Urs Tillmanns, 6. September 2025, 10:12 Uhr

Buchtipp: Die Bildwelt der Ansichtskarte Band 3: Die Schweiz und ihre Gletscher

In der Buchreihe «Die Bildwelt der Ansichtskarte» von Fritz Franz Vogel ist der dritte Band erschienen, der sich mit der Gletscherwelt unseres Landes vor rund 100 Jahren befasst. Das Buch dokumentiert den Wandel einerseits und überrascht anderseits mit eindrucksvollen und längst vergessenen Bildern.

Die Gletscher machen uns Sorgen. Nicht nur, weil sie als prachtvolle Fotomotive allmählich unattraktiver werden, sondern vor allem, weil sie langfristig den Wasserhaushalt Europas infrage stellen. In den letzten 25 Jahren, so schätzt man, sind rund 40 Prozent des Schweizer Gletschervolumen geschrumpft. Von den einstigen grossen Eismassen in unseren Bergen bleibt nur noch die Erinnerung auf frühen Fotografien. Und genau das ist das Faszinierende an diesem Buch.

In seiner Buchreihe «Die Bildwelt der Ansichtskarte» hat Fritz Franz Vogel den eben erschienenen dritten Band der Schweiz und ihre Gletscher gewidmet. Er zeigt uns darin einerseits die Bedeutung der Postkarte als visuelles Kommunikationsmittel der letzten 170 Jahre auf und geht anderseits auf die fotogeschichtlichen Aspekte seiner Dokumentation ein. Beispielsweise zeigt er die Popularität der Stereokarten auf, die ein räumliches Betrachten der Fotografien ermöglichten, lange bevor man Ansichtskarten mit der Post als Bild- und Textgruss aus der Ferne verschickte. Gerade die Gletscherlandschaften waren ideale Stereomotive, weil die Tiefenwirkung mit einem wirkungsvollen Vordergrund und den Eismassen mit furchterregenden Furchen und Spalten, die sich in der Unendlichkeit verloren, attraktive Ansichten ergaben. Die meisten dieser Doppelbilder sind im Buch übrigens in Originalgrösse wiedergegeben, so dass der räumliche Effekt mit einem Stereobetrachter leicht nacherlebt werden kann.

Die meisten Fotografien zeigen Menschen – meist als Grössenreferenz – in der damals üblichen Bekleidung. Man wundert sich nach heutigen Massstäben, mit welcher Ausrüstung damals zu Berg gegangen wurde: Die wenigen Damen, die damals sich damals auf die gebirgigen Expeditionen begaben – oder auf solche mitgenommen wurden – waren mit langen Röcken bekleidet, die leicht zur Stolperfalle werden konnten. Lange Stöcke, Pickel und Leitern (zum Überqueren der Gletscherspalten) waren wichtigere Utensilien als das Seil, denn wenn man schon abstürzen sollte, sollte man dies besser alleine tun …

Das Buch ist in zwölf Kapitel gegliedert, das damit den verschiedenen Arten von Ansichtskarten (und Fotografien) Rechnung trägt. Dabei besonders originell sind die Ansichtskarten mit den Berggesichtern, bei denen die Künstler ihrer Fantasie freien Lauf liessen und dem Rhonegletscher die Fratze eines urchigen Bergbauern applizierten oder dem Jungfraumassiv die Ansicht einer leicht bekleideten attraktiven Dame.

Das Kapitel «Alpengletscher» führt uns dramatisch vor Augen, wie sich die Gletscherwelt unserer Alpen in den 150 Jahren fotografischer Dokumentation verändert hat, mit den riesigen Eismassen eines Rhone-, eines Morteratsch- oder des Grindelwaldgletschers, die noch weit ins Tal mündeten und – das nur nebenbei – auch bedenkenlos industriell dazu genutzt wurden, um die Brauereien und Restaurants mit riesigen Eisblöcken mit der erwünschten Kühle zu versehen. Die Bilder sind eindrucksvoll und führen uns eine gefährlich-schöne Realität vor Augen, die im Kapitel «Schmelzprozesse» weiter dokumentiert wird.

Die spektakuläre Alpenkulisse hat von jeher die Touristen angezogen, die dann gerne ihre «Erlebnisse» mit fantasievoll übertrieben und ulkigen Postkarten an die Zuhausegeblieben sandten. Die Kapitel «Firneistouristen», «Eisarena» oder «Gletscherkraxeln» liefern unzählige Beispiel dazu, bevor sich das Buch zwei Pionieren der Postkartengeschichte und ihren Archiven zuwendet, den Fotografengebrüdern Wehrli mit erstmals gezeigten, gescannten Originalplatten, und der Dynastie Gabler in Interlaken, die vor allem in der Grindelwald-Region aktiv waren.

Neben einem reichhaltigen Fundus alpiner Fotografie von mehr als 500 Illustration sind auch die textlichen Einführungen und die Kapitelerläuterungen des Publizisten und Fotohistorikers Fritz Franz Vogel lesenswert. Sie vermitteln viel Wissenswertes zur Geschichte der Ansichtskarten und Fotografien und versetzen uns in eine Zeit zurück, als die Gletscher noch eindrucksvollere Motive waren als heute.

