Urs Tillmanns, 14. April 2019, 11:11 Uhr

Laowa 4.5-5.6/10-18mm: Einfach alles drauf …

Nachdem wir in der letzten Top Story die beiden extremen Weitwinkelzooms Fujinon 4,5-5,6/10-18mm und 2,8/8-16mm vorgestellt hatten, geht es jetzt noch extremer: Das auf der Photokina vorgestellte «Laowa 4,5-5,6/10-18mm FE C-Dreamer», wie das Objektiv mit voller Bezeichnung heisst, (Fotointern berichtete) ist jetzt lieferbar. Es ist das derzeit extremste verzeichnungsfreie Zoom für Vollformat, das es leider (bislang) nur mit Sony E-Anschluss gibt.

Hersteller ist die chinesische Venus Optics, eine Optikfirma, die 2013 gegründet wurde und sich auf aussergewöhnliche und erschwingliche Fotooptiken spezialisiert hat. Das Team besteht aus Spezialisten, die – laut Webseite – mehr als 20 Jahre Erfahrungen bei japanischen und deutschen Firmen gesammelt hatten.

Weitwinkel-Fans werden sich auf dieses Zoom zu Recht gefreut haben: Es bietet mit diesem enormen Bildwinkelbereich von (diagonal) 130° bis 102° spannende gestalterische Möglichkeiten, die allerdings mit Vorsicht zu geniessen sind: Für gewisse Motive sind sie auf Grund ihrer extremen perspektivischen Verzerrungen völlig ungeeignet, Porträts zum Beispiel oder Motive, bei denen die winkelkorrekte Wiedergabe von Bedeutung ist. Bei anderen Motiven, vor allem für Landschaften, Städtebilder und für Innen- und Aussenarchitekturen, bietet das Objektiv ungeahnte dokumentarische und gestalterische Möglichkeiten.

Man muss sich etwas daran gewöhnen, dass jede Veränderung des Aufnahmewinkels einen starken Einfluss auf die Bildlinien hat. Dabei ist die Grenze von Wahrheit und Übertreibung fliessend. Aber gerade diese Interpretationsfreiheit macht den Reiz der extremen Weitwinkelfotografie aus.

 

Unser Eindruck

Das Objektiv ist relativ kompakt gebaut, was in erster Linie auf die relativ geringe Lichtstärke zurückzuführen ist. Würde das Objektiv in seiner kürzesten Brennweite auf 1:2,8 öffnen, wäre es erheblich grösser, schwerer und natürlich auch teurer. Mit der vernünftigen Anfangsöffnung 1:4,5 bis 5,6 ist es kompakt (70 mm Durchmesser und 86 mm Länge) und leicht (499 Gramm) und für 998 Schweizerfranken auch einigermassen erschwinglich geblieben.

Nimmt man es zur Hand, macht es einen ausgesprochen wertigen Eindruck und überzeugt durch eine robuste Metallkonstruktion. Die drei Drehringe für die Entfernungseinstellung, die Brennweite und die Blende bewegen sich etwas gehemmt, was in der Praxis ein Vorteil ist, damit sie weniger versehentlich verstellt werden. Die rote Gravur der Blendenzahl [5,6] rechts auf der Blendenskala ist etwas verwirrend. Sie ist nicht einstellbar, sondern sie will daran erinnern, dass die Anfangsöffnung bei Brennweite 18mm 1:5,6 beträgt, also eine knappe Blendenstufe weniger als bei 10mm.

Übersichtliche Skalen. Seitlich am Objektiv ist ein Schalter mit der Klick-Funktion, mit dem die Blendenrastung ausgeschaltet werden kann, was besonders die Videofreunde freuen wird.

 

Im Kameraanschluss kann ein Filter mit 37mm Durchmesser eingeschraubt werden, zum Beispiel ein ND-Filter zur Lichtreduktion. Von Hause aus ist hier ein Planglas anstelle des Filters vorhanden, das Teil der optischen Berechnung ist und nicht entfernt werden sollte.

 

Vorne am Objektiv ist die Gegenlichtblende fest montiert. Das extreme Objektiv braucht diese; zudem ist sie ein guter Schutz für die stark gewölbte Frontlinse. Diese soll übrigens mit einer extrem resistenten «Frog-Eye»-Vergütung versehen sein und einen zusätzlichen Schutz gegen Verschmutzung bieten.

