Urs Tillmanns, 17. Februar 2013, 07:00 Uhr

«Grossvater, was ist ‚Kleinbild‘?»

Ob die Konsumenten von morgen wirklich noch etwas mit Formulierungen wie ‚entspricht 105 bis 300 mm bei 35 mm‘ anfangen können? Was ist denn 35 Millimeter gross, und warum heisst Kleinbild «Kleinbild»? Fragen, zu denen sich die Industrie früher oder später neue Antworten wird einfallen lassen müssen, weil eine Generation heranwächst, die mit diesen Begriffen nichts mehr anfangen kann.

 

Die Frage meines Enkels kam aus heiterem Himmel. «Kleinbild? Das ist ein Bildformat in der Fotografie» begann ich mit der Erklärung. Doch dann begann ich zu grübeln: Wie soll ich dem jungen Mann erklären, dass es das Format heute eigentlich gar nicht mehr gibt, und warum man diesem trotzdem immer noch so sagt? Und wie weit muss ich historisch ausholen, damit jemand, der in der digitalen Welt aufwächst und die analoge Fotografie nur von den Erzählungen seines Grossvaters her kennt, versteht, welche Bedeutung das Wort ‚Kleinbild‘ heute noch hat und wo es wirklich herkommt.

«Grossvater, was ist ‚Kleinbild‘?»

«Kleinbild …» so mein zweiter Anlauf, «Kleinbild geht in die Zeit zurück als man noch mit Filmen fotografierte …»

«Und wieso braucht man dann den Ausdruck heute noch?» unterbrach mich der Kleine. «Jetzt mal langsam, ich bin gerade dabei, Dir dies zu erklären. Früher, als man noch Filme zum Fotografieren brauchte, gab es Kameras mit unterschiedlichen Formaten …»

«Wieso?»

«Weil Kameras mit einem grösseren Filmformat bessere Bilder machten, die man stärker vergrössern kann. Eigentlich gab es drei verschiedene Negativformate: das Mittelformat mit 6 x 9 oder 6 x 6 cm Zentimeter Bildformat. Und dann eben den handlichen Kleinbildfilm für Negative im Format 24 x 36 Millimeter.»

«Wieso war das negativ …?»

«Wieso war das Bild früher negativ?»

Mit seiner schnellen Rückfrage wurde mir bewusst, wie sehr ich noch am Anfang meiner Erklärungen stand …

«Wenn man auf Film ein Bild belichtet und den Film nachher entwickelt, entsteht zuerst ein Negativ, von dem man danach beliebig viele Abzüge, machen kann. Diese nennt man dann Positive.» Mein Enkel nickte gutgläubig, obwohl er nicht so aussah, als hätte er die Rolle der Negative sowie dessen Bezeichnung wirklich verstanden.

«Und dann gab es auch noch Grossformatfilme, die bis 20 x 25 Zentimeter oder noch grösser sein konnten.»

«Die waren dann für die ganz scharfen Fotos» grinste der Bengel altklug.

«Genau» pflichtete ich ihm bei, und verkniff mir die Nachfrage, wie er dies genau meine …

«Und der Kleinbildfilm war 35 Millimeter breit und hatte beidseitig eine Perforation, damit er in der Kamera von einem Bild zum nächsten weiter transportiert werden konnte …» erklärte ich weiter.

«Wozu gab es einen Filmtransport?»

«35? … aber vorhin hast Du doch 36 gesagt» wollte mich der Junge korrigieren.

«Da hast Du nicht gut aufgepasst: 24 x 36 Millimeter gross war das Bildformat, aber der Film selbst war 35 Millimeter breit.»

Der Junior nickte gutgläubig.

«Und als Kleinbild bezeichnet man eben dieses Format von 24 x 36 Millimeter» so hoffte ich die Sache abschliessen zu können. Doch weit gefehlt

«Und Vollformat ist ein noch viel grösseres Format – deshalb heisst es so!» sagte mein Enkel folgerichtig.

«Nein, Vollformat ist gleich gross wie das Kleinbildformat» musste ich ihn korrigieren.

«Wieso bezeichnet man etwas als voll, wenn es in Wirklichkeit klein ist?» kam die scharfsinnige Gegenfrage. «Das verstehe ich nicht!»