Für wen ist dieses Buch? Die wichtigste Zielgruppe dürften die Ansichtskartensammler und die fotohistorisch Interessierten sein, weil sie in diesem Buch einmalige Objekte und die Geschichten dazu vorfinden. Dann ist der Band aber auch für Freunde der Bergwelt ein willkommenes Geschenk, weil sie hier Gletscheransichten erleben, die heute so nicht mehr existieren – leider …

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlages

Die auf mehrere Bände angelegte Reihe zur Ästhetik der Post- und Ansichtskarte speist sich aus verschiedenen Privatsammlungen. Der dritte Band «Die Schweizer und ihre Gletscher» stellt das um 1900 relativ neue Medium in seinen verschiedenen Facetten ins Zentrum. Der alpine Raum war mit Gletscherflächen vor 150 Jahren weit stärker bedeckt wie heute. Auf den Ansichtskarten lässt sich dieser Schwund aufzeigen, vor allem wenn man, wie in dieser Publikation, auch die Stereofotografien, die sozusagen im Sinne der Aneignung der touristischen Topografie hier den Ansichtskarten vorgelagert sind, in die Betrachtung miteinbezieht. Die Stereokarten sind zudem oftmals in einer Grösse abgebildet, damit der topografische Raum mit einer handelsüblichen Brille stereoskopisch betrachtet werden kann. Mit rund 500 Bildbelegen aus vier Privatsammlungen werden die verschiedenen Aspekte ausgelotet: Tourismus, Gletscherkraxeln, künstlerische Thematisierung, Transfer von Bildern auf Glasplatten in die Ansichtskarte, Eisarenen und Eisgrotten etc.

Die vom Herausgeber und Fotohistoriker Fritz Franz Vogel auf jeder Doppelseite beigefügten Kommentare verweisen auf wichtige medienspezifische oder kulturelle Informationen, die in diesem vor 100 Jahren unglaublich innovativ gestalteten und produktiv gehandelten Massenmedium stecken. Die in dynamischer Grösse abgebildeten und immer wieder optisch anders aufbereiteten Karten sind vorbildlich gemäss einer vorgegebenen Nomenklatur beschriftet. Im Innern des Einbands verbirgt sich ein Katalog der verschiedenen Drucktechniken. Eine umfangreiche Bibliografie zur Ansichtskartenindustrie runden den Band ab.

Die Reihe «Die Bildwelt der Ansichtskarte – ein Kulturgut und seine Erzählformen» wird kontinuierlich fortgesetzt, sodass künftig mehrere relevante Sammelgebiete überzeugend dargestellt und kommentiert vorliegen werden.

 

Der Inhalt

Vorort zur Reihe

Einleitung zu «Die Schweiz und ihre Gletscher»

Der Gletscher ruft

Stereoskopischer Gletscherraum

Gletscherwesen

Alpengletscher

Schmelzprozesse

Firnschneetouristen

Eisarena

Gletscherkraxeln

Beispiel Gebrüder Wehrli

Beispiel Gabler, Interlaken

Eisgrotten

Glazioartisten

Bibliografie, Abkürzungen, Impressum

 

Autor und Herausgeber

Fritz Franz Vogel, geboren 1957 in Luzern, Schulen in Emmenbrücke und lmmensee. Studien an den Universitäten Fribourg (heilpäd. Diplom 1980) und Zürich (lic. phil. 1996 Volkskunde, Dr. phil. 2006/Kunstgeschichte), sowie an der Zürcher Hochschule der Künste (M.A. 2011 / ausstellen und vermitteln). Er arbeitet als Kulturwissenschaftler, Kunst- und Fotohistoriker, Herausgeber und Kurator seit 1992 produktiv, kooperativ und interdisziplinär in den Medien Text, Fotografie und Buch (Gestaltung, Druckvorstufe und Herausgeberschaft). Forschungen, Lehrtätigkeit, Publikationen und Ausstellungen in den Bereichen inszenierte und dokumentarische Fotografie, populäres und freies Theater, Bildwissenschaft und Kunstgeschichte, Exponatik und Visualistik, Alphabete, Körperbilder und Erotica. Er lebt und arbeitet in Diessenhofen, Schweiz.

 

Bibliografie

Fritz Franz Vogel: Die Bildwelt der Ansichtskarte – ein Kulturgut und seine Erzählformen
Band 3: Die Schweiz und ihre Gletscher

180 Seiten mit ca 500 Abbildungen, Fadenheftung, Softcover, Klappenbroschur, Format 240 x 320 mm, Gewicht 890g, September 2025
Texte und Gestaltung: Fritz Franz Vogel
Verlag ABCDEFGHIJKLMNOPQRSTUVWXYZ, Diessenhofen
Preis: CH 54.00 / EUR 54,00
ISBN 978-3-03858-420-9

Das Buch kann im Buchhandel geordert oder direkt beim Verlag per E-Mail bestellt werden.

Hinweis: Die drei bisher erschienenen Bücher im Bundle kosten nur CHF 140.00 / EUR 140,00 (zzgl. Versand)

 

Lesen Sie auch:
• «Buchtipp: Fritz Franz Vogel: «Die Bildwelt der Ansichtskarte», Band 1, Fotointern.ch
• «Buchtipp: Fritz Franz Vogel: Die Bildwelt der Ansichtskarte. Band 2: Fokus Fotografie», Fotointern.ch

 

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