David Meili, 23. November 2008, 09:23 Uhr

White Out, YouTube live und Pippilotti Rist

Pressepiegel zum Wochenende vom 22./23. November 2008
Dem SonntagsBlick ist aus einem tragischen Anlass eine Exklusivreportage mit perfektem Timing gelungen. Die Explosion bei einer Pfadiübung in Adlikon bei Winterthur erfolgte am Samstag um19.30 Uhr, worauf Blick gemäss Credits sein ganzes Reporterteam ab Dufourstrasse im Zürcherischen Weinland auffahren liess. Da vor Redaktionsschluss die Polizei noch nicht genauer informieren konnte und kaum Text zur Verfügung stand, hatte einer der Fotografen die Chance, wieder einmal auf Seiten 2/3 ein spektakuläres Bild zu publizieren.

Der längst angekündigte Schnee bleibt im östlichen Mittelland vorerst noch ein Medienereignis. Die Bildpresse hat sich unterschiedlich darauf vorbereitet. Am einfachstens macht es sich Newsnetz/Tages-Anzeiger mit einer Bildstrecke, die Leser/innen per Fotohandy auffüllen sollen und die zudem nach deutschem Muster durch Werbung unterbrochen wird. Das Konzept und die Bilder sind entsprechend billig, vergleichbar mit dem „Schnügel des Tages“ im Blick am Abend, der übrigens auch kostenlos als ePaper in einer Flash- und pfd-Version heruntergeladen werden kann.

Doch auf Newsnetz findet sich ein interessantes Bild zum Thema Schnee, das Keystone leider ohne Nachweis des Fotografen anlieferte. Für den Match gegen den FC Basel wird das Stadion in Thun vom Schnee von Hand geräumt. Die unteren 2/3 des Bildes sind ganz einfach weiss. Für das sanfte Redesign der Sonntags-Zeitung wurde angekündigt, mehr Weissraum zu lassen. Vielleicht ist das ein schüchterner Versuch des Fotografen, dem Trend zu folgen.

Bei TA-Media verspürt man ein Unbehagen gegenüber dem für den 29. November gross angekündigten Beitrag über Christoph Blocher mit den Aufnahmen von Michel Comte (wir berichteten darüber). Nachdem Blocher wie eine Diva im letzten Akt einer Verdi-Oper Presse und Medien Tag für Tag quält, kann man nicht voraussagen, wie die politische Wetterlage am kommenden Wochenende aussehen könnte. Intern haben die Herausgeber bis Dienstag noch Zeit, das Blatt im wahrsten Sinne des Wortes zu wenden oder eine ganz unerwartete kreative Lösung zu bringen. An der Causa Blocher können sie kaum mehr etwas bewirken. Die Sonntagspresse geht nicht einmal mehr in der Romandie und im Tessin auf Christoph Blocher ein.

Highlight in DAS MAGAZIN ist dieses Wochenende eine Fotoreportage über Ebikon von Raffael Waldner. Was irritiert: Wenn man im mässig interessanten Text weiterliest, sieht man sich nach den Fotos den ganzseitigen Inseraten einer Werbestrecke für den Peugeot 207 gegenüber und weiss zu später Stunde nicht mehr so recht, ob das Bild auch noch Teil der Reportage ist.

Die Überläufer zur Weltwoche feiern mit dem Traditionsblatt ihr 75jähriges Jubiläum. Die Ausgabe überrascht durch originelle und selbstkritische Beiträge und eine bemerkenswerte Bildredaktion unter Martin Berz und seinem Team. Nach mehreren Jahren Textwüste und Symbolbildern scheint man sich bei der Weltwoche an die alten Traditionen einer qualitativ hochwertigen Bebilderung wieder zu erinnern. Happy Birthday, Weltwoche, und wir freuen uns auf noch mehr Qualitätsfotografien.