«Ganz logisch ist es auch nicht, da hast Du schon recht» pflichtete ich ihm bei. «Das sind Begriffe, die sich über die Jahre halt so eingebürgert haben. Aber eigentlich sind sie veraltet und heute ziemlich verwirrend. Muss ich schon zugeben.»

«APS-C habe ich auch schon gehört. Was heisst denn das?» forderte mich der Junge weiter heraus.

«Das ist Englisch und heisst ‚Advanced Photo System‘, aber …»

«Was heisst denn Advanced …?»

«Advanced heisst ‚fortschrittlich‘, ‚weiterentwickelt‘ …»

«Das ist also noch besser als Kleinbild!» schoss der Kleine dazwischen.

«Nein, die Negative waren etwa viermal kleiner, denn sie gehen auf ein Bildformat zurück, mit dem die Fotoindustrie vor knapp zwei Jahrzehnten versuchte, der Fotografie mit entsprechend kleineren Apparaten neuen Schub zu geben. War ein Flopp, weil die Digitalfotografie schon in den Startblöcken stand und die zu kleinen Negative für gute Bilder nicht ausreichten.»

«Das meine ich nicht» erwiderte mein Enkel. «Ich meine Sensoren, die APS-C heissen …»

«Ja, der Ausdruck wurde vom früheren Filmformat übernommen, weil die Sensoren etwa gleich gross sind, wie das damals erfolglose Bildformat – und weil den Ingenieuren und den Werbeabteilungen gerade nichts Besseres einfiel» erklärte ich.

«Und diese APS-Sensoren taugen nichts, weil sie zu klein sind!» folgerte mein Gegenüber schlüssig. «Nein, ganz im Gegenteil. Sie sind unglaublich gut. Und daher sind die meisten Kameras der Mittelklasse mit Bildsensoren im APS-Format bestückt. Nur die ganz teuren Kameras haben grosse Vollformat-Sensoren» erklärte ich, in der Hoffnung, damit den Wissensdurst des Kleinen endgültig gestillt zu haben.

«Darf ich Dich noch was fragen?» holte mein Vis-a-vis zur nächsten Runde aus.

«Nur immer zu …»

«Wieso heisst es hier bei der Beschreibung dieses Objektivs ‚Brennweite 70 bis 200 mm entspricht 105 x 300 mm bei Kleinbild‘? Kann ich denn dieses Objektiv auch auf einer Deiner alten Kameras verwenden?»

«Theoretisch schon, aber so ein Objektiv ist für das APS-Format gerechnet und nicht fürs Kleinbild.»

«Also dann passen die neuen Objektive doch nicht auf die alten Kameras?» kam es folgerichtig zurück, und Benjamin trat damit eine neue Fragelawine los.

«Wieso passen nicht alle Objektive auf alle Kameras?»

«Teils passen sie, teils eben nicht. Auf jeden Fall darfst Du das nie alleine ausprobieren, weil sonst die schönen alten Kameras oder die teuren Objektive beschädigt werden könnten!» Mein Enkel nickte. Immerhin hatte er grossen Respekt vor meinen seltenen Apparaten in der Vitrine.

«Aber warum setzen sich denn die Kamerahersteller und die Objektivfabrikanten nicht alle an einen Tisch, damit alle Objektive auf alle Kameras passen würden?»

«Weil jeder seine eigenen Objektive und Kameras verkaufen will. Das ist wie Deine Lego- und Playmobil-Spielsachen. Die passen auch nicht so richtig zusammen.»

«Das stimmt …» grinste der Knirps zurück.

«Aber eigentlich wolltest Du ja wissen, was die Aussage ‚entspricht 105 bis 300 Millimeter bei Kleinbild‘ bedeutet.»

Er nickte.

«Also, pass auf. Die Brennweite des Objektivs bezieht sich immer auf das entsprechende Format …»

«Brennweite? Was brennt denn da?» kam es zurück.

«Dem sagt man halt so» blockte ich ab.

«Die Angaben für Kleinbildobjektive bezogen sich halt auf 24 x 36 Millimeter, und meisten Leute mit Fotoapparaten wussten, dass die Brennweite für ein Normalobjektiv bei Kleinbild 50 Millimeter, bei Mittelformat 80 und bei Grossformat 150 Millimeter betrug.

