David Meili, 9. November 2008, 09:34 Uhr

Kein Bild mehr von Jana, Illustrateure auf dünnem Eis und die verlorene Unschuld von Momo

Pressespiegel zum Wochenende vom 8./9. November 2008

Während sich ein Teil der Werbewirtschaft in Erwartung der neuen Markenstrategie der Migros wie das Kaninchen vor der Schlange verhält, lobbyieren andere im Hintergrund. Die Sortiments- und Stratgiebereinigung ist für die Werbefotografie in der Schweiz von grosser Bedeutung. Bei Werbeausgaben von 330 Mio. Franken pro Jahr allein im Bereich Detailhandel ist die Migros über Agenturen der grösste Auftraggeber.Doch wenn man das Migros-Magazin genauer unter die Lupe nimmt, stellt man fest, dass der Strategiewechsel bereits begonnen hat. So werden neu die verwirrenden Eigenmarken im Bereich Kosmetik auf den Brand „I am“ konzentriert. Nicht ungeschickt, da sich daraus „I am for Men“ und „I am for Woman“ ableiten lässt. Die Begleitmusik zum Spot wird vermutlich das lizenzgünstige „I am what I am“sein.

Als Konsequenz für Werber und Fotografen verschwinden die einzeln geflegten Marken Iduna, Jana, Flair Curl, Efina, Explonic, Men’s Care und Men’s Look. Allein diese Aufstellung zeigt, welche Sisyphusarbeit Detailhandelschef Oskar Sager angegangen hat. Übrigens wirbt die Migros für „I am“ vorerst mit einem gut bemuskelten Jüngling, der sich vor dem Spiegel rasiert, obwohl er ausser dem üppigen Haupthaar nichts mehr zu rasieren hätte.

Was macht man, wenn man keine brauchbaren Bilder für einen aktuellen Beitrag hat? Im Fall eines smarten (mutmasslichen) Betrügers und der reichen Erbin Susanne Klatten kann man nicht für jede Ausgabe des Blick die gleichen Porträts aus Passbildern und Geschäftsberichten aufblasen. Blick ist vielleicht nicht die „stärkste Zeitung der Schweiz“ (Eigenwerbung), doch die kreativste. Illustrateur Igor Kravarik hatte einen heiklen Auftrag. Er rekonstruierte die verfängliche Szene im Münchner Holiday Inn mit dem mutmasslichen Opfer in eindeutiger Pose und der obligaten Sektflasche auf dem Tisch.

Kravarik und seine Redaktion bewegen sich mit dem Bild juristisch auf dünnem Eis. Eine entsprechende Foto würde vermutlich eine Prozesslawine auslösen. Auch auf der Illustration sind die wesentlichen physischen Züge erkennbar nachgezeichnet. Vermutlich geht der Beitrag in der allgemeinen Verwirrung unter. Zum Glück musste Kravarik im doch sehr unromantischen Hotel nicht selbst übernachten. Die Muse hätte ihn dort kaum geküsst.

Auch der SonntagsBlick setzt je länger je mehr auf Illustrationen und Bildmontagen. In der aktuellen Ausgabe findet man keinen relevanten Beitrag, mit dem die Fotoreporter ihr Potenzial hätten ausspielen können. Sabine Wunderlin durfte in einem einzigen Porträt die Bundesratsgattin Roswitha Merz darstellen, die restlichen Bilder stammen aus dem Fundus der Agenturen.

Schechte Zeiten auch für Fotograf/innen auch beim Magazin zum SonntagsBlick. Der Schwerpunkt liegt bei den US-Wahlen, Lieferanten sind Keystone und Corbis. Immerhin konnte Nicolas Righetti die Schönste der Ex-Missen, Xenia Tchoumitcheva in Wellnessoasen begleiten. Der Beitrag verführt zum Kauf von Duftkerzen, Bürsten und einem Buch über „Wohlfühl-Tipps aus dem Kloster“. Sabine Wunderlin begleitet danach Sheikh Mohammed Y. El-Khereiji durch seine verschwiegene Genfer Residenz.

DAS MAGAZIN überzeugt mit Bildern von Helmut Wachter zu einer „Räubergeschichte“ von Sven Behrisch über einen Schweizer Bauern, der an seinem Lebenstraum in der Ukraine beinahe verzweifelt. Die Redaktion fand (endlich) den Mut, die starken, direkt wirkenden Aufnahmen randgeschnitten zu präsentieren. Der Textbeitrag vermittelt wenig relevante Information über das flächenmässig grösste Land in Europa. Denkbar, dass Helmut Wachter noch viel, viel mehr Bilder gemacht hat, die er uns auch zeigen könnte.

Gratis-Magazine können ebenso innovativ und ansprechend sein.  Coop macht es vor mit der Ausgabe 2 von verde, das den Absatz von Bio-Produkten begleitet. Dem Team um Jürg Peritz ist eine bemerkenswerte Ausgabe gelungen. Die Beiträge sind substantiell, leicht lesbar, die Bilder geschmackvoll, exklusiv aufgenommen, und das Layout ist sehr ansprechend. Höhepunkt ist der Beitrag über Kindermode von Elvira Borbély mit Aufnahmen von Taghi Naderzad. Hier hat Coop keinen Aufwand gescheut und die direkte Konkurrenz (sh. oben) auf Platz xy zurückgesetzt.

Fast gratis ist MAXIM, das gemäss unserer Lieblingsverkäuferin am Bahnhofkiosk von K. nicht bei den einschlägigen Publikationen, sondern bei der Monatspresse eingereiht wird. Tatsächlich überrascht MAXIM immer wieder durch innovative Bilder, und für die Branche durch „Primeurs“ der Produktewerbung. Klaus Andorfer, der in Zürich lebt, hat Radost Bokel in Szene gesetzt.

Radost Bokel? Die war vor zwanzig Jahren Momo im Märchenfilm und brachte den Menschen die Zeit zurück. Bokel spielt heute zumeist Nebenrollen in Fernsehserien des ZDF, doch mit 33 lässt sie sich auf MAXIM ein. Mindestens eine der Aufnahmen ist sehr gut gelungen, bei den andern weiss man nicht, ob man bereits in die Werbung für einen Unterwäschekatalog vorgeblättert hat. MAXIM belohnt die Käufer/innen mit einem unterhaltsamen Dezember-Heft und einem von Giovanni Cozzi aufgenommenen „Erotik-Kalender“, den vielleicht ein Schönheitschirurg im Wartezimmer in seiner Praxis aufhängen wird. Weshalb Cozzi als intellektueller und kreativer Fotograf von internationalem Rang uns dies antut, bleibt noch unverstanden.

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