Urs Tillmanns, 10. September 2020, 16:00 Uhr

Roger Humbert: «ad rem – Photographie als Technische Intelligenz»

Obgleich Roger Humbert vor allem durch seine gegenstandslosen Fotogramme und Luminogramme bekannt wurde, zeigt die Retrospektive «ad rem – Photographie als Technische Intelligenz» im BelleVue in Basel eine Reihe bisher kaum gesehener Spontanbilder aus Paris, Aegypten, Amerika und Asien aus den 1950er- und 60er-Jahren. Neben dem Reportagecharakter dieser Fotos tritt deutlich der Drang zur gestalteten Fotografie zutage, der zum Stil von Roger Humbert gehört.

«Ad rem» – wörtlich: «zur Sache» – zielt auf das Ursächlichste der Fotografie: auf das Abgebildete selbst und auf die Bedingung des Abbildungsvorgangs an sich. Das Technische und seine Möglichkeiten aber sind bei Roger Humbert, auch wenn dies der Titel der Ausstellung zu suggerieren scheint, nie Selbstzweck. Schon in seinen Fotogrammen war das Zeichnen mit Licht nicht einfach ein Akt im Sinne des l’art pour l’art, sondern manifestierte sich darin immer auch Humberts tiefe humanistische Überzeugung und die durch seine Auseinandersetzung mit Philosophie und Literatur geprägte Vorstellung, «dass der Mensch sich und sein Sein selbst hervorbringen müsse» (Ricarda Gerosa).

Ebenso vielschichtig deutbar ist der Begriff «Technische Intelligenz». Natürlich, da sind zum einen die technischen Möglichkeiten, die mit der Fotografie einhergehen: das sichtbar Machen und Festhalten von Dingen und Vorgängen, die eigentlich dem menschlichen Auge verborgen sind; oder ganz praktisch gedacht, die permanente Verfügbarkeit dieser Technologie (der Kamera), eine Art «mobile technische Intelligenz», wie Roger Humbert selber sagt. Zum anderen aber sind da die Sujets und Themen selbst, denen das Interesse des Fotografen gilt. Sie entstammen einer von Technik und Rationalität geprägten Welt, sie zeigen Maschinen oder Bauwerke – die Pyramiden Ägyptens, die Golden Gate Bridge – als Ausdruck hoher Ingenieurskunst, vor denen der Mensch klein und verloren wirkt.

Ganz ins Zentrum gerückt aber ist der Mensch, wenn Humbert Strassenszenen fotografiert oder Kinder porträtiert. Dann zeigt sich eine Welt reich an Tönen und Stimmungen, Gefühlen und pulsierenden Momenten. Es ist eine Welt der flüchtigen Erscheinungen, die Roger Humbert festhält und für uns bewahrt.

Das Verbindende aller Welten dabei ist Roger Humberts gestalterischer Kraft, die sich im markanten Wechselspiel von Licht und Schatten, Dunkel und Hell, Zufall und kompositorische Strenge zeigt.

 

Roger Humbert

Roger Humbert vor seinem Original-Fotogramm im Bellevue. Das mehr als zwei Meter grosse Bild wurde 1959 in der Kaku Gallery in Osaka, Japan, ausgestellt (Foto: Urs Tillmanns)

Roger Humbert (*24.12.1929) lebt und arbeitet in Basel. Nach dem Besuch des Vorkurses und der Grafik-Fachklasse an der Kunstgewerbeschule Basel (1941–1946) absolvierte Roger Humbert eine Fotografenlehre (1947–1950) bei Jacques Weiss und war danach bis 1952 Fotoassistent an der Fotoschule Vevey bei Hermann König. Nach einer Fachausbildung in Farbfotografie (1952–1953) gründete er sein eigenes Atelier, aus dem später die Firma Humbert + Vogt für Foto und Grafik entstand. Neben seinen Auftragsarbeiten widmete sich Roger Humbert seit 1954 der künstlerischen Fotografie. Roger Humberts experimentelle, kameralose Fotografie steht in Zusammenhang mit dichten Überlegungen, die ausgehend von Konstruktivismus und Existentialismus auf eine grundlegende Erneuerung der Fotografie und des Lebens zielen.

Das Buch «Konkrete Fotografie als Programm», erschienen 2017 in der «photoaditionberlin.com», zeigt auf, wie das Licht zu einem Programm der Fotografie verwendet werden kann. Seine Fotogramme bilden nicht ab, sondern erschaffen im Augenblick der Belichtung auf dem Fotopapier eine neue Wirklichkeit: Formelemente werden unter einer Lichtquelle derart inszeniert, dass das Licht selber zeichnet und flirrende geometrische Konstellationen sichtbar werden.

Unter den vielen Ausstellungen, an denen Roger Humbert vertreten war, ist die «Konkrete Fotografie», 1967 in Bern als Wichtigste zu nennen, wo Humbert zusammen mit René Mächler, Jean-Frédéric Schnyder und Rolf Schroeter minimalistische und nur auf ihr eigenes, innerbildliches Gesetz bezogene Lichtkompositionen zeigte. Humbert gehört damit zu den Begründern dieser Richtung und ist einer ihrer wesentlichen Vertreter in der Schweiz. Die Galerie «Fabian & Claude Walter» zeigte im Frühling 2019 in Zürich die Ausstellung «Roger Humbert – Konkrete Fotografie, Fotogramme von 1950 bis 1970» (Fotointern berichtete). Roger Humbert unterstützt das «BelleVue – Ort für Fotografie» seit vielen Jahren.

 

«BelleVue – Ort für Fotografie» präsentiert die Ausstellung von Roger Humbert «ad rem – Photographie als Technische Intelligenz» in Kooperation mit der «photo basel». Weitere Informationen finden Sie unter https://bellevue-fotografie.ch/

Das BelleVue an der Breisacherstrasse 50 in Basel ist jeweils Samstag und Sonntag von 11.00 bis 17.00 Uhr oder nach Vereinbarung geöffnet.

Situationsbilder: Urs Tillmanns

Lesen Sie hier eine ausführliche Ausstellungsbesprechung von Prof. Bernd Stiegler.

 

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