Mit dem Aufkommen der Digitalfotografie ist alles anders geworden, weil jetzt nicht nur die Brennweite des Objektivs variierte, sondern weil auch die Grösse der Sensoren in den Kameras verschieden gross sind. Deshalb nahm man das gute alte Kleinbildformat als Standardgrösse, weil sich die meisten Leute darunter noch etwas vorstellen konnten. Eigentlich geht es nur darum, eine Angabe für den effektiven Bildwinkel zu finden.»

«Weshalb nennt man dann nicht gleich den wirklichen Bildwinkel, sondern macht den komplizierten Umweg über das Kleinbild-Dingsbums, wo eh keiner durchblickt …»

Ich staunte ob die Kombinationsgabe meines Enkels, die er zweifelsohne von seinem Grossvater geerbt haben musste.

«Ja, klar» pflichtete ich ihm bei. «Schlauerweise sollte die Fotoindustrie einzig die effektiven Aufnahmewinkel der Objektive angeben, statt sie mit dem Kleinbild zu vergleichen. Das verwirrt nur.» Bereits die Generation meines Enkels weiss mit ‚Kleinbild‘ nichts mehr anzufangen, noch weniger mit den seltsamen 35 Millimetern, von denen bei modernen Objektiven für die Digitalfotografie immer noch die Rede ist!

«Grossvater…?»

«Ja, was denn?» Hartnäckig und gwundrig ist er schon, der Knirps. Eigentlich erfreulich, manchmal auch etwas anstrengend. «Habe ich etwas vergessen?»

«Ja! Was ist die Brennweite? Ist die gefährlich? …»

«Was ist die Brennweite? Ist die gefährlich? …»

Nun möchten Sie natürlich wissen, ob sich das Gespräch wirklich so zugetragen hat und wie alt denn mein Enkel ist. Nun, den Enkel gibt es wirklich – sogar zwei davon und eine Enkelin. Aber er ist noch viel zu klein, um sich mit Brennweite und Kleinbildbezug auseinander zu setzen. Aber seine Generation und die Späteren, werden dereinst die Formulierung ‚entspricht ?? mm bei 35 mm‘ garantiert nicht mehr verstehen. Deshalb drängt sich die Angabe des effektiven Bildwinkels anstelle der Brennweite schon heute auf.

Die Fotoindustrie sollte dringend über die Bücher gehen und ihre veralteten Fachausdrücke durch eine zeitgemässe und verständlichere Terminologie ersetzen.

Urs Tillmanns

Illustrationen: Johannes Borer

 

 

 

9 Kommentare zu “«Grossvater, was ist ‚Kleinbild‘?»”

  1. In einem meiner Jugend-Fotokurse als Frage einer teilnehmenden, jungen Dame gehört: „Herr Ciceri, mein Grossvater hat eine Kamera, in der drin ist ein schwarzes Band mit Löchern auf den Seiten. Was ist das?“ Soviel zum Thema Film 😉

  2. …amüsant, humorvoll, tolle Karikaturen…wie wahr…schön wenn man/frau sich vergangenen Zeiten mit einem Lächeln im Gesicht erinnern kann und dies für zukünfitige Zeiten behält…dies zeigt unser eigenes Format, unsere eigene Grösse, ansonsten alles einwenig eng und kleinbildlich ist…

    Hut ab vor dir Urs und Johannes, weiter so:)

  3. Kleinbild oder auch Leica-Format.

    Ein ganz wichtiger Begriff in der Fotografie. Jedoch spricht in Ihrem Artikel ein Blinder von der Farbe. Erstens wird neben digitalem Geknipse genausoviel anspruchsvolle Filmfotografie betrieben, zweitens ist gerade das „Kleinbild“ das ideale Umrechnungformat für Brennweiten etc, wer kennt schon die Winkelgrade seiner Objektive. Übrigens werfen Sie denn alle Landkarten in die Papiertonne, nur weil es mobile Navis gibt? Mancher verhungert jämmerlich wenn in seinem Daumenkino(oder Hirnprothese) die Batterie aussteigt

  4. In einem IT-Blog meinte kürzlich ein Kommentator, das Leica Camera Logo (der rote Punkt) sähe aus, als hätte Leica das Logo von Alice (einem DSL Provider im Norden Deutschlands) abgekupfert.

