Urs Tillmanns, 27. Februar 2011, 07:00 Uhr

Weitwinklige Lichtriesen im Test

Zwei exotische Objektive mit Lichtstärke 1,4 und 24mm Brennweite stellen sich dem Praxistest: Das Leica Summilux-M 1,4/24mm asph. und das Nikon AF-S Nikkor 1,4/24mm G ED. Beide Objektive brillieren nicht nur voll geöffnet, sondern weisen im starken Weitwinkel-Segment beste Alltagsqualitäten auf – billig ist das Vergnügen allerdings nicht.

Lichtriese – der saloppe Begriff für Objektive mit grosser Lichtstärke lässt Leute an der Kamera träumen: Seltene (und selten teure) Linsensysteme verheissen ungewöhnliche Bilder, die sonst nicht möglich erscheinen. Ist das so? Im Zeitalter, wo enorm hohe Empfindlichkeiten die Grenzen der Availabe-light-photography weit ins bisher Unmögliche wuchteten, genügt für viele Szenen bereits Blende 2,8. Mehr Lichtstärke schaffen gute Zoom-Objektive ohnehin nicht – und diese kommen heute üblicherweise zum Einsatz. Wozu also Blende 1,4 und das erst noch bei 24mm Brennweite? Es ist das Potenzial zu einer aussergewöhnlichen Bildsprache, welche Schärfe und knappe Schärfentiefe virtuos und punktgenau einsetzt, dominante Sujets gewissermassen frei stellt, aber – dank der Weitwinkelperspektive – die Umgebung noch einbezieht. Das macht den Reiz der weitwinkligen Lichtriesen aus, früher und heute.

Leica M9 mit Summilux 1,4/24mm und Sucher und Nikon D3s mit AF-S Nikkor 1,4/24mm G ED

Die Schranke von 35mm Brennweite überwinden

Lange Zeit war mit Blende 1,4 bei 35mm Brennweite Schluss. Diese Schallgrenze durchbrach Canon 1979 mit dem legendären FD 1.4/24mm S.S.C. und seinen Nachfolgern. Das Objektiv besass bereits eine asphärische Frontlinse und optimierte im Nahbereich die Abbildungsleistung mit floating elements. 1993 brachte Nikon das Nikkor 1,4/28mm, ebenfalls mit asphärischer Linse, auf den Markt. Das bis 2005 gebaute rare Stück erzielt heute noch astronomische Preise, falls überhaupt je ein solches zu kaufen ist.

Neue Gläser, neue Produktionsmethoden bei asphärischen Linsen, neue Rechenmethoden und hoch präzise Fertigungstechniken in den Fokussiermechanismen – und, last but not least, die Bereitschaft der Nutzer, solche sehr teuren Konstruktionen auch zu kaufen – veranlassten Leica 2009, für das M-System zwei weitwinklige Summilux-Objektive mit Lichtstärke 1,4 auf den Markt zu bringen: Das grosse 1,4/21mm Summilux ist nach wie vor das einzige 1,4er in seiner Brennweitenklasse. Sein mitentwickelter Zwilling, das Summilux 1,4/24mm ist etwas kompakter. Ein Jahr später, 2010, zog Nikon nach und erweiterte das Sortiment seiner klassischen Vollformat-Objektive um AF-S Nikkor 1,4/24mm G ED.

Diese beiden aktuell modernsten, optisch völlig unterschiedlichen Konstruktionen treten im Praxistest gegeneinander an, das 1,4/24mm-Summilux an der Leica M9 und das 1,4/24mm Nikkor an der Nikon D3s bzw. D3x. Dieser Wettstreit dreht sich auch um die beiden grundlegenden Gerätekonzepte, hier das gewissermassen historische kompakte Messsucher-Prinzip und dort das heute dominante Autofokus-Spiegelreflex-System, das hochgradig automatisiert daherkommt. Letzteres hat seinen Preis in Volumen und Gewicht solcher Kameras. Gegenüber den bulligen Nikon D3 erscheint die Leica M9 geradezu klein und diskret, für manche ein entscheidender Vorteil.

An der Leica M8 verwandelt sich das Summilux übrigens infolge des Crop-Faktors des Sensors von 24 auf 32mm zur «klassischen» Reportagebrennweite und funktioniert ohne Zusatzsucher; analoges passiert, wenn man das Nikkor an DX-Gehäusen verwendet. Die kleineren Sensoren nutzen das Weitwinkelpotenzial der Objektive nicht aus, glänzen dafür mit exzellenter Abbildungsgüte der jeweils zentralen Bereiche der Optiken.

Leica Summilux-M 1,4/24mm asph.

