Urs Tillmanns, 7. Juli 2019, 18:45 Uhr

Die Rencontres in Arles feiern das Fünfzigste (3)

Die fünfzigsten Rencontres in Arles bieten dieses Jahr ein äusserst vielfältiges Bild, überzeugen als Standortbestimmung und zeigen Trends auf. Die 50 offiziellen Ausstellungen der Rencontres und die 230 Expositionen der Voies-off machen deutlich, wie breit das Spektrum der kreativen Fotografie sein kann. Einige Ausstellungen muss man für sich entdecken und sich mit der Idee des Fotografen auseinandersetzen, um die Bilder zu verstehen, bei anderen sind Idee und Umsetzung schwer nachvollziehbar. Kommen Sie mit auf unseren letzten Rundgang, wie schauen uns nochmals zehn Ausstellungen zusammen an …

 

Die Schweiz ist seit fünf Jahren mit ihrem Begegnungszentrum «Nonante-neuf» vertreten – auch dieses Jahr wieder mit einigen Fotografen

Seit fünf Jahren ist die Schweiz Partnerin der Rencontres Arles. Das Land präsentiert sich in seinem vom Kanton Genf unterstützen Begegnungszentrum «Nonante-neuf», wo man über die Fotografie und die Schweiz diskutiert – oder sich im schattigen Garten der «Croisière» etwas erholt. Auch dieses Jahr sind wieder einige Schweizer Fotografen in Arles vertreten, allen voran Christian Lutz, mit seinen sozialkritischen Bilder von Las Vegas und Macao, Leo Fabrizio und Daphné Bengoa über das Werk des Architekten Fernand Pouillon in Algerien und Mario del Curto mit seinen künstlichen Gärten.

 

Für viele Besucher stehen neben den Ausstellungen auch die vielen Workshops, Fotografen-Talks und Podiumsgespräche im Vordergrund. Hier werden gerade die Vor- und Nachteile von Privatpublikationen gegenüber Verlagsbüchern diskutiert.

 

Christian Lutz – Eldorado

Der Genfer Fotograf Christian Lutz präsentiert in einer alten Industriehalle zwei Bilderserien der Spielwelten in Las Vegas und Macao. Als Christian Lutz in Las Vegas fotografierte, stellte er schnell fest, dass der Glanz von «Sin City» allmählich zu bröckeln beginnt. Deshalb entschloss es sich, das «neue Las Vegas» aufzusuchen, das in den letzten fünfzehn Jahren die amerikanische Spielhauptstadt ihren Reichtum nach China abgibt. In «Eldorado» stellt Christian Lutz diese beiden Spielwelten einander eindrücklich gegenüber.

 

Mario del Curto – Humanité végétale, le jardin déployé

Mario Del Curto hat rund um den Globus zehn Jahre damit zugebracht, die Beziehung zwischen Mensch und Natur zu studieren und stellt mit seinen Aufnahmen eine «Menschheit hors sol» zur Duiskussion. Er hat Orte besucht, wie der riesige und vom Aussterben bedrohte Apfelwald Kasachstans, Stadtgärten in allen Erdteilen, den «Park der Ungeheuer» von Bomarzos und andere beeindruckende Gartenanlagen. In seinen starken und symbolischen Bildern zeigt del Curto Gärten in all ihren von Menschen erschaffenen Kreationen. Passend zum Thema ist die Ausstellung in einem kleinen Wald in der Nähe des Bahnhofs zu sehen.

 

Die Saga der Erfindungen

Von 1915 bis 1938 wurden im «Centre national de la recherche scientifique (CNRS)» in Paris Tausende Erfindungen erprobt und fotografisch festgehalten, mit dem Ziel der wissenschaftlichen und industriellen Förderung. Diese wenig bekannten Bilder dokumentieren zwanzig Jahre Forschung und Erfindungen, die zuerst im Krieg und in der nationalen Verteidigung und später im zivilen und häuslichen Leben ihre Einsätze fanden – oder als unbrauchbar verworfen wurden. Die CNRS legte auf die visuelle Dokumentation grossen Wert, um die Ideen der Visionäre und Pioniere bildlich festzuhalten.

 

Pixy Liao – Une relation expérimentale

Die Chinesin Pixy Liao fotografiert seit 2007 als laufendes Langzeitprojekt sich und ihren japanischen Freund Moro um zu zeigen, wie die nationale Kultur Interaktionen in einer romantischen Beziehung beeinflusst. In ihren Fotografien spielt Liao meist die dominierende Rolle, während sich ihr Freund in den Positionen unterordnet. Ziel des fotografischen Experimentes ist es, das traditionelle Beziehungsmodell zu hinterfragen und ein neues Gleichgewicht in der Partnerschaft bildlich darzustellen.

 

Manuel Rivera-Ortiz – The Forgotten Children in an Ahmedabad Slum

Die Fondation Manuel Rivera‑Ortiz präsentiert jedes Jahr ein breites Spektrum von insgesamt sieben Ausstellungen zum Thema sozialer Missstände in den verschiedensten Ländern. Was uns besonders beeindruckt hat, sind die Porträts im Treppenhaus, welche von Manuel Rivera-Ortiz selbst fotografiert wurden und die vergessenen Kinder in den Armenviertel von Ahmedabad in Indien zeigen. Manuel Rivera-Ortiz ist bekannt für seine Dokumentationen der Lebensverhältnisse von Menschen in der Dritten Welt. Er konzentriert sich in erster Linie auf menschliche Themen und das humanistische Anliegen in einer klaren, direkten Bildsprache. Ein Beispiel für seine Reportagen über sozial benachteiligte Gruppen sind die vergessenen Kinder in den Armenviertel von Ahmedabad, aus deren Gesichter bei aller Armut ein Schimmer von Hoffnung zu erkennen ist.