Das Objektiv ist nur mit Sony E-Bajonett verfügbar. Doch, wer weiss, vielleicht kommt es dereinst auch mit Nikon Z- oder Canon EOS-R-Anschluss auf den Markt, falls sich diese neuen Systeme gut etablieren. Aber im Moment bleibt dies noch ein persönlicher Wunschtraum …

Wichtig zu wissen, dass es sich bei dem Laowa 10-18mm um ein rein mechanisches Objektiv handelt. Kein Autofokus, keine kameraseitige Blendeneinstellung, keine Datenübertragung und auch keine diesbezüglichen Exif-Daten. Das mag für viele etwas gewöhnungsbedürftig sein, doch verzeiht in vielen Fällen die enorme Schärfetiefe dieses Brennweitenbereiches in vielen Fällen auch ein nicht ganz korrekte manuelle Entfernungseinstellung.

 

Das Objektiv in der Praxis

Schaut man das erste Mal durch den Sucher der Sony a7 III mit dem angesetzten Laowa 10-18mm, bleibt ein Wow-Effekt kaum aus. Es ist einfach alles auf dem Bild! Seitlich etwas verzerrt, das ist typisch Extremweitwinkel, aber man hat einen Objektraum auf dem Bild, der die menschliche Sehwahrnehmung weit übertrifft.

Die Bildwirkung der verschieden Brennweiten ist beeindruckend. Zum Vergleich der einstellbaren Brennweiten zeigt die rote Umrandung das Bildfeld einer 50mm «Normalbrennweite».

Das Objektiv weist eine gute Allgemeinschärfe auf, jedoch sind in den Randzonen ausser dem natürlichen Helligkeitsabfall und der Verzerrung auch leichte Farbsäume (chromatische Aberration) zu erkennen.

Um mit 130° bis 102° Bildwinkel noch einigermassen vernünftige Aufnahmen zu machen, gibt es einiges zu bedenken. Die geringste Kameraneigung hat unter Umständen extreme Verzerrungen zur Folge, die zwar ulkig aussehen mögen, doch hat man sich an diesem Effekt sehr schnell sattgesehen. Es steht ja auch nirgends geschrieben, dass man immer nur mit der extremsten 10mm Brennweite fotografieren muss, denn mit 16 oder 18mm ist dieser Effekt schon wesentlich entschärft.

Der Thiergarten in Schaffhausen ist eines meiner beliebten Testmotive, um Brennweitenunterschiede zu zeigen, zuletzt auch in der Top Story von vergangener Woche (Link) mit den beiden extremen Fujinon-Objektiven 2,8/8-16mm und 4,5-5,6/10-18mm. Mit dem Laowa in der 10 mm-Einstellung scheint die halbe Stadt Schaffhausen auf dem Bild zu sein.

Ist die Kamera exakt gerade gestellt, lassen sich Übersichten mit Gebäuden ohne stürzende Linien fotografieren. Der Objektraum mit 10 mm Brennweite ist überwältigend.

 

Neigt man die Kamera stark, dann entstehen sofort stürzende Linien. Diese lassen sich heute leicht in fast jeder Bildbearbeitungs-Software beheben, was allerdings mit einem seitlichen Bildverlust und im Extremfall, wie in nachstehendem Beispiel, mit einer nachträglichen Korrektur der Bildproportion verbunden ist.

Stürzende Linien können nachträglich korrigiert werden. Allerdings sollte man es nicht so sehr auf die Spitze treiben, wie in diesem Beispiel.

Man darf jedoch nicht vergessen, dass mit der extremen Brennweite der Vordergrund überbetont wird – im obigen Beispiel die Fläche des Brunnens. In den meisten Fällen ist dies unerwünscht, in anderen kann man diesen Effekt gestalterisch nutzen, wie in diesem Bild der Bäume auf dem Lindenhof in Zürich.

