«Der letzte Sommer» beschreibt das Leben auf einem idyllischen Campingplatz, dessen Tage gezählt sind. Die Fotografin und Storytellerin Micha Eicher hat das Campingleben des letzten Sommers mit ihrer Kamera eingefangen und die etwas wehmütige Stimmung der verunsicherten Stammgäste beschrieben.
Der Campingplatz von Merlischachen am Vierwaldstättersee ist einer der Kleineren in der Schweiz. 15 Touristenplätze, zehn feste Standplätze auf 5000 Quadratmeter Gesamtfläche sind seine Kenndaten. Und doch ist er einer der ältesten in unserem Land, wurde in den Nachkriegsjahren gegründet und ist seit dann, vor allem bei einer treuen Stammcamperschaft, sehr beliebt. Damals, an der alten Gotthard-Route gelegen, war der Ort ideal: Viele Ferienreisende aus Deutschland, Belgien oder Holland nutzen den Platz auf ihrer Durchreise zur Übernachtung, bevor sie sich an den grossen Pass wagten, der für viele Bergungewohnte eine grosse automobilistische Herausforderung darstellte. Einige blieben nicht nur eine Nacht, kamen immer wieder und wurden schliesslich zu alljährlichen Wiederkehrern. Der Merlischach-Bazillus hatte sich fleissig vererbt, und so kamen auch spätere Generation immer wieder zum beliebten Gelände mit Blick auf die Rigi zurück.
Und plötzlich drohte das Aus. Die grosse Parzelle weckte auch bei Immobilieninvestoren den Appetit, und so wurde schon 1964 ein Teil davon abgetrennt, um darauf ein Hotel zu errichten – das letztlich nie gebaut wurde. Vor drei Jahren folgte eine weitere Zerstückelung des Platzes, so dass letztlich nur noch ein Fünftel der ursprünglichen Fläche für Campingfreunde zur Verfügung blieb – «zu wenig, um einen vernünftigen Campingbetrieb aufrecht zu erhalten», so Platzwart Jürg Lustenberger
Die Botschaft, dass der Campingplatz Merlischachen dereinst dicht machen und der idyllische Fleck am Vierwaldstättersee anderweitig genutzt würde, war vor allem für jene Stammgäste und die Mieter der zehn Saisonplätze ein Schock, die hier seit Jahren regelmässig ihre freien Tage und Wochenenden verbrachten. Daraus erwuchsen Freundschaften. Man feierte zusammen, lachte und diskutierte, half sich gegenseitig, wenn Hand angelegt werden musste, traf sich am Grill bei einem kühlen Bier oder bei einem Glas köstlichen Weines. Und nun soll dies plötzlich alles vorbei sein?
Für Micha Eicher, Fotografin und Storytellerin, die von der gelegentlichen Mieterin zur Saisonanwesenden und schliesslich zur Mitorganisatorin auf den Platz aufstieg, war dies Motivation genug, um das gesellschaftliche Treiben mit der Kamera zu verfolgen und ihre Freundinnen und Freunde zu ihren Meinungen und Stimmungen zu befragen. Daraus ist jetzt ein Buch geworden – ein Buch, das nicht nur gut illustrierte Geschichten erzählt, sondern das auch als Mahnfinger für ähnliche Situationen andernorts gelten könnte.
Die Berufsfotografin, die hier meist ihre Freizeit verbrachte, hat nicht nur die vertraute Anlage dokumentiert, sondern vor allem die Stimmungen und sozialen Anlässe mit den letzten Campern festgehalten. Sie sind längst beste Freunde geworden, Regula und Martin, die aus dem Baselbiet in gerademal anderthalb Stunden da waren, Leonie und Jerke aus Holland, die seit 2017 jedes Jahr die zweimal 750 Kilometer mit ihrem Retro-Wohnwagen im Schlepptau zurücklegen, Helena und Ueli aus Horgen, die seit zehn Jahren immer wieder ihren Zeltklapper aufstellten, Christa und Bärbel aus Bayern, die neben ihrem Eriba-Wohnwagen auch den sechzigjährigen Heikel Tourist Roller mitnahmen oder Marlies und Heinz aus Kerns, Obwalden, mit ihrem Wohnmobil, die zwischendurch mal schnell etwas Vergessenes zuhause holen konnten. Sie alle wurden in den vielen Jahren gute Freunde, die nun «den letzten Sommer» feierten.
Ob der Campingplatz derzeit noch in Betrieb ist, geht auch aus der Telefonansage nicht schlüssig hervor. Er sei nur noch sporadisch geöffnet und vor allem für Stammgäste reserviert. Platzvermietung auf Zusehen hin also – bis eines Tages die Bagger auffahren und dem erinnerungsverbundenen Fleck am Vierwaldstättersee den Garaus machen. Was dann bleibt ist das Buch von Micha Eicher – mit vielen Impressionen und Stimmen, die darin beeindruckend verewigt sind.