 

Valerie Belin – Painted Ladies

Die Models dieser Porträts könnten Berühmtheiten sein, doch es sind imaginäre, archetypische Figuren, die der Vision der Künstlerin entsprechen. Valérie Belin hat den Gesichtern durch malerischen Elemente ein unrealistiches, ihrer Vorstellung entsprechendes Aussehen verpasst, um durch «fotografische Malerei» die typischen Gesichtszüge ausdrucksstark zu betonen. Die gemäldeartigen Fotos stellen häufig wiederkehrende Fragen nach den Beziehungen zwischen Fotografie und Malerei, Figuration und Abstraktion sowie Realität und Fiktion. Sie sind in Übergrösse in den Ateliers Mechaniques zu sehen.

 

Lubos Plny

Ebenfalls im «Atelier Mécanique Générale» findet eine grosse Ausstellung zum Thema «Photo brut» mit Fotos von 53 Urhebern und über 400 Fotos statt. Viele davon sind Zufallsbilder, und ob sie wirklich als Kunst gewertet werden können, sei dahingestellt. Die Porträtreihe von Lubos Plny sind ein Stopper, ob die nun gefallen oder als eher abstossend empfunden werden. Sie zeigen den Künstler bei einem Selbstexperiment, bei welchem er Fäden durch die Haut oder Piercings in seinem Körper, Armen und des Gesichts zieht, mit dem Ziel, dass er jede Bewegung seines Kopfes in seinem Körper spürt. Die Selbstporträtreihe wurde mit Hilfe eines Freundes realisiert.

 

Modernité des passions

Die Nationale Fachhochschule für Fotografie (École Nationale Supérieure de la Photographie ENSP)» von Arles hat es sich zur Aufgabe gemacht mit sieben Studenten, die Eröffnungsausstellung ihres neuen Gebäudes mit mehr als 100 Werken zu kuratieren. «Modernité des passions» stellt sich den Fragen, was die Einzigartigkeit einer Sammlung ausmacht, wie die Praxis der zeitgenössischen Fotografie präsentiert werden soll und wie die Forschungs-, Foto- und Bildpraktiken der Schule berücksichtigt werden.

 

Mohamed Bourouissa

Der Algerier Mohamed Bourouissa, der in Paris wohnt und arbeitet, ist sowohl für sein Filmschaffen als auch für seine Strassenporträts bekannt. Im Obergeschoss des Warenhauses «Monoprix» belegt er mit seinen Werken eine grosse Fläche und zeigt dort eine Reihe von Porträts, die uns beeindruckt haben. Mohamed Bourouissa hat verschiedenste Leute auf der Strasse fotografiert und erst nach einer gewissen Zeit realisiert, welche spannende und stilvolle Sammlung daraus erwachsen ist.

 

Prix du livre

Rund 500 Bücher liegen in den «Ateliers Méchanique» auf, die zum Buchpreis der Rencontres von Arles eingereicht wurden, dazu jene, welche mit Preisen in den drei Kategorien 40 Bildbände, 16 Fotogeschichte und 15 Textbücher ausgezeichnet wurden. In jeder Kategorie wurde ein Toppreis von 6000 Euro vergeben. Der Prix du livre der Rencontres soll einerseits eine Strandortbestimmung der zeitgenössischen Fotoliteratur sein, anderseits aber auch Autoren und Verlage zu weiteren Publikationen anspornen.

Mit dieser dritten Folge beschliessen wir unseren Rundgang durch die diesjährigen Rencontres in Arles, wissend, dass wir nur einen kleinen Teil dessen zeigen konnten, was dieses grösste Fotofetival Europas bietet. Wer an zeitgenössischer Fotografie interessiert ist und wer sich dazu eine Standortbestimmung sowie einen Trendausblick verschaffen will, der sollte die diesjährigen Rencontres in Arles nicht verpassen. Die meisten Ausstellungen sind noch bis 22. September 2019 zu sehen.

Text und Bilder: Urs Tillmanns

Weitere Information finden Sie hier über die Rencontres und über die Voies-Offs.

 

Womit ich fotografiert habe …

Dieses Jahr hat mich eine Sony α6400 nach Arles begleitet, zusammen mit den beiden Objektiven E 4.0/10-18mm OSS und E 3,5-5,6/18-135mm OSS. Die Ausrüstung ist sehr kompakt, wiegt gerademal ein Kilogramm und findet in einer relativ kleinen Fototasche Platz. Das ist bei Temperaturen von 37° und mehr sehr angenehm.

Viele der Ausstellungen finden in relativ engen Räumen statt, und da ich von jeder besuchten Ausstellung eine Übersichtsaufnahme, sowie einige Einzelbilder für die Montagen brauche, sind diese beiden sich ergänzenden Brennweiten mit einem 13,5-fachen Zoombereich von 10 bis 135 mm (entspricht bei Kleinbild 15 bis 200 mm) geradezu ideal. Kommt hinzu, dass beide über einen Bildstabilisator verfügen, der mich bei den Availablelight-Aufnahmen sicher oft vor Verwacklungsunschärfen bewahrt hat. Die Kamera ist sehr klein, griffig und handlich und besitzt einen sehr schnellen und akkuraten Autofokus. Die Bildqualität ist so, wie man sie sich von allen modernen Sony-Kameras gewohnt ist; sie verlangen nach extrem wenig Bildnachbearbeitung – auch die JPEGs.

Urs Tillmanns

 

 

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