Urs Tillmanns, 9. September 2020, 17:54 Uhr

 Verzasca Foto Festival: Den Wald ins Bewusstsein rücken

Bereits zum siebten Mal ist Sonogno, das schmucke Tessinerdorf zuhinterst im Verzascatal, Treffpunkt von Fotoküntlerinnen und Fotokünstlern aus aller Welt. Das «Verzasca Foto Festival» ist in der internationalen Fotoszene zu einem Begriff geworden, und immer mehr Fotografen bewerben sich um die Teilnahme oder belegen einen Studienplatz in der Künstlerresidenz (siehe Meldung).

Das Besondere am Verzasca Foto Festival ist einmal die originelle Art der Bilderpräsentation, entweder aufgeklebt auf die uralten Granitfassaden der typischen Tessinerhäuser, oder als aussagestarke Bildelemente in die Waldlandschaft entlang des Flüsschens Redorta integriert. Dieses Jahr steht vor allem die zweiterwähnte Präsentationsart im Vordergrund, da die Ausstellungsorte in Sonogno selbst heuer Uygar Önder Şimşek, dem Hauptgewinner des Wettbewerbs «Nera di Verzasca», vorbehalten ist. 

Der in Deutschland lebende Uygar Önder Şimşek war während vier Jahren als Fotojournalist in verschieden Kriegsgebieten des Nahen Ostens tätig. Was in den ausgebombten und unbewohnten Städten übrigblieb war Materie mit eigenartigen Strukturen, ohne dass die Objekte selbst noch erkennbar waren. Er hat diese Oberflächen mit seiner Kamera dokumentiert und präsentiert sie nun in seinem Projekt «Patterns of Destruction» – als Spuren von Schmerz und Elend der Menschen, die nicht mehr da sind.

 

Fotoausstellung im Wald

Thematisches Zentrum des diesjährigen Verzasca Foto Festival ist der Wald, wo der Entdecker-Besucher zusammen mit Fotografen und Enthusiasten die Berge zwischen Kunst und Natur erleben können – begleitet von Treffen in einer geselligen Umgebung, Gruppenausstellungen, runden Tischen, Live-Musik und audiovisuellen Projektionen.

Für die einheimische Bevölkerung dieses Tales hatte der Wald von jeher existenzielle Bedeutung. Die Bäume über dem felsigen Gelände des Tals, in dem das Verzasca Foto Festival stattfindet, gehörten für die Bewohner in nicht allzu ferner Vergangenheit zu den Haupteinkünften, angefangen von den Wurzeln, die an den Hängen wachsen, über das gefällte Nutzholz bis hin zur Asche, die sie in den Kaminen sammelten. Sie haben zum Wald, dieser Lunge des Lebens, immer Sorge getragen, und daran soll und auch die Grafik auf dem diesjährigen Plakat des Festivals (unser Einstiegsbild), gestaltet vom Grafikstudio Cino in Gordola, erinnern.

Der Wald kann ein Ort der Einsamkeit sein, aber auch ein Ort der Begegnung mit der Natur, mit anderen Menschen oder – beim Verzasca Foto Festival – mit der Kunst. Die Bilder sollen uns auf Misstände und deren Bewältigung aufmerksam machen, sie sollen uns gleichzeitig aber auch das Schöne zeigen, und uns zu neuen, eigenen Kreationen inspirieren.

Die meisten Bilder des Verzasca Foto Festival sind in einem prachtvollen Lärchenwald ausgestellt, der sich etwa einen Kilometer am Flüsschen Redorta entlang hinzieht – ein gemütlicher Spaziergang von vielleicht einer halben Stunde, bei dem man immer wieder neue Fotokunstwerke entdeckt.

Der Wald vermittelt den Bildern ein ruhiges Umfeld und lädt die Besucherinnen und Besucher dazu ein, die Botschaft der Bilder aufzunehmen und sich in eigenen Gedanken darüber zu verlieren.

 

Die Geschichte vom Wolf

Gegen Ende Tales steigt der Weg relativ steil an, was dann mit der überwältigenden «Cascata la Froda» belohnt wird, ein Wasserfall mit einem kleinen See, der an heissen Sommertagen von den Wanderern gerne zur Abkühlung und von den Kindern zum Wasserplausch genutzt wird.

Dieses mystische Umfeld hat Florian Spring ausgewählt, um sein Projekt «Hello Drakness – my old Friend» zu präsentieren. Er hat sechs Wochen im Verzascatal in Künstlerresidenz verbracht und hat sich dem Thema «Wolf» gewidmet. Er hat sich Gedanken dazu gemacht, wie einst der Wolf im Verzascatal lebte, ob er beliebt oder geächtet worden war, wie er schliesslich aus dem Tal vertrieben wurde und jetzt den Weg hierher wiederfindet. Diese Gedanken hat er in Bilder umgesetzt, die sich hier rund um den Wasserfall verbergen. Man muss sie etwas suchen – aber es lohnt sich!

Auf dem höchsten Punkt befindet sich eine hölzerne Plattform, auf der zwei Spektive darauf warten von den Besucherinnen und Besuchern entdeckt und benutzt zu werden. Sie sind auf ein Bild auf der anderen Talseite ausgerichtet, das man von blossem Auge nicht wahrnimmt. Hier zu verraten, was es zeigt, würde den Spass verderben … Übrigens war Florian eine Woche lang hier und hat als gelernter Schreiner das alles hier selbst aufgebaut.

Die Bilder des Verzasca Foto Festivals in Sonogno und im Val Redorta sind noch bis Ende November zu sehen – Zeit genug, um diese Bilder, die Stimmung und die Landschaft an einem schönen Spätsommer-Wochenende zu geniessen.

Text und Situationsbilder: Urs Tillmanns

22 Fotokünstler*innen stellen am Verzasca Foto Festival aus

Aggelos Barai (Albanien) | Agnieszka Gotowala (Polen) | Alexandra Baumgartner (Schweiz) | Andrea Basileo (Schweiz) | Anton Polyakov (Moldawien / Transnistrien) | Christopher de Béthune (Belgien) | Diego Moreno (Mexiko) | Elly Heise (Kanada) | Filippo Valoti Alebardi (Italien / Russland) ) | Florence Goupil (Peru) | Giorgio Negro (Schweiz) | Graziella Antonini (Schweiz) | Joan Alvado (Spanien) | Luca Zanetti (Schweiz) | Olivia Heussler (Schweiz) | Oskar Alvarado (Spanien) | Pablo Chaco (Kolumbien) | Paz Olivares Droguett (Chile) | Tomaso Clavarino (Italien) | Tomasz Fall (Schweiz) | Uygar Önder Şimşek (Deutschland) | Yorgos Yatromanolakis (Griechenland)

Übrigens betreiben die Organisatoren den Verzasca Foto Festival in Lavertezzo ein Archiv mit einer Ausstellung, die einen Rückblick auf die letzten Festivals zeigt. Das Archiv soll zu einem dauerhaften Teil des Festivals werden, das auch für Recherchen der Öffentlichkeit zugänglich sein soll.

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite www.verzascafoto.com sowie auf Instagram.

 

Ein Kommentar zu “ Verzasca Foto Festival: Den Wald ins Bewusstsein rücken”

  1. War dieses Jahr mal da und habe mir diese „Installation“ angeschaut. Es war ein Erlebnis, schade das es nur während 2 Tagen stattfand. Musste mich sehr beeilen am Sonntag vor dem Sturzregen alles gesehen zu haben 🙂

    Alles in allem fand ich es sehr originell und gut gemacht.

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