  5. Der Film stirbt aus und mir ihm auch das Wissen – früher oder später. Die heutige Generation wächst in einer Welt auf, in der der Film fast zur Gänze verschwunden ist. Es ist einerseits eine rein logische Entwicklung in der Evolution, andererseits ist es traurig, denn einst war die Fotografie ein richtig harter Handwerksberuf der auch Kenntnisse in der Chemie abverlangte. Heute ist er ein rein technischer Beruf, da der Fotograf heute anstelle in einer Dunkelkammer vor dem Flachbildschirm hockt und mit Photoshop das letzte aus den digitalen Erzeugnissen heraus zu kitzeln versucht. Heute nennt man den Entwicklungsprozess vom RAW zum JPEG „Digitale Dunkelkammer“ ein Begriff mit dem die heutige Jugend auch nichts an zu fangen weiss und sich darunter wahrscheinlich einen Nerd mit Hornbrille in einem abgedunkeltem Raum vor einem Bildschirm arbeitend vorstellt.

    Einerseits bin ich der digitalen Fotografie nicht böse, denn endlich habe ich auch wieder mehr Platz im Kühlschrank (Noch so ein Ritual mit dem die Jugend nichts mehr an zu fangen weiß) Und ich muss nicht mehr den Umweg über den chemischen Entwicklungsprozess und der Digitalisierung via Diascanner gehen um an das digitale Bild zu gelangen. Ich hab es direkt und kostengünstig auf dem Rechner. Und der Lernprozess ist wesentlich angenehmer, weil man den Fehler nicht erst nach einer Woche sondern sofort sehen kann.
    Andererseits erlaubt uns die digitale Fotografie genau aus diesem Grund unglaublich verschwenderisch vor zu gehen. Man muss keine 13 EUR für eine Filmrolle + 5 EUR Entwicklung und Rahmung bezahlen womit man 36 Bilder aus kommt. Man investiert rund 50 EUR und kann je nach Format und Auflösung einige Hundert oder Tausend Bilder anfertigen und was man nicht benötigt schmeisst man einfach weg ohne dass man es irgendwie bereut. Darüber hinaus vermisse ich schon noch ein wenig diesen Nervenkitzel mit 35mm Film zu hantieren und dieses prickelnde Gefühl von „lag ich mit der Belichtung richtig?“ welches einem jedes mal begleitet.

    Fakt ist: alles hat irgendwann mal ein Ende. Was vor Jahren noch Routine und der Standard war ist heute schon „oldscool“…

  6. Ich habe diesen Artikel sehr aufmerksam gelesen und ebenfalls die Kommentare dazu. Ich denke das Eine gäbe es ohne das Andere nicht. Es hat diese „Ablösung“ schon einmal gegeben als die Fotografie erfunden wurde. Ölfarben gibt es heute noch aber die Themen und die Art der Malerei haben sich sehr verändert seit der Zeit. Chemische Fotografie hat eine ganz eigene Glaubwürdigkeit! In der kommerziellen, massenorientierten Fotografie dürfe jegliche Art von Fachbegriff unnötig sein, wer interessiert sich bei einem Iphone denn noch für Brennweite oder Chipgrösse. Ich denke das die Inhalte dieser Diskussion ein Übergang sind und es keiner neuen Definition bedarf.

  7. Lieber Grossvater Tillmanns, noch komplizierter wird es, wenn man weiss, dass APS-C nicht ein Viertel Fläche einnimmt, sondern dies erst beim 4/3 -Format zutrifft. Was dieses Format nun ist, wird noch schwieriger zu erklären.
    Dann gibt es das Kleinbild-Format sogar heute noch. Auch elektronisch, nicht nur nostalgisch. Denn 24×36 mm (gerundet) entspricht der Fäche der modernen Vollformat- oder 35 mm-Bildwandler.
    Natürlich wissen Sie das auch, aber die Geschichte musste irgendwo ein Ende haben und ist gut geworden!
    Ich wäre auch ür die Angabe des Bildwinkels, aber horizontal und nicht diagonal. Darf dann auch etwas geflunkert werden, wie bei der Brennweite, wo ein 24er eher 25 mm und ein 200er kaum 190 mm Brennweite hat?

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