Die extreme Überbetonung des Vordergrundes kann auch gestalterisch genutzt werden, wie bei diesem Bild der Bäume auf dem Lindenhof in Zürich

Aus diesem Grunde sind Personenaufnahmen mit diesem Objektiv nicht unbedingt vorteilhaft, da das Gesicht stark deformiert wird. Um dies im Bild zu zeigen habe ich mich auf einen Osterhasen konzentriert. Erstens passt er zur Jahreszeit und zweitens ist er wahrscheinlich sogar stolz darauf so prominent im Bild zu sein. Zudem habe ich auf diese Weise keine Persönlichkeitsrechte verletzt …

Porträts gehören zu jenen Motiven, die man mit extremen Weitwinkelobjektiven unterlassen sollte, es sei denn man mag diese perspektivische Übertreibung.

Was bei extremen Weitwinkelobjektiven immer interessiert, ist die Verzeichnung (Distorsion). Dieser geometrische Abbildungsfehler ist bei Zoomobjektiven recht häufig und reicht in der Regel von einer tonnenförmigen Verzeichnung bei der kürzesten Brennweite zu einer kissenförmigen bei der längsten.

Beim Laowa 10-18mm ist die Verzeichnung hervorragend korrigiert. Sie ist bei 10mm leicht, bei 12mm kaum noch und ab 14mm gar nicht mehr wahrnehmbar. Auch die Vignettierung hält sich bei diesem extremen Objektiv sehr in Grenzen.

Bei vielen Motiven fällt die Verzeichnung und andere Randfehler nicht sonderlich ins Gewicht, wie zum Beispiel bei diesen Innenarchitekturaufnahmen des Sihl-City in Zürich. Der Lichteinfall in diesem Gebäude zusammen mit den architektonischen Elementen ist ein wahres Eldorado für Weitwinkel-Fanatiker. Deshalb hier eine kurze Diaschau:

Erstaunlich auch, dass das Laowa 10-18mm mit seiner mächtigen Frontlinse kaum Gegenlicht-empfindlich ist, wie die nachstehende Aufnahme des Kräutergartens Allerheiligen in Schaffhausen beweist. Die Aufnahme gegen die Mittagssonne zeigt nur minime Nebenbilder und eine korrekte Kontrastwiedergabe.

Das Objektiv ist kaum Gegenlicht-empfindlich. Das Bild zeigt nur minime Nebenbilder

Fazit: Das Laowa 4,5-5,6/10-18mm gehört nicht unbedingt zu den «Muss»-Objektiven. Aber wenn man einmal durch den Sucher dieser Extrembrennweite auf Vollformat geschaut hat, setzt man es wahrscheinlich auf die «Möchte-gern»-Liste. Und je mehr man damit fotografiert, entdeckt man spannende und lohnende kreative Anwendungen. Die Schärfeleistung des Objektivs ist beachtlich, wobei diese bei den Brennweiten 10 und 12 mm bei offener Blende in den Randzonen etwas abfällt und leichte Farbsäume zeigt. Das dürfte jedoch in den wenigsten Fällen wirklich störend sein. Der Wert des Objektives liegt darin, dass es Perspektiven und Bildwinkel ermöglicht, die bisher kaum möglich waren – nicht nur für Spass- und Scherzbilder, sondern für Einsätze in der dokumentarischen und gestalterischen Fotografie, die einem bisher versagt waren.

Text und Bilder: Urs Tillmanns

Das Objektiv wurde uns für diesen Test freundlicherweise von Foto Zumstein in Bern zur Verfügung gestellt.
 

Technische Daten Laowa FE 4.5-5.6/10-18mm
Brennweite 10 bis 18 mm (Vollformat)
Lichtstärke 1;4.5-5.6
opt. Konstruktion 14 Linsen in 10 Gruppen
Bildwinkel 130 bis 102° (diagonal)
Blendeneinstellung manuell
Blenden 4,5 bis 22
Blendenlamellen 5
Fokussierung manuell
Bildstabilisierung keine
Datenübertragung keine
Nahgrenze 0.15 m
Max. Vergrösserung 1:5,5
Filter 37 mm (in Objektivbajonett)
Abmessungen ø 70 mm x Länge 86 mm
Gewicht 499 g
Anschluss Sony E
Hersteller Venus Optics, Hefei, Anhui, China
Preis CHF 998.00

 

 

Ein Kommentar zu “Laowa 4.5-5.6/10-18mm: Einfach alles drauf …”

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