Urs Tillmanns, 15. April 2017, 10:00 Uhr

Buchtipp: Roger Wehrli – Bilbao, Fotografien seit 1988

Im Verlag Scheidegger & Spiess ist ein Bildband über Bilbao erschienen. Fotograf Roger Wehrli hat die baskische Hautstadt während zweieinhalb Jahrzehnten dokumentiert und erzählt in ausdrucksstarken Schwarzweissbildern, wie sich eine dreckige Industriestadt zu einem attraktiven Wirtschaftszentrum gewandelt hat. Dazu ein aufschlussreicher Text von Ibon Zubiaur, der in der Region Bilbaos aufgewachsen war.

 

Bilbao, Hauptstadt des Bakenlandes, gehört kaum zu den favorisierten Touristendestinationen der iberischen Halbinsel. Der ungewöhnliche Name der Stadt macht neugierig und hat auch Roger Wehrli kurz nach seiner Fotografenausbildung gelockt. Mit bescheidenen finanziellen Mitteln eine Stadt zu entdecken und diese zum fotografischen Thema zu machen, war für ihn die Motivation 1988 erstmals nach Bilbao zu fahren – ausgerüstet mit einer alten Nikon und ein paar Schwarzweissfilmen.

Bilbao hat dem jungen Fotografen einen Schock versetzt. «Noch nie zuvor hatte ich etwas Derartiges gesehen» erzählt Roger Wehrli in seiner Einleitung. «Die rauchenden und Feuer speienden Kamine der Hochöfen, die in der öligen Kloake der Ria vor sich hin rostenden Frachtschiffe, dicht an dicht stehende heruntergekommene, russgeschwärzte Mietskasernen, die zu meinem Entsetzen noch bewohnt waren: Was ich hier zu Gesicht bekam, hatte mit meiner putzigen Heimat so gar nichts gemein.»

Diese Stadt zu dokumentieren, zu zeigen, wie sich eine wichtige Industriestadt in Wahrheit präsentierte, machte Roger Wehrli für die nächsten Jahre zu seinem fotografischen Thema. Er ist immer wieder hingefahren und hat laufend erfahren und dokumentiert, wie sich Bilbao von einer dreckigen Eisenerzmetropole zu einer schmucken Weltstadt wandelte, die von einer langsam aufblühenden Kultur, die mit dem Bau des Guggenheim-Museums, den Wehrli 1997 ebenfalls fotografieren durfte, geprägt wurde. Begleitet war dieser Wandel von einem enormen gesellschaftlichen Umbruch mit politischen Wirren und Demonstrationen verzweifelter Arbeiten, deren Arbeitsplätze mit der Preis für diese Entwicklung waren. Roger Wehrli denkt mit Wehmut und Bewunderung an diese Wandlung zurück. Wehmut, weil die damaligen typischen rauchgeschwängerten Lokale noblen Bar Platz gemacht haben, Bewunderung, weil sich eine unattraktive Industriestadt in so kurzer Zeit zu einem beliebten Touristenziel entwickelt hat.

Roger Wehrli hat diesen Wandel während einem Vierteljahrhundert dokumentiert und damit eine geradezu exemplarische Fotoreportage geschaffen. Er hat es verstanden die wichtigsten Punkte der Stadt zu allen Zeitepochen zu fotografieren, die Stadtlandschaften ebenso wie deren Architektur, deren Zentren sowie deren Bewohner in einem Feld sozialer Spannungen und politischer Wirren.

Roger Wehrli ist bei dieser Themenarbeit seinem Stil treu geblieben und hat mit einer gepflegten und aussagestarken Schwarzweissfotografie ein Städteporträt geschaffen, das gerade für junge Fotografen einen starken Vorbildcharakter haben dürfte. Er hat es verstanden, sich immer auf das Wesentliche zu konzentrieren und im Buch eine Bildabfolge zu zeigen, welche den Wandel dieser aussergewöhnlichen Stadt als lückenlose Geschichte erzählt.

Das Buch hat noch eine andere, wichtige Komponente: Ibon Zubiaur, in der Nähe von Bilbao aufgewachsen, hat dazu einen interessanten Text verfasst, der beschreibt, wie er diesen Wandel erlebt hat und gibt viele Information zum politischen und sozialen Umbruch der Stadt aus erster Hand weiter. Wenn man sich auch nur ansatzweise für die baskische Geschichte interessiert und mehr wissen will als uns aus den damaligen hiesigen Medien bekannt ist, so ist dieser Textteil im Buch eine wichtige Informationsquelle.

Urs Tillmanns

 

Beschreibung des Verlages

Bilbao, die baskische Metropole, galt in den 1980er-Jahren noch als die wohl schmutzigste Stadt Spaniens. 1993 begann eine radikale Neuorientierung weg von der Industrie- und hin zur Dienstleistungs- und Kulturstadt. Architekten von Weltruf wie Santiago Calatrava, Norman Foster oder Frank O. Gehry wurden beauftragt, ikonische Bauwerke zu schaffen. Besonders Gehrys Guggenheim-Museum war als Aushängeschild des modernen Bilbao gedacht. Und tatsächlich gelang es, die Stadt zu einem neuen kulturellen Zentrum Spaniens aufblühen zu lassen – Bilbao hat die Chance seiner Krise genutzt. Die industrielle Vergangenheit ist jedoch nach wie vor sicht- und spürbar und verleiht dem Ort seinen eigentümlichen Charme.

Der Schweizer Fotograf Roger Wehrli hat zwischen 1988 und 2014 den Wandel und die Neuerfindung Bilbaos in einem Langzeitprojekt fotografisch dokumentiert. Seine Schwarz-Weiss-Bilder erzählen diese spannende und besondere Geschichte, die als Beispiel für viele andere Industriestädte Europas gelten kann.

 

Aus dem Inhalt

 

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Die Autoren

Roger Wehrli (*1965), lebt und arbeitet als freischaffender Fotograf im schweizerischen Baden. Sein Arbeitsschwerpunkt sind Reportagen und Dokumentationen sowie Porträts. Seine Fotografien erscheinen in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften, u.a. in Neue Zürcher Zeitung, Sonntagszeitung, Der Bund, Die Weltwoche, Chrismon.

 

Ibon Zubiaur (*1971, Getxo bei Bilbao), lebt als Autor und Übersetzer in Berlin. 2008–2013 war er Leiter des Instituto Cervantes in München. Er übersetzte zahlreiche klassische und neuere deutsche Autoren ins Spanische. 2015 erschien sein Buch Wie man Baske wird. Über die Erfindung einer exotischen Nation.

 

 

Bibliografie

Roger Wehrli: Bilbao – Fotografien seit 1988
Vom Industriemoloch zur Kulturhauptstadt – die Geschichte eines urbanen Wandels

Fotografien von Roger Wehrli. Texte von Roger Wehrli und Ibon Zubiaur
160 Seiten, 95 Duplex-Abbildungen
Format 17 x 24 cm, Hardcover, gebunden
Text Deutsch und Englisch
1. Auflage, 2017
Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich
ISBN 978-3-85881-535-4
CHF 39.00 | EUR 38.00

Das Buch kann hier online bestellt werden

 

 

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