Urs Tillmanns, 17. Juli 2020, 16:00 Uhr

Kunstmuseum Basel: «The Incredible World of Photography»

Begonnen hatte alles in den 1970er Jahren, als Ruth und Peter Herzog auf einem Flohmarkt eine alte Fotografie kauften – und damit den Grundstein zu einer der weltweit grössten privaten Fotosammlung legten. Heute umfasst der Bestand mehr als 500’000 Fotografien aus allen Sparten, sowohl aus dem technischen als auch aus dem kreativen und dem privaten Bereich.

Dass einige rund 400 besonders interessante Exponate nun im Kunstmuseum Basel bis anfangs Oktober 2020 zu sehen sind hängt damit zusammen, dass die Sammlung seit 2015 dem Jacques Herzog und Pierre de Meuron Kabinett, Basel, angehört, welches im Rahmen einer langfristigen Kooperation mit dem Kunstmuseum Basel diese Ausstellung organisiert hat. Damit verbunden sind gleich zwei Premieren: Erstmals wird ein umfassendes Porträt der Fotosammlung Ruth und Peter Herzog in der Schweiz gezeigt, und für das Kunstmuseum ist es die erste Ausstellung, die sich mit der Geschichte der Fotografie befasst.

 

Die riesige Sammlung einerseits und das Konzentrat davon in der Ausstellung deckt alle wichtigen Bereiche der Fotografie ab, sowohl was die Entwicklung der fotografischen Verfahren anbelangt als auch die enorme Motivvielfalt, die in dieser Ausstellung zum Ausdruck kommt. Das beginnt mit Daguerreotypien, die ersten unikaten Fotografien nach dem Erfinder Louis Jacques Mandé Daguerre, dann zu den eher erschwinglichen Ambrotypien und Ferrotypien und zu den ersten Fotos auf Salz- und Albuminpapier. Auch die ersten zaghaften Versuche mit Farbverfahren sind dokumentiert, bis dann Autochrome-Platten und später die chromogenen Farbfilme sowie die Silbergelatineprints die Fotografie populär machten.

 

Die Sammlung – und damit die Ausstellung – ist auch dadurch einzigartig, dass Ruth und Peter Herzog viele der Bilder an Flohmärkten und auf Auktionen gefunden haben, Bilder, deren Autoren vielfach unbekannt sind, die aber deswegen nicht minder interessant sind und wichtige Dokumente zur Zeitgeschichte darstellen. Der Schwerpunkt liegt deshalb nicht auf den vielgesehenen Ikonen grosser Fotografen, sondern mehr auf unbekannten Fotografien, die aus privatem Raum kommen, wie Fotoalben – der Bestand umfasst davon etwa 3000 Stück aus allen Epochen – oder Erinnerungsfotos, die im Laufe der Jahrzehnte anonym geworden, aber deswegen nicht weniger aussagekräftig sind.

 

Seit jeher hat die Fotografie in der Zeitgeschichte eine wichtige dokumentarische Rolle gespielt mit Bildern, die in der Ausstellung auf grosses Interesse der Besucher_innen stossen dürften. Es sind sowohl politisch motivierte Bilder von Volksaufständen, von Unfällen, von Kriegen – kurz: alles was die Menschen immer wieder bewegte und bewegt, und was mit Fotos in die weite Welt hinausgetragen wird.

 

In einer weiteren spannenden Abteilung sind seltene Fotos aus Wissenschaft und Technik zu sehen, welche wichtige Erkenntnisse oder technische Entwicklungen dokumentieren. Dies umfasst auch frühe Mond- und Astroaufnahmen, dann Bilder gigantischer Industrieprodukte, wie zum Beispiel Turbinenräder, bis hin zu frühen Röntgenbildern, die damals der Medizin neue Wege öffneten.

 

In einem Zwischenraum haben die Besucherinnen und Besucher Gelegenheit interaktiv auf die enorme Bilddatenbank des Bestandes zuzugreifen, einzelnen Bilder auszuwählen, um diese auf einer riesigen Leuchtwand anzuzeigen. Die Installation wurde vom «Studio für mediale Architekturen iart» zusammen mit Studierenden vom Bachelor-Studiengang Digital Ideation der Hochschule Luzern erarbeitet.