Das Leica Summilux 1,4/24mm ist ein Zehnlinser, aufgebaut in acht Gruppen, mit einer asphärischen Oberfläche auf der zweithintersten Linse (blau), fünf verschiedenen Glassorten sowie einem floating-element (grün). Die Naheinstellgrenze beträgt 0,7m. Mit gut 75mm Länge inkl. Sonnenblende und rund 500 Gramm bringt es eine beachtliche Masse an das M-Gehäuse. Kein Wunder, dass der Tubus das Sucherfeld der Kamera unten rechts um fast einen Viertel – ziemlich störend – abdeckt, das Telemeter-Messfeld ist gerade noch gut sichtbar. Eine präzise Bildgestaltung benötigt den aufsteckbaren Spiegelsucher oder den Variosucher für die Brennweiten von 21, 24 und 28mm. Das Objektiv steht aktuell mit sagenhaften CHF 7’415.- auf Platz 2 in der Leica-Preisliste, der kleine Spiegelsucher kostet CHF 1’100.-, der Variosucher CHF 748.-. An der Leica M8 ist ein UV/IR-Filter empfohlen, Grösse Serie VII, gehalten von der Sonnenblende, Preis CHF 275.-.

Nikon AF-S Nikkor 1,4/24mm G ED

Das Nikkor 1,4/24mm G ED besteht aus 12 Linsen in 10 Gruppen, hat zwei asphärische Linsen (blau) sowie zwei ED-Linsen (gelb) mit spezieller Dispersion. Die Naheinstellgrenze beträgt 0,25 m. Das wuchtige Objektiv ist fast 90mm lang und 620 Gramm schwer. Es benötigt Filter der Grösse 77mm. Die Nanokristallvergütung soll Reflexionen besonders gut mildern, der Silent-Wave-Motor sorgt für lautloses und schnelles Fokussieren, in die Nähe bis 25cm. Der von Nikon empfohlene Preis liegt bei unrealistischen CHF 3’068.–, doch selbst autorisierte Fachhändler liefern es günstiger.

Testobjekt Brauerei Feldschlösschen, Ausschnitt hell markiert

Das Leicabild zeigt einen Tick mehr Schärfe und Klarheit im Vergleich zu den Nikon-Aufnahmen. ISO 160, f 5,6, in Adobe Raw mit identischen Werten ohne Modfikationen entwickelt

Unterwegs: Primadonna meets the Boss

Auf Reportage unterwegs mit zwei Hochkarätern: Hier die kleine zickige Primadonna M9, dort die mächtige Nikon D3x, mit 24 Megapixeln als «the Boss» beworben, jeweils mit ihren exklusiven 1,4/24mm-Objektiven – zwei Welten der Fotografie mit vergleichbaren Eckwerten, aber unterschiedlichen Konzepten. Die Bildgestaltung bei offener Blende fordert eine präzise Vorstellung über die Elemente, welche das Bild prägen sollen. Scharf freigestellt ziehen sie automatisch die Augen der Betrachter auf sich. Systembedingt lässt sich all dies auf der Mattscheibe der Nikon perfekt kontrollieren, auch der Verlauf in die Unschärfe. Das kann der Leica-Messsucher nicht, es bleibt also stets ein Quäntchen Unsicherheit – oder erwartungsvolle Spannung – wie die Aufnahme wohl daherkommt. Der mickrige M9-Monitor lässt dies einigermassen erahnen, mehr aber nicht. Dazu kommt ein weiteres Handicap: Volle Übersicht über die Bildgestaltung schafft nur der externe Aufstecksucher. Das heisst: man muss stets zwischen Kamerasucher mit dem Tele-meter und dem Zusatzsucher wechseln, ziemlich mühsam bei bewegten Szenen, wo das Nachführen der Distanzeinstellung nötig ist. Ganz anders die Nikon-Kombination: Das grosse perfekt überblickbare Sucherbild lässt nichts zu wünschen übrig; auch das AF-Messfeld lässt sich manuell – oder dynamisch – auf bildwichtige Elemente setzen, den Rest er-ledigt die Kamera.

Leica M9, Summilux 1,4/24mm, Blende 1,4. Diskret im Einsatz, aber gewöhnungsbedürftig mit den zwei Suchern

Nikon D3x, Nikkor 1,4/24mm, Blende 1,4. Die respekteinflössend mächtige Kamera ist flexibel, schnell und sicher

Wer diskret zu Werke gehen will, ist mit den kompakt gebauten M-Leicas gut bedient, wenngleich die motorisierten digitalen M9/M8 beim Auslösen einiges von der sprichwörtlichen Diskretion der analogen Leicas verloren haben. Kein Vergleich allerdings mit der Nikon D3 oder D3x: Diese Maschinen machen wirklich Krach – ein oft geäusserter Kritikpunkt, der indessen bei den Nikon-Ingenieuren Gehör fand: Die weiterentwickelte D3s ist wahrnehmbar leiser und erhielt überdies einen Q-Modus spendiert (=quiet), welcher prinzipiell dem diskreten Betrieb der M9 entspricht: Auslösung und Aufzug des Verschlusses erfolgen getrennt, aufgezogen wird erst, wenn man den Auslöser los lässt. Bis dann bleibt allerdings Spiegel oben und der Reflexsucher der Nikon schwarz.

