Gastautor/-in, 5. April 2020, 10:00 Uhr

Voll zugelegt – Fujifilm X100V im Praxistest

Noch einmal hat Fujifilm kräftig an der Evolutionsschraube der X100er-Serie gedreht: Etwas mehr Pixel, ein glasklarer elektronischer Sucher, Klappdisplay mit Touchscreen und ein treffsicherer Autofokus sind die Merkmale des neusten Modells V. Und – endlich – auch ein neu gerechnetes Objektiv hat die Kamera spendiert bekommen. Der Profi-Fotograf Renato Bagattini hat sie in Zeiten des Coronavirus auf ein paar einsame Spaziergänge in der Region mitgenommen.

 

Seit Fujifilm die erste X100 vor Jahren auf den Markt gebracht hat, bin ich Fan dieser kleinen, voll auf Retro getrimmten Kamera. Ja, es kommt wieder dieses analoge Feeling auf, das sich viele Fotografen nach der digitalen Revolution wieder herbeiwünschten – haptisch wenigstens. Und von der Zuverlässigkeit und der überragenden Bildqualität bin ich seit je her überzeugt. So habe ich das Vorgängermodell, die X100F, im vergangenen Jahr als einzige Kamera mit auf meine fünfwöchige Neuseelandreise mitgenommen. Irgendwie hat es Fujifilm geschafft, eine Kamera zu kreieren, die alles kann, was unterwegs wünschenswert ist: diskretes Gehäuse, schneller Zugriff zu den Einstellungen, guter Autofokus, sehr gute Bildqualität. Dass sie die Widerwärtigkeiten eines neuseeländischen Winters nicht ganz klaglos wegsteckte, hatte damit zu tun, dass sie (noch) nicht gegen Feuchtigkeit abgedichtet war.

Morgenstimmung am Greifensee: Landschaften sind eine der Domänen der X100V, welche die Fuji-Farben voll zur Geltung bringen. (1/180s f8 ISO160)

 

Wetterfeste Kamera

Mit der X100V macht Fujifilm nun diesen Schritt. Mit dem optional erhältlichen Zubehör, dem Filterring und dem Filter, wird die Kamera wirksam gegen äussere Einflüsse abgeriegelt. Auch sonst hat der neuste Spross tüchtig zugelegt: mit einem elektronischen Sucher, der seinesgleichen sucht und einem noch schnelleren und noch treffsichereren Autofokus. Der elektronische Sucher ist dermassen überzeugend, dass ich mich immer wieder dabei ertappte, dass ich ihn mehr nutze als ich das für gewöhnlich tue. Denn, ich gebe es gerne zu, bin eigentlich ein Fan des optischen Suchers und arbeite darum professionell auch mit der X-Pro3.

 

Strenges Gegenlicht und dennoch durchzeichnete Schatten – das zeichnet die X100V aus (1/400s f8 ISO160)

Die X100V ist prädestiniert für ein dezentes Arbeiten. Doch fällt es in Zeiten von Coronaviren schwer, sie für die klassische Street-Fotografie zu nutzen. Und an einen exotischen Ort zu jetten – ein Ignorant, wer solches nur denkt. Und so muss sie in meiner unmittelbaren Umgebung auf einsamen Spaziergängen und rund ums Haus zeigen, was sie kann, wie sie in der Hand liegt und wohin sie mich bildmässig führt. Entwicklungstechnisch folgt sie dem Trend weg vom Steuerkreuz und hin zum Joystick und zu einer weitgehend aufgeräumten Rückseite. Damit verstärkt sich der Retrolook, ohne das Niveau desjenigen der aktuellen X-Pro3 zu erreichen. Dazu hätte man das Display ebenfalls „verstecken“ müssen. Aber alles kam man einfach nicht haben und, neutral betrachtet, ist die Erscheinung der X100V freilich dennoch äusserst gelungen.