 

Ein weiterer Raum ist einerseits der Städtefotografie gewidmet und zeigt uns bekannte Prunkbauten, wie sie damals fotografiert wurden, anderseits aber auch der experimentellen Fotografie mit Bewegungsstudien (Etienne-Jules Marey), Porträts (Pierre Luigi Catinella Chiraini) oder mit der Bildserie der Industrielandschaften von Bernd und Hilla Becher.

 

Bis die Farbe in der zunächst monochromen Fotografie ihren Platz gefunden hatte, dauerte es relativ lange, obwohl die Fotografen schon bei den Daguerreotypien und später auf Salzbildern immer wieder versuchten, mit Kolorieren den Bildern etwas Farbe einzuhauchen. Der erste grosse Schritt zur Farbe waren die Autochrom-Platten der Gebrüder Lumière, bis nach dem Zweiten Weltkrieg die chromogenen Farbmaterialen, wie Agfacolor, Kodak Ektachrome und viele andere mehr, die Farbfotografie weltweit populär machten. Zusammen mit entsprechenden Druckverfahren wurde nun auch die Werbung auf Plakaten, Zeitschriften und in den Zeitungen farbig.

 

Dass Fotografie nicht nur einen dokumentarischen Wert hat, sondern auch als kreatives Medium von Künstlern genutzt wurde, zeigt der letzte Raum der Ausstellung mit einigen interessanten Gegenüberstellungen. «The Incredible World of Photography» belegt eindrücklich die unglaubliche Vielfalt des Mediums Fotografie, das heute mit der digitalen Technik gerade erst ein neues Kapitel aufgeschlagen hat.

Text und Situationsfotos: Urs Tillmanns / Fotointern.ch

 

Das Buch zur Ausstellung

Zur Ausstellung «The Incredible World of Photography» ist das Buch «Belichtungszeit» im Christoph Merian Verlag Basel erschienen. Es ist einerseits Katalog zur Ausstellung, anderseits aber auch eine bedeutende wissenschaftliche Publikation mit Texten von Martina Baleva, Jan von Brevern, Eva Ehninger, Steve Edwards, Peter Geimer, Valentin Groebner, Michael Hagner, Peter Herzog, Katja Müller-Helle, Katja Petrowskaja, Vanessa R. Schwartz und Kelley Wilder. Das Buch umfasst auf 360 Seiten rund 300 Werkabbildungen, ist auf Deutsch oder in Englisch erhältlich und kostet CHF 59.00 / EUR 58,00. Es ist im Museumsshop oder im Buchhandel erhältlich.

 

Digitorial

Zur Ausstellung «The Incredible World of Photography» realisiert das Kunstmuseum Basel zum ersten Mal ein Digitorial  als Online-Vermittlungsformat. Die Initiative ist Teil des Projekts digitorials.ch, das mit Unterstützung von Engagement Migros und in Zusammenarbeit mit der Agentur «maze pictures swiss» an insgesamt acht Schweizer Museen individuelle Strategien erarbeitet, um auf die Herausforderungen des digitalen Wandels zu reagieren. Das Digitorial verbindet innovatives Storytelling mit einer multimedialen Verschränkung aus Bild, Ton und Text und setzt so neue Massstäbe in der Vermittlung kultureller Inhalte. Digitorials wurden am Städel Museum, der Liebieghaus Skulpturensammlung und der Schirn Kunsthalle Frankfurt in Deutschland entwickelt.

 

Weitere Informationen zur Ausstellung finden Sie auf der Webseite des Kunstmuseums Basel sowie im Digitorial

Die Ausstellung «The Incredible World of Photography» ist vom 18. Juli bis 4. Oktober 2020 zu sehen im

Kunstmuseum Basel – Neubau
St. Alban-Graben 16
CH-4010 Basel
Tel. 061 206 62 62

Öffnungszeiten:
Dienstag – Sonntag 10 bis 18 Uhr
Mittwoch 10 bis 20 Uhr
Montag geschlossen

Kuratoren: Olga Osadtschy, Paul Mellenthin

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