Urs Tillmanns, 5. September 2010, 13:00 Uhr

«Images 2010» in Vevey: Haushohes Fotofestival

Die alle zwei Jahre stattfindende «Images» übertrifft alle Rekorde der grossen Fotofestivals, was die Grösse der Bilder und die Anzahl der Ausstellungen betrifft. Auch die Qualität der Fotografie hat Weltniveau, mit einer Vielfalt für alle Liebhaber und Geschmacksrichtungen. Die 50 (!) Ausstellungen sind noch bis am 26. September 2010 zu sehen.

Keine Frage, die Organisatoren der Images 2010 haben ganze Arbeit geleistet und Fotografen von Weltruf mit ihren besten Bildern nach Vevey gelockt. An 50 Orten in der «Fotostadt am Genfersee» sind Ausstellungen zu entdecken. Im Freien, in Galerien, in Museen und – das ist das Spektakuläre in Vevey – haushoch an Fassaden, da, wo man kaum Fotos erwartet und kaum ausmachen kann, ob das Bild Teil der Architektur ist oder zur Images 2010 gehört.

Vevey im Fotorausch

Schon wenn man aus dem Bahnhof kommt, ist das Riesenbild an der Fassade der Waadtländer Kantonalbank des chinesischen Fotografen Li Wei aus seiner Serie «Falls» nicht zu übersehen. Es zeigt einen Menschen im freien Fall, der von Helfern zurückgehalten wird. An Dramatik ist es kaum zu übertreffen, und die Frage, wie dieses Bild entstanden ist, ist wohl ebenso fehl am Platz wie die Überlegung, wie die Geschichte wohl enden wird. Das Bild ist ganz einfach ein grossartiges Kunstwerk, das Ikonen-verdächtig ist.

Der Bummel durch die Stadt wird bald zur Entdeckungsreise nach den versteckten Bildern, welche der französische Künstler JR in seinem Projekt «Unframed» arrangiert hat. In Zusammenarbeit mit dem Musée Elysée in Lausanne, hat er Klassiker bekanntester Fotografen ausgesucht, um diese in gigantischer Grösse auf 14 Fassaden der Stadt Vevey zu prästieren. Vevey zeigt damit die wohl grossformatigste Bilderschau der Welt …

Fotos bekannter Fotografen zieren die Fassaden Veveys (von oben links bis unten rechts): Helen Levitt, Man Ray, Sebastião Salgado, Robert Capa, Lucia Moholy und Nicolas Bouvier.

Nicht nur die Auswahl der Bilder und die Grösse der Präsentationen sind beachtlich, sondern auch die logistische und handwerkliche Leistung und wochenlange Arbeit des Images-Teams unter der künstlerischen Leitung von Stefano Stoll verdient höchste Anerkennung. Schade, dass die Bilder mit der Zeit weggewaschen und auf diese Weise wieder verschwinden werden …

Fotografie wo man schaut …

Die insgesamt 50 Ausstellungen der diesjährigen «Images» auch nur annähernd beschreiben zu wollen, führt zwangsläufig ins Uferlose. Ehrlich gesagt, haben wir auch nicht alle 50 besucht – dazu muss man sich mindestens zwei bis drei Tage Zeit nehmen. Aber es würde sich lohnen …

Der beste Überblick über das gesamte Ausstellungsangebot vermittelt das Künstlerverzeichnis auf der Webseite von Images 2010. Hier wird beim Anklicken des Namens ein Symbolbild mit der Biografie des Fotografen gezeigt. Die Orientierung in Vevey ist relativ einfach, weil  überall das Festival-Programm – ein Sonderdruck des «Le Matin» – ausliegt, der neben einem recht guten Überblick auch einen hilfreichen Plan enthält. Ferner sind an allen Veranstaltungsorten Plakate aufgestellt, die auf sehenswerte Ausstellungen hinweisen.

Abgesehen von dem Riesenbild am Bahnhofplatz sind im alten Marktgebäude «La Grenette» an der Grande Place noch mehr Bilder des chinesischen Künstlers Li Wei zu sehen, die mit weiteren ebenso unrealistischen wie fragwürdigen Szenen überraschen.

Gleich gegenüber auf der Grand Place in Richtung See präsentieren sich die Bildtafeln von Moira Ricci, eine italienische Fotografin, welche das Leben ihrer Mutter vom 20.12.53 bis 10.08.04 fotografisch dokumentiert hat. Nicht spektakulär, aber je mehr man sich mit dem Thema und den Bildern auseinandersetzt, desto eindrucksvoller wirkt die Bildreihe.

Weiter am Seeufer entlang, am Quai Perdonnet, stossen wir auf Bilder amerikanischer Kernexplosionen, die von 1945 bis 1962 – insgesamt 216 (!) – durchgeführt und als geheime Bilddokumente archiviert wurden. Der amerikanische Fotograf und Buchautor Michael Light hat sich mit diesen «100 Sonnen» auseinandergesetzt und präsentiert hier beeindruckende und furchterregende Dokumente.

Etwas versteckt in der pittoresken Altstadt – auf dem Platz Scanavin – finden wir die komplette Ausstellung «Stalingrad – Volgograd» von Maurice Schobinger, die vor wenigen Tagen noch in Zürich weilte. Sie zeigt beeindruckende Bilder der heutigen Stadt Volgograd und erinnert an die Zeitzeugin und Tagebuchautorin Serafima Fedorova Voronina, welche die Besetzung und Bombardierung Stalingrads handschriftlich festhielt. Schobinger will damit auf ein schreckliches Kriegsereignis aufmerksam machen, das wir nie vergessen dürfen.