Noch extremeres Gegenlicht und dennoch noch knapp durchzeichnete Schatten. (1/3500s f8 ISO160)

 

Bulliges Gehäuse

Nicht nur auf der technischen Seite hat die X100V reichlich, auch in ihren Dimensionen hat sie zugelegt. Es sind zwar nur Millimeter, aber sie sind deutlich erkennbar. Zwar haben Fujis Entwickler darauf geachtet, dass das Grössenverhältnis der Einzelteile zum Gehäuse wie Knöpfe in etwa dasselbe bleibt, dennoch ist nicht zu übersehen, dass sie etwas bulliger geworden ist. Mag sein, dass es wegen des klappbaren Displays, das äusserst elegant ins Gehäuse integriert wurde, nicht anders ging. Vielleicht auch brauchte das neue Objektiv etwas mehr Platz. Dass sich das Display ausklappen lässt, macht das Arbeiten erstmals mit einer X100-Kamera von einem Stativ aus zu einer angenehmen Sache: keine spastischen Bewegungen und akrobatischen Verkrümmungen mehr, um das Bild zu sehen und zu komponieren. Für die X100-Serie benutze ich seit jeher das Gitzo Traveler der 0-Serie, das leicht und kompakt daherkommt. Trotz des Grössenzuwachses findet die Kamera nach wie vor Platz in der kleinsten Fototasche und notfalls in der Jackentasche. Meine unscheinbare Crumpler Quick Escape 500 hat die ideale Grösse und Platz für Kamera, Akkus, Kabel und Smartphone.

 

Endlich Sicht von ganz unten, dank klappbarem Display.(1/300 f8 ISO160)

Ich suche mir ein paar Motive, die, wie ich meine, eine Herausforderung für den AF sein könnten. Bald ist klar, diese Zeiten des hilflosen Schärfesuchens sind mit X100V wohl endgültig vorbei. Ob strenges Gegenlicht am frühen Morgen, spärlicher Kontrast in Schattenlagen, flächige, konturlose Motive oder einbrechende Dunkelheit: zielsicher sucht sich die Scharfstelleinheit die richtige Entfernung. Später, im Atelier, nehme ich die Bilder etwas genauer unter die Lupe. Denn bislang war es ja so, dass vor allem über die Bildqualität des 23ers am Bildrand gestänkert wurde. Ein Geheule auf hohem Niveau, meine ich, denn mit etwas Abblenden und sorgfältigem Auslösen kamen die Bilder stets in mehr als ausreichender Qualität daher. Und auch das neu gerechnete Objektiv mit nun asphärischen Elementen erledigt seinen Job, wie ich es mir wünsche. Äste von Bäumen etwa werden auch in der äussersten Ecke scharf und kontrastreich wiedergegeben.

Top Schärfeleistung in der Nahdistanz beim Fotografieren des letzten Winterrestes. (1/60s f8 ISO1000)

 

Einmalige Filmsimulationen

Das Schöne an den Kameras von Fujifilm sind und bleiben die Filmsimulationen, von denen jedes Nachfolgemodell nochmals eine Weitere geschenkt bekommt. Als noch analog fotografiert wurde, waren es vor allem die Diafilme Provia, Astia und Velvia und der Schwarzweissfilm Acros, die eine grosse Fangemeinde hatten. Der Velvia beispielsweise war bei Landschaftsfotografen sehr beliebt, weil er die Farben gesättigt wiedergab. Fujifilm ist es gelungen, die Eigenheit seiner Analogfilme in das digitale Zeitalter zu transponieren. Und in der Tat liefern die Filmsimulationen täuschend echte Resultate ab. Freilich sind zwischenzeitlich noch weitere Simulationen dazu gekommen, wie etwa diejenige Classic Chrome. Sie bringt den Look der siebziger Jahre in die moderne Welt und erinnert etwas an den Kodachrome 64. Als analoger Film allerdings gab es Classic Chrome nicht. Mit diesen Simulationen lässt sich die Bildsprache auf unaufdringliche Art und Weise beeinflussen. Immer bleibt die Farbgebung Fuji-typisch auf einer natürlich wirkenden Basis.

Die Filmsimulationen der Fujifilm X100V in einer Diaschau

 

Schnelles Umschalten

Die Kamera lässt sich weitgehend nach eigenen Bedürfnissen konfigurieren. Das Quickmenu gibt dem Fotografen nun die Wahl, vier, acht, zwölf oder 16 Felder zu besetzen. Ich fotografiere mit vier Feldern: Selbstauslöser, ND-Filter, Filmsimulation und Wahl der Körnigkeit. Gerade dieser einstellbare Quickmenu-Modus zeigt es deutlich: hochentwickelte Digitalkameras bieten viele Einstell- und Konfiguriermöglichkeiten. Sie überlassen es dem Fotografen, was er davon brauchen will. Das wiederum ist wichtig, wenn das analoge Feeling erhalten bleiben soll. Denn einmal eingerichtet, lässt sich die Kamera einfach und schnell umschalten. Ohne mühsames Suchen in den Unter- und Unteruntermenus.

