Urs Tillmanns, 22. Oktober 2016, 09:00 Uhr

Buchtipp: Katja Snozzi «Jahrhundertmenschen»

Von Kaja Snozzi ist im Verlag Scheideger & Spiess ein Bildband besonderer Art herausgekommen, der hundert Hundertjährige in beeindruckenden Bildern zeigt. Es sind hundert Leben, die zu uns sprechen, die ihre Geschichte in einem Gesichtsausdruck, in einem Augenblick, erzählen. Dazu kommen fünf Texte, je einen in einer Landessprache, sowie das Vorwort von Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss.

 

Hundert Hundertjährige zu finden sei einfach, sagt Katja Snozzi. «Laut dem Statistischen Amt gibt über 1500 Hundertjährige in der Schweiz. Und das war 2014. Heute dürften es noch einige mehr sein …» Hundert Hundertjährige zu finden und diese zu porträtieren, hat sich Katja Snozzi während eines Jahres zur Aufgabe gemacht. Mit Hilfe von Altershilfeorganisationen sei sie an die Adressen gekommen und habe danach die ganze Schweiz bereist, um diese aufzusuchen. Mit im Gepäck: Kamera, Stativ und einen schwarzen Hintergrund – das war alles. «Deshalb ist auch das Licht immer anders, mal härter, mal weicher mal von links, mal von rechts – so, wie es die Situation halt ergeben hat.»

Vielen gäbe man die hundert Jahre gar nicht. Sie wirken jünger, aufgeschlossen, geistig präsent. «Das waren die meisten von ihnen auch» erzählt Katja. «Viele begannen spontan aus ihrem bewegten Leben zu erzählen, von Freude und Leid, von grossen Herausforderungen und Schicksalen. Man lachte, es gab Tränen – es waren bewegende Momente, die weit über das hinaus gingen, was man als Fotografin für seine Aufgabe hält.»

Das sieht man den Bildern auch an. Jedes Bild erzählt eine Geschichte. Die Geschichte eines Menschen, der in einem Centenium viel erlebt hat; politische Wirren, zwei Weltkriege, wirtschaftliche Tiefpunkte ebenso wie die Hochkonjunktur, private Sorgen, schwieriges Durchkommen ebenso wie Reichtum und Überfluss. All dies hat die Gesichter gezeichnet, die in Katjas Bilder zu uns sprechen, die nur mit ihrer Mimik viel von sich preisgeben. Die Fotografin hat es verstanden, just jene Momente der stärksten Aussage zu erfassen und damit die charakteristische Spontaneität dieser Menschen zum Ausdruck zu bringen.

Ruth Dreifuss, die ehemaligen Schweizer Bundespräsidentin, bringt es in ihrem Vorwort auf den Punkt: «Die von Katja Snozzi zum Ausdruck gebrachte Achtung vor dem Menschen jeden Alters, gleich welcher Herkunft, zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens, ist eine ethische Haltung. Es ist ihre Würde, die sie vermitteln möchte.» Die Bildstrecken sind noch mit vier weiteren tiefsinnigen Texten von Iso Camartin, Alex Capus, Alberto Nessi und Amélie Plume unterbrochen, jeweils einen in einer Landessprache. Schade, dass die Texte nicht in alle vier Sprachen übersetzt sind.

«Jahrhundertmenschen» ist ein eindrückliches Werk. Wir begegnen Menschen, die uns viel zu erzählen haben, die ein Jahrhundert Lebenserfahrung mit sich tragen und uns ihr ganzes Leben in einem Gesichtsausdruck, in einem Bild, erzählen. Es ist eine tiefgehende Porträtfotografie, die in dieser Konsequenz realisiert, bisher einmalig ist.

Urs Tillmanns

Anmerkung: Die Bilder werden ab 27. November 2016 im Museo Vincenzo Vela in Ligornetto (bei Mendrisio) ausgestellt.

 

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«Möchtest du hundert Jahre alt werden?» – «Wieso nicht? Die erste Hälfte hat mir gut gefallen. Wenn die zweite Hälfte nur halb so gut ist, nehme ich sie gern. Und du?» – Aus der Geschichte «Vier mal hundert Jahre» von Alex Capus

 

Buchbeschreibung des Verlages

Noch nie lebten in der Schweiz so viele Menschen, die über hundert Jahre alt sind. Doch nicht alle sind pflegebedürftig oder dement. Dass auch Hundertjährige ihre Lebensfreude und Selbständigkeit bewahrt sowie Interesse am Zeitgeschehen haben – die Bilder der Tessiner Fotografin Katja Snozzi beweisen es.