Die ernsthafteste Konkurrenz für beide Wochenmagazine sind keine Print-, sondern Onlinemedien. Der Spiegel Online dürfte inzwischen für die deutsche Innenpolitik und Wirtschaft wesentlich bedeutender sein, als die Print-Version aus dem gleichen Verlag. Auch die Weltwoche versucht mit einem Redesign im Blog-Format verpasste Chancen aufzuholen. Internationale Channels wie YouTube haben einen Vorsprung im globalen Markt erreicht, der für die Online-Medien in der Deutschschweiz neue Herausforderungen bringt.

YouTube experimentiert an diesem Wochenende mit einem Live-Channel und macht erstmals interaktives, zeitunabhängiges Event-Fernsehen.  Beängstigend für die Medienindustrie: Jedermann wird demnächst auf die Live-Technologie zurückgreifen und kostenfrei sein eigenes Fernsehprogramm über YouTube in Echtzeit übermitteln können. Die nächste Generation von Handys mit YouTube Button für die Live-Aufnahme ist absehbar.

Eine weiterer Entwicklungsschritt erfolgt in Richtung Bildqualität. So hat sich die Verwertungsfirma von Monty Python über die unzähligen, amateurhaften Mitschnitte der Sketches auf YouTube geärgert und eine zukunftsweisende Lösung gefunden. Sie stellen selbst aufbearbeitete Sequenzen aus den Klassikern auf die Plattform und erschliessen die Qualitätsfilmchen über ein eigenes Portal.

Künstlerinnen wie Pippilotti Rist, um die es in der Schweiz ruhiger geworden ist, setzen schon seit längerer Zeit auf YouTube. Die Entstehung ihrer neusten Installation „Pour Your Body Out“ (man kann dabei denken was man will, gutes Englisch ist es nicht) im Museum of Modern Art, New York liess sie direkt auf YouTube dokumentieren. Wer als Fotograf/in im Bereich der Kunstreportage tätig ist, sollte diesen Trend nicht nur aufmerksam verfolgen, sondern selbst aktiv werden. Im globalen Kunstgeschehen befinden sich die Hochglanzzeitschriften gegenüber den Möglichkeiten von WEB 2.0 in der Defensive.

Das vermutlich auflagestärkste Magazin dieser Woche haben Sie vielleicht übersehen. Es heisst „Voilà„, lag diversen Tageszeitungen und Zeitschriften bei und fand sich auch in Briefkästen. Herausgeberin ist DIE POST, die in der Zwischenzeit (staatlich quersubventioniert) für den Fotofachhandel zu einer ernst zu nehmenden Konkurrentin geworden.

Wie zeigt man ein Warenangebot, das vom Fertigfoundue bis zu Briefmarken reicht in einem Katalog? Die Agentur GGK, Zürich hat auf einen alten Trick zurückgegriffen und vermittelt uns den Einblick in das Wochenende einer Familie (?) beim Adventsbesuch in Basel. Der Fotograf ist unbekannt.

Die Besetzung der Fotogeschichte ist unfreiwillig komisch. Auf dem Titelbild feiern sie bereits Weihnachten, und die elegante Dame mit der grauen Mèche könnte die Grossmutter sein. Auf Seite 8 tritt sie als Dame der Gesellschaft in der Fondation Beyeler auf, auf der gegenüberliegenden Seite geniesst sie mit dem männlichen Hauptdarsteller ein mit PhotoShop hinterlagertes Konzert. Den Mann trifft man wieder auf der Fähre, begleitet von einer wesentlich jüngeren Dame im Pelz (Russin?), die sich etwas Multifunktionales aus dem Elektroniksortiment des PostShop angeschafft hat. Nach Werbung für den Christbaumversand der POST stossen die späten Eltern oder jungen Grosseltern mit Prosecco an. „Viel Glück“, lautet der Titel zum Festtagsangebot, das auch die Autobahnvignette 2009 umfasst.

Das Gleiche wünschen wir Agentur und Fotograf für die Früjahrsnummer von „Voilà“, vielleicht dieses Mals aus Luzern?

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