Für wen ist dieses Buch? Es ist nicht nur für die Touristen und Stammgäste des Merlichacher Campingplatzes eine bleibende Erinnerung, sondern es soll auch die Campingkultur schlechthin beschreiben, wie diese vielerorts mit überraschenden sozialen Kontakten und bleibenden Freundschaften gepflegt wird. Und vielleicht verhilft es auch dazu, dass der Merlischacher Campingplatz erhalten bleibt, oder dass andere Plätze in ähnlicher Situation weiterhin bestehen bleiben.
Urs Tillmanns
Die Buchbeschreibung der Herausgeberinnen
Ein verschwindender Campingplatz am Vierwaldstättersee: Er ist ein Wohnzimmer, ein Begegnungsort und temporäres Zuhause für viele Menschen aus nah und fern. Nun wurde das Land in Merlischachen (SZ, Schweiz) verkauft und soll privatisiert werden. Was das mit den Menschen macht, wie sie ihren letzten Sommer auf dem Camping verbringen und was sie auf ihrem letzten Foto festhalten.
Der Platz in der Schweiz wird knapp. Dies spürt man auch an den Ufern der Schweizer Seen. «Seeufer sollen freigehalten und öffentlicher Zugang und Begehung erleichtert werden.» So steht es in den Planungsgrundsätzen des Raumplanungsgesetzes. Doch die Realität sieht anders aus. Grundstücke entlang der Seen werden weiter privatisiert. In der Zentralschweiz sind aktuell mehrere Campingplätze von einer Schliessung betroffen. Immer weniger Menschen haben direkten Zugang zum Wasser. Was passiert, wenn eine Gesellschaft verdrängt wird? Wenn ihr liebstes Zuhause verkauft wird? Wenn ein Ort bald nur noch Erinnerung ist? Wenn kollektiver Lebensraum verschwindet? Ein gesellschaftskritischer Blick auf das drohende Ende.
Der Inhalt
Inhaltsverzeichnis
«Vom Wildnis und Wohnwagen», Vorwort von Caroline Fink
«Die Wohnzimmer auf dem Campingplatz haben keine Wände. Auf einem, der demnächst verschwindet, erst recht nicht …» Einleitung von Micha Eicher
Das letzte Abendmahl
Wir können schon auch Party
Leichtigkeit des Seins
Nah am Universum
Nichts muss, alles kann
Mit Wohnwagen und S-Bahn
Wie zwölf Stunden fliegen
Das stirbt aus
Reiseerlebnis ums Eck
Hier spürst du die Menschen
In den Tag hineinleben
Die Gastgeber
Es hat eine gute Energie
Nochmal an den See
Was Geld macht: Macht!
Verkauft, verdrängt, vergessen?
Ein Stück Zeitgeschichte
War es das wert?
Reduktion auf das Wesentliche
Auf der Durchfahrt gestrandet
Unser Zuhause
Stilvoll campieren
Behutsam und sanft
Der reinste Jungbrunnen
Ohne Halligalli
Einmalig gelegen
Mit dem Fernglas entdeckt
Hier oder nirgends
Es braucht keine Koffer
Was bleibt?
Biografie, Impressum
Die Fotografin
Micha Eicher (*1977) ist Fotografin und Texterin aus Luzern. Ihr Studium mit Master of Arts in Publizistikwissenschaften, Kunstgeschichte und Germanistik und ihre Ausbildung zur Fotografin verwebt sie zu Geschichten in Bildern und Worten. Sie gründete die Text- und Fotoagentur «scharfsinn» im Jahr 2011, unterrichtet Public Relations am Kaufmännischen Bildungszentrum in Zug für Marketingfachleute und realisiert für Leica Camera Schweiz und für «scharfsinn» diverse Fotoworkshops. Im Jahr 2024 hat Micha Eicher mit einem Auszug von Fotos aus ihrem Buch den Swiss Photo Award im Bereich Reportagen und Storytelling gewonnen. Zudem wurde der Bildband 2025 für den Swiss Print Award nominiert.
Bibliografie
Micha Eicher: «Der letzte Sommer – im Mikrokosmos Campingplatz»
196 Seiten, 146 Abbildungen, Fadenheftung, Hardcover, Format 22,5 x 29 cm, Gewicht 1000g
Sprache: Deutsch
Anda Verlag, Zürich
Preis: CHF 68.00 / EUR 68,00
ISBN 978-3-9525843-6-1
Das Buch kann im Buchhandel erworben, direkt bei der Autorin (signiert) geordert oder beim Verlag bestellt werden.
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