Urs Tillmanns, 8. Mai 2015, 16:00 Uhr

Emil Schärer, Fotograf: «Giele, ehr müend met de Ouge schtäle …»

Es gibt immer wieder neue Dachboden-Geschichten. Das sind Wiederentdeckungen von Schätzen, die über Jahrzehnte vergessen vor sich her schlummern und dann plötzlich zu neuem Leben erweckt werden. So auch die alten Glasplatten des Fotografen und Coiffeurs Emil Schärer in Zofingen. Sein Enkel Peter Schärer aus Schwerzenbach kann dazu eine Geschichte erzählen.

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Mein Grossvater Emil Schärer, Fotograf in Zofingen

«Im Estrich an der Ringmauerstrasse 1 in Zofingen, dem Haus meiner Grosseltern und Eltern, wo ich aufgewachsen bin, kamen beim Räumen mehrere alte Kisten und Schachteln mit geheimnisvollem Inhalt zum Vorschein. Sie stammten von meinem Grossvater Emil Schärer (1859 – 1935), der als Telegrafist, Coiffeur und Fotograf weitherum bekannt war.

 

Emil_Schaerer Untere Hauptgasse 30 Zofingen
Das Geschäft von Emil Schärer an der Unteren Hauptgasse 30 in Zofingen. Wenn es zu wenig Bärte zu rasieren gab, schien hoffentlich die Sonne

Die randvollen Kisten enthielten Stempel, Pülverchen, Laboreinrichtungen, alte Kameras und eine Vielzahl mysteriöser Fotoplatten aus Glas. Von einigen machte mein Vater Kontaktabzüge, und ich, als interessierter Jüngling, half ihm dabei. Diese Arbeit weckte mein Interesse für die Fotografie. Mein Vater ahnte zwar, dass die alten Zeugnisse einen ideellen Wert haben könnten, doch ihre eigentliche künstlerische und dokumentarische Bedeutung war ihm erst später wirklich aufgegangen.

 

Emil Schaerer_A14 Bauernhaus Bühnenbergstrasse Vogt_750
Das Bauernhaus Vogt an der Bühnenbergstrasse. Die Landwirtschaft war damals eine endlose und mühsame Handarbeit

Wie sich zeigte, hatte mein Grossvater als Nebenverdienst Fotokarten von Zofingen produziert. Er scheint ein aufmerksamer Beobachter gewesen zu sein, soll er doch zu seinen Söhnen oft gesagt haben: ‚Giele, ehr müend met de Ouge schtäle …‘ [Burschen, ihr müsst mit den Augen stehlen]. Den Spruch hatte er von seinem Vater übernommen, also meinem Urgrossvater, der damit seine Kinder aufforderte genau hinzuschauen und das Aussergewöhnliche und Schöne, als Erinnerung gespeichert, mit nach Hause zu nehmen.

 

Emil Schaerer E 53 Umbau Felbert_750
War etwas los im Städtchen, musste der Fotograf her. Hier posieren die Bauarbeiter beim Umbau Felbert

In den Kisten fanden sich zudem Bücher, die uns verrieten, dass sich Emil Schärer auch mit Chemie, Fotochemie und Telegrafie beschäftigt hatte. Vermutlich wurde nach seinem Tod vieles davon weggeworfen und in der Kiesgrube entsorgt.

 

Emil SchaererHochseilartist Zirkus Knie_750
Und natürlich war die Seilakrobatik des Zikus Knie – ohne Netz, wohlgemerkt – jedes Jahr ein spektakuläres Motiv

Emil Schärer hatte Paris und Italien besucht, besonders eingehend Venedig. Seine Bilder zeigen mir, dass er ein gestalterisches Auge hatte. Beim Einscannen seiner Fotoplatten ist mir eine Welt aufgegangen – die Welt meiner Grosseltern. Die Beschäftigung mit dem Werk meines Grossvaters ist für mich ein Heimkommen nach Zofingen.»

 

Emil Schaerer Militär Familie 750
Soldaten und reiche Leute waren immer gern gesehene Kunden

Alle ausgestellten Bilder sind von den original Glasfotoplatten gescannt und leicht nachbearbeitet.

Peter Schärer

Nachlass und Rechte der historischen Bilder bei Peter Schärer, Schwerzenbach
www.fotokurse.ch, Tel. 044 945 32 77

 

Sonderveranstaltungen:

Matinee am Sonntag, 10. Mai 2015 um 11:00 Uhr
Forum am Mittwoch, 27. Mai 2015 um 20:00 Uhr

 

Von der Antike in die Neuzeit

Parallel dazu sind auch Arbeiten von Nici Jost, Anna-Sabina Zürrer und Nicolas Witsch zu sehen

Die Wirklichkeit von Bildmaterial wird von Nici Jost durch Übertreibung, Farbe und architektonische Verzerrung surreal und inexistent. Sie sucht Orte der Fotografien wieder auf und inszeniert sie aus dem heutigen Blickwinkel, wiederum fotografisch, neu wie ein Spiegelbild der Zeit.

Anna-Sabina Zürrer reduziert ortsspezifisch gefundenes Material auf seine Essenz und bringt es in neue Aggregatszustände. Indem sie eine Fotografie auflöst, beginnt sie die Erinnerung zu hinterfragen. Ihre Ausgangslage sind zwei Fotografien, welche die alte Gerberei Friderich zeigen.

Nicolas Witschi arbeitet mit Pigmenten, Harz und Fotografie. Inspiriert von Alltäglichem verfremdet er fotografisches Bildmaterial durch unterschiedlichen Umgang mit dem Druck. Seinen ausgewählten Sujets stellt er, mit selbst hergestellten Pigmenten eingefärbte Epoxydharzplatten zur Seite, die auf den Inhalt der Fotografien reagieren sollen.

 

Die Ausstellung ist noch bis 7. Juni 2015 im Kunsthaus Zofingen, General-Guisan-Strasse 12, CH-4800 Zofingen zu sehen.

 

 

 

 

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