Der Weg durch die Altstadt führt uns weiter an die Rue d‘Italie zur «Ex-EPA», einem früheren Warenhaus. Hier finden wir auch das Informationszentrum und den Buchshop der Images2010. Das Haus befindet sich zur Zeit im Umbau und bietet als Baustelle ein besonderes Umfeld für insgesamt 13 Fotoausstellungen und Präsentationen.

Besonders sehenswert ist die Reportage von G.M.B Akash, Gewinner des Grand prix international de photographie de Vevey, über die Kinderarbeit in Bangladesch. Er will mit seinen aufrüttelnden Bildern nicht nur anklagen, sondern auf die Komplexität des Überlebens in diesen ärmlichen Gesellschaftsschichten hinweisen. Weiter sehenswert ist die Bildreihe «Black out, New York 9 november 1965» von René Burri und die Reportage-Leica von Alberto Giuliani «Married to the Mob», welche den hoffnungslosen Kampf der kolumbianischen Polizei gegen die Gomorra dokumentiert. Die verschiedenen Videoinstallationen in den beiden Untergeschossen des Gebäudes muss man nicht unbedingt alle zu Ende sehen …

Gleich gegenüber des Ex-EPA neben dem Hotel des Trois Couronnes befindet sich eine unübersehbare Innenarchitekturaufnahme der in Basel lebenden Renate Buser. Perfekt geradegestellt und mit eindrucksvoller Tiefenwirkung gewährt das Bild mit dem Titel «Rue d’Italie 49» einen Einblick in das Interieur des benachbarten Luxushotels – in eine Welt, die viele der Passanten wohl nie in Realität wahrnehmen können.

Unweit davon liegt der Parc du Panorama, wo uns die inszenierten Bilder der Chinesen Li Yu und Liu Bo stoppen. Die beiden Künstler haben unrealistische Szenen in ihren Bildern zur Wirklichkeit werden lassen und vermitteln den Betrachtern perfekte und schockierende Illusionen.

An einer Seitenwand des Theaters fällt uns die Arbeit des französischen Fotografen Jean-Christian Bourcart auf. Er hat die gefährlichste Stadt Amerikas gesucht und stiess auf Camden in New Jersey, um hier eine Reportage über die Wohnverhältnisse dieser Leute zu realisieren.

Schon bald wieder bei der Grande Place machen wir einen kurzen Abstecher in die Galerie Clément wo subtile Akt und Frauenbilder von Eric Ceccarini ausgestellt sind. Der belgische Modefotograf zeigt die erotische Schönheit des weiblichen Körpers, die er bei natürlichem Licht auf grossformatigen Schwarzweiss Polaroid-Material fotografiert hat.

Zurück auf der Grande Place gelangen wir ins Kameramuseum, fotografischer Platzhirsch von Vevey, der jährlich über 15‘000 Besucher anlockt, welche an der Geschichte der Fotografie und der Kameratechnik interessiert sind. Just zur Image 2010 hat das Museum eine neue Ausstellung eröffnet, die sich mit «Tintypes» befasst – das sind Blechfotos, die von 1862 bis in das frühe 20. Jahrhundert sehr populär waren. Während bei uns diese Bildchen höchstens im Carte-de-visite-Format zu finden sind, waren sie in Amerika in allen Formaten bis nahezu A4 üblich. Durch einen Glücksfall und einen grosszügigen Förderer des Museums konnte dieses nun rund 70 einzigartige und grossformatige Ferrotypien erstehen, die in dieser Vielfalt und perfektem Erhaltungszustand wohl noch nie in Europa zu sehen waren.

Konservatorin Séverine Allimann (links im Bild) hat sich nicht nur mit der Restauration dieser seltenen Stücke befasst sondern auch herausgefunden, dass in Amerika in den 1860er Jahren eine Steuer auf Tintypes (und anderen Luxusgütern) erhoben wurde, um damit den Sezessionskrieg (1861 bis 1865) zu finanzieren. Das erklärt die Herkunft der Marken, die oft auf den Rückseiten amerikanischer Ferrotypien zu finden sind. Die Sammlung «Tintypes» im Kameramuseum ist sicher bis Ende Jahr zu sehen, während die übrigen Ausstellungen der Image 2010 am 26. September 2010 wieder von ihren Plätzen verschwinden.

Die «Images 2010» ist absolut sehenswert. Sie wird als einzigartiges mediales Ereignis in die Geschichte eingehen, und die Stadt Vevey und ihre Sponsoren haben ein grosses Kompliment für ihre Grosszügigkeit verdient, damit dieses Fotofestival in diesem wohl nicht so leicht zu übertreffenden Rahmen durchgeführt werden konnte.

Urs Tillmanns

Weitere Informationen finden Sie hier.

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Wettbewerbe der Images 2010

Anlässich von Images werden auch zwei Wettbewerbe durchgeführt, deren Gewinner gestern geehrt wurden:

Die Gewinner des 7. Vevey International Photo Awards
Christian Lutz (Schweiz) und G.M.B. Akash (Bangladesch), Alberto Giuloiani (Italien, Reportage-Leica), Bronek Kozka (Australien, Lumière-Bron) und Lucie & Simon (Frankreich, Projekt Nestlé)
Die Gewinner des 5. European First Film Awards
Clément Cogitore (Frankreich), Peter Vulchanov und Kristina Grozeva (Bulgarien), Azhur Saleem (Grossbritanien, Preis des Kantons Waadt)

(Bulgarien, Preis SRG SSR Idée Suisse),

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Situationsplan der Images 2010 in Vevey

des 5. European First Film Awards

Ein Kommentar zu “«Images 2010» in Vevey: Haushohes Fotofestival”

  1. Superschöne Reportage, Gratulation. Ich war am Wochenende in Vevey, das Cameramuseum ist unschlagbar und die Images 2010 eine Höchstleistung der stadt Vevey, ville d’images.

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