100 Hundertjährige und noch ältere Menschen aus allen Teilen der Schweiz hat Snozzi besucht und porträtiert. Die bei Tageslicht aufgenommenen Schwarz-Weiss-Bilder zeigen alle Facetten des Alters: Schönheit, Freude, Weisheit, Bitterkeit, Schmerz und Verzweiflung – das gelebte Leben.

Neben einer Einführung von Altbundesrätin Ruth Dreifuss begleiten Reflexionen von vier Schweizer Schriftstellern – Iso Camartin, Alex Capus, Alberto Nessi und Amélie Plume – die beeindruckenden Porträts.

 

 

Der Inhalt

Hundert mal hundert – Cent fois cent – Cento volte cento – Tschient giadas tschient (Ruth Dreifuss)

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Vier mal hundert Jahre (Alex Capus)

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De solides témoins (Amélie Plume)

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L’ultimo valzer (Albert Nessi)

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Vegls sco Methusalem (Iso Camartin)

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Die Autoren

katja-snozziKatja Snozzi wurde 1947 in Locarno geboren. Sie verbrachte ihre Kinder- und Jugendzeit in Eldoret (Kenia), Einsiedeln und Verscio, studierte Fotografie an der Kunstgewerbeschule in Zürich und bereiste von 1974 bis 1985 als freie Fotografin für Reise- und Politbildreportagen Syrien, den Libanon, Süditalien (Erdbeben), Grenada/Karibik (amerikanische Invasion), Irak und Island. Danach führte sie ihre eigene Agentur «Portfolio Productions», bereiste Kuwait, die USA, den Nahen Osten und war als Pressefotografin, u.a. als akkreditierte Bundeshaus-Fotografin, und nach 1996 als freie Fotografin tätig. Sie erfüllte Mandate für nationale und internationale Zeitungen und Zeitschriften sowie Hilfsorganisationen (IKRK, SRK, SOS-Kinderdorf) in allen Kontinenten. Ihre Werke sind in mehreren Buchpublikationen zu finden und wurden in vielen Ausstellungen gezeigt. Katja Snozzi lebt und arbeitet seit 2000 im Tessin. www.katjasnozzi.ch

Iso Camartin (*1944, Chur), Literaturwissenschaftler und Publizist. Professur für Romanistik an der ETH und der Universität Zürich (1985–1997). Zahlreiche Publikationen, u.a. Im Garten der Freundschaft (C.H. Beck, 2011), Jeder braucht seinen Süden (Suhrkamp, 2003).

Alex Capus (*1961), Schriftsteller. Studium der Geschichte, Philosophie und Ethnologie in Basel. Journalist und während vier Jahren Inlandredaktor bei der Schweizerischen Depeschenagentur in Bern. Seit dem Erfolg seines Debütromans Munzinger Pascha (1997) einer der meistgelesenen Autoren der Schweiz.

Ruth Dreifuss (*1943, St. Gallen), Politikerin und Altbundesrätin. Studium der Wirtschaftswissenschaften in Genf. Tätigkeit für die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA (vormals DEH). 1993 bis 2002 Bundesrätin.

Alberto Nessi (*1940, Mendrisio), Schriftsteller. Ausbildung zum Lehrer und Studium der Philosophie und Literaturwissenschaften in Freiburg. Publikation von Essays, Gedichten und Romanen. 2016 Auszeichnung mit dem Schweizer Grand Prix Literatur.

Amélie Plume (*1943, La-Chaux-de-Fonds), Schriftstellerin. Studium der Ethnologie in Neuenburg. Aufenthalte in Afrika, Israel und Amerika. Publikation mehrerer Romane, Theaterstücke und Hörspiele. 1994 Auszeichnung mit dem Prix Pittard de l’Andelyn.

 

Bibliografie

Katja Snozzi
Jahrhundertmenschen
Fotografien von Katja Snozzi. Mit Texten von Iso Camartin, Alex Capus, Alberto Nessi und Amélie Plume. Vorwort von Ruth Dreifuss
152 Seiten, 100 Schwarzweiss-Abbildungen
23 x 30 cm, gebunden
1. Auflage, 2016
Verlag: Scheidegger & Spiess, Zürich
ISBN 978-3-85881-518-7
Preis: CHF 69.00 / EUR 68.00

Das Buch kann hier online bestellt werden

 

 

 

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