Mit der X100V lässt sich, wie mit der ganzen X-Serie, auf entspannte Art und Weise fotografieren, wobei die Konzentration voll auf das Motiv gerichtet werden kann. Die Kamera arbeitet zügig und nahezu geräuschlos. Wen diese Stille stört, der kann aus drei Klickgeräuschen wählen, welches ihm am Besten zusagt.

Auch für Reproduktionen ist die X100V geeignet. Hier wurde durch das Glas des Bildes mit Blende 11 fotografiert (1/4.5s f11 ISO160)

 

Fazit

Mit der X100V ist Fujifilm erneut ein grosser Sprung gelungen. Wesentliche Kritikpunkte wurden beseitigt. Die Kamera eignet sich, wie kaum einer ihrer Vorgänger, für viele Aufgabenbereiche. Das klappbare Display und das verbesserte Objektiv tragen nicht zuletzt dazu bei. Die Kamera zeigt deutlich, dass in den allermeisten Fällen eine einzige Brennweite genügt, um ganze Fotostrecken auf professionellem Niveau zu produzieren. Wer sich eine Zeit lang mit dieser Kamera beschäftigt, wird sehen, dass sich das Auge vollständig auf diese eine Brennweite einstellt und schliesslich nur noch wie eine 35mm-Brennweite die Welt anguckt. Auf diese Weise entstandene Arbeiten wirken immer homogener und in sich stimmiger. Das macht letztlich eine Kamera der X-Serie zu einem einzigartigen fotografischen Instrument, das viele Amateure wie auch Profis zu schätzen wissen.

Text und Praxisbilder: Renato Bagattini

Weitere Informationen zur Fujifilm X100V finden Sie in unserer Erstvorstellung und bei Fujifilm.ch

 

2 Kommentare zu “Voll zugelegt – Fujifilm X100V im Praxistest”

  1. Part I
    Seit anfangs Februar fotografiere ich mit mit der Fuji X100V und bin ebenfalls begeistert; den Ausfürungen von von Renato Bagattini kann ich voll zustimmen. Dazu ein paar bestätigende und ergänzende Bemerkungen, wieso dem so ist:
    – Kompaktheit: Bis anhin war das Smartphone meine immer dabei Kamera, jetzt ist die X100V. Winzig ist sie nicht (die entsprechenden Sonys sind kompakter); aber sie schafft den Spagat zwischen Kompaktheit und gut in der Hand liegen; nichts ist fummelig.
    – ISO / Blende / Verschlusszeit / Belichtugskorrektur: Kamera in die Hand und alles ist direkt im Blickfeld, und muss was verstellt werden, geht das blitzschnell ohne Menü-Wirrwarr. Insbesonder die für mich neue Integration der ISO im Verschlusszeit-Rad ist toll.
    – Sucher und Display: Beides top.

  2. Part II
    – Klappdisplay: Ohne hätte ich die Kamera nicht gekauft, gerade in der Streetfotografie und bei tiefen Perspektiven ein Segen. Super in die Kamera integriert.
    – Filmsimulationen: An einem RAWEntwickler kam bei mir bis anhin kein Bild vorbei. Mit den Filmsimulationen der X100V hat mich de JPG-Fotografie gepackt; toll, was Fuji da bietet.
    – Bildqualität: Ab der Offenblende (f2!) einfach gut. Habe bisher nie so viel offenblenig fotografiert.
    – fixe Brennweite: Ist für mich kein negativer, sondern ein ausgesprochen positiver Punkt. Ein (fast) neues Fotogefühl.
    – Was stört? Die Kamera kostet, und zwar viel! Und das Wetterkit muss man zusätzlich kaufen (und macht die Kamera grösser)! Und der Objektivdeckel zum Draufstecken (ohne einrasten) rollt schon mal davon.
    Mandi

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