Zürcher Bahnhofplatz mit Nikon D3s, Nikkor 1,4/24mm

Aufgeblendet voll nutzbar

Ein klarer Befund vorweg: Beide Objektive sind aufgeblendet voll nutzbar und liefern im Alltag ausgezeichnete Bilder – wenn die Schärfe exakt sitzt. Das klappt überraschend gut, denn im Vergleich etwa zu den hoch geöffneten Normalobjektiven der 50mm-Klasse ist die Schärfentiefe selbst bei Blende 1,4 gar nicht so kurz: Bei 2m Distanz beträgt sie immerhin gut 60cm. Um zwei Stufen abgeblendet erreichen Kontrast und Detailzeichnung exzellente Werte und zwar über das gesamte Bildfeld. Interessant sind die bildmässigen Unterschiede der beiden nahezu ebenbürtigen Objektive. Das Nikkor zeigt einen weichen Verlauf in die Unschärfe, das Summilux behält mehr Prägnanz in der Detailzeichnung. Was den Schärfeeindruck anbetrifft, verblüfft die Leica mit knackig-sauberer Abbildung, welche den Nikon-Dateien einen Tick überlegen erscheint. Alle Dateien wurden mit dem Adobe Camera Raw-Konverter v. 6.3 und identischen Grundeinstellungen «entwickelt», ohne irgendwelche Schärfung oder anderen Modifikationen.

Leica M9 mit Summilux 1,4/24mm, diskret im Einsatz

Nikon D3s mit Nikkor 1,4/24mm: Schärfe selektiv gesetzt, kräftige Weitwinkelperspektive

Bei beiden Objektiven treten bei starken Hell-Dunkel-Kontrasten und feinen Strukturen, z.B. bei Ästen und Laubwerk an Bäumen, an Bildrand und -ecken Rot/Cyan-Farbsäume auf. Sie sind beim Nikkor dezent (oder werden kameraintern bereits gut entfernt) und können im Raw-Konverter herausgerechnet werden. Etwas anders sieht es beim beim Summilux aus, dessen chromatische Aberrationen sich manchmal nicht restlos beseitigen lassen. Das ist denn auch der einzige Minuspunkt bei dieser sonst exzellenten Konstruktion.

Es macht wirklich uneingeschränkt Spass, auf Reportagen oder auf der Strasse zu fotografieren und seine Sujets mit grossen Blenden freizustellen. Dies sind die Domänen der beiden exklusiven, aber sehr alltagstauglichen Objektivkonstruktionen. Diskret mit der Leica, dynamisch und schnappschusssicher mit der Nikon D3s. Zudem gelingen mit dieser unglaublich lichtempfindlichen Kamera Bilder in nahezu unmöglichen Lichtsituationen.

Kompakte Alternativen

Wer nicht gleich zu den Sternen greifen kann oder mag, findet im Leica-Sortiment das moderne kompakte Elmar-M ASPH 1:3,8/24 mm, ein ausgezeichnetes Objektiv, das knapp die Hälfte des Summilux kostet. Das Elmarit-M 1:2,8/24 mm ASPH., lange das Standard-M-24er, wird seit kurzem nicht mehr produziert.

Bei Nikon ist das AF Nikkor 1:2.8/24mm D in dieser Version seit 1994 auf dem Markt, seine verschiedenen Vorläufer gehen zurück bis 1967, als erstmals ein Objektiv mit «floating elements» erschien. Der kompakte Weitwinkel – Filterdurchmesser 52mm – erfreute sich grosser Beliebtheit und ist mit um CHF 500.– sehr preiswert.

Henri Leuzinger

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Technische Daten
Leica
Summilux-M 1,4/24mm asph.
Nikon
AF-S Nikkor 1,4/24mm G ED
Lichtstärke 1:1,4 1:1,4
Brennweite 24,3 mm 24 mm
Bildwinkel, diagonal 84° 84° (APS 61°)
Linsen / Gruppen 10/8 12/10
Entfernungsbereich 0,7 m bis unendlich 0,25 m bis unendlich
Fokussierung manuell Autofokus (SMW)
Grösster Massstab 1:25 1:5,59
Kleines Objektfeld 914 x 609 mm k.A.
Filter Einlegefilter Serie VII Durchmesser 77 mm
Blenden 1,4 bis 16 in Halbstufen 1,4 bis 16
Abmessungen 58,5 x 61 mm 83 x 88,5 mm
Gewicht ca 500 g ca 620 g
Preis CHF 7’415.- CHF 3’068.–

Ein Kommentar zu “Weitwinklige Lichtriesen im Test”

  1. Der Trend ist eindeutig. Mit hoher Lichstärke wünscht man sich im ASP wie im Vollformat-Bereich kalkulierbare Schärfenebenen. Doch dies hat seinen Preis. Als Halb-Amateur hofft man auf erschwingliche Nachfolge-Produkte. Das Pflichtenheft ist unbestritten:
    – ab 24 mm (Kleinbild)
    – ab 2.0
    – leichter Zoombereich
    – wenig Gewicht
    – Kamera mit externem Blitz
    Wer schafft es?

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