene kreative Ideen durchzusetzen – Bilder, die aussergewöhnlich waren und eine neue Sprache der Farbfotografie einläuteten. Und doch hatte René Groebli Mühe, sich mit den Vorgaben der harten Geschäftswelt zurecht zu finden. Noch immer nagten die traumatischen Erlebnisse der Suezkrise an seinen Nerven. Groebli musste sich eine Aus-Zeit nehmen, sich Zeit nehmen, um zu sich selbst und zu einer neuen Kreativität zu finden. Und Rita hat ihn dabei immer begleitet … Das ist die undokumentierte Fortsetzung des Liebesgedichtes «Das Auge der Liebe» …

Wenn man sich mit dem Schaffen von René Groebli befasst und seine verschiedenen Schaffensperioden analysiert, dann fällt «Das Auge der Liebe» als eine aussergewöhnliche und hervorragende Arbeit auf. Es sind wahrscheinlich die schönsten Bilder, die René Groebli je realisiert hat – nicht nur die Bilder selbst, sondern die Geschichte, die uns René Groebli mit dem kleinen, unscheinbar wirkenden Bildband erzählen will.

Urs Tillmanns

Lesen Sie auch «DVD über René Groebli»

 

Die Restexemplare der Neuauflage von 2002 sind im Offizin-Verlag erhältlich und kostet CHF 96.00 (zzgl. Versandkosten CHF 8.90)

 

Die Fotografien «Das Auge der Liebe» sind noch bis am 16. Januar 2013 in der Berliner Galerie PINTER & MILCH, Augustusstrasse 49, DE-10139 Berlin  zu sehen.

 

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