Urs Tillmanns, 13. September 2020, 10:06 Uhr

Nikon D5 vs. Nikon D6: Ein etwas ungewöhnlicher Praxistest

Seit Jahren ist die Nikon D5 mein liebstes Alltagspferd. Was ist an der neuen D6 anders oder gar besser? Zusammen mit meiner Kunst- und Lebenspartnerin Zaboo haben wir die beiden Boliden auf einen Städtebummel durch das alte Bonn mitgenommen. Um Gewicht zu sparen habe ich mich bezüglich der Objektive stark eingeschränkt. Ich hatte mich für das alte Defocus-Objektiv AF DC-Nikkor 1:2,0/135 mm D entschieden, um Details von geschichtsträchtigen Gebäuden und Szenen in den engen Gassen zu betonen – und da spielt dieses Objektiv seine Stärken aus. Weiter waren die Nikkor-Objektive 1,4/105 mm E ED und 2,0/35 mm AF-D mit dabei. Übrigens, was die Nikon D6 mit Tschaikowskis Nussknacker-Suite zu tun hat, steht auch in diesem Artikel.

Das Fotogepäck für unseren Bummel durch Bonn: 2 Kameras, 3 Objektive: Nikon D5, Nikon D6, Nikkor 2,0/135 mm AF DC, Nikkor 1,4/105 mm E ED, Nikkor 2,0/35 mm AF-D

Wir haben für unser neustes Projekt Bonn gewählt. Trotz Status als ehemalige Hauptstadt hat sie ihren eher kleinstädtischen Charakter behalten. Die zahlreichen Aussenbezirke, die früher eigene Dörfer waren, haben einen eigenen Stil erhalten, und am Abend spielt sich das Leben auch ausserhalb der City ab.

Urban gestaltet sich die Altstadt mit ihren kleinen Gassen, vielen Boutiquen und Bars. Über die Kennedybrücke erreicht man den Stadtteil Beuel mit lockerem Strassenleben und lauschigen Gaststätten am Rhein. Highlight eines Nachmittags-Spaziergangs ist das Eislabor, das leckere Eiscreme aus lokalen Zutaten herstellt und bei schönem Sommerwetter lohnt sich anschliessend ein Halt an der Opernhaus-Hausbar, wo man barfuss einen Cocktail auf der Sandterrasse geniessen kann. Da kommt richtig Ferienfeeling auf!

Wer nach dem Essen nicht gerade ins Bett will, macht einen kleinen Verdauungsspaziergang an der Promenade entlang der Bootsanlegestelle und holt sich dabei einen 3-dl-Wiesen-Mochito für 3 Euro an einer offenen Bar nahe dem Alten Zoll.

Die Nikon D6 hat sich in kurzer Zeit nicht nur als eine schnelle Sportkamera bewährt, sondern sie ist auch universell einsetzbar (Nikon Pressebild)

Die Idee, die neue Nikon D6 mit diesem speziellen Porträttele von 1990 (welches heute noch produziert wird!) für die Street- und Lowlight-Fotografie zu testen, liegt vielleicht nicht gerade auf der Hand, aber dass sie am Spielfeldrand als Sportkamera mit bissig-schnellem Autofokus überzeugt, hat die Fachpresse längst verlauten lassen. Ausserdem habe ich schon lange keinen Bericht über ein Defocus-Objektiv mehr gesehen, was ich besonders schade finde, und ein Vergleich unter den Generationen fand ich spannend.

In unserem Projekt kamen daher ganz andere Aspekte zum Tragen: Eignet sie sich als Streetfotografiekamera? Wie gut ist die Lowlight-Fähigkeit bei hohen ISO-Werten? Harmoniert sie mit einem vor 30 Jahren konstruierten Objektiv? Welche Vorteile bringt sie gegenüber ihrer Vorgängerin Nikon D5?

Wer die Nikon D5 kennt findet sich auch an der D6 sofort zurecht. Alle Einstellelemente sind grundsätzlich gleich angeordnet (Nikon Pressebild)

Als ich die neue D6 in die Hand nahm, musste ich genau hinschauen: ist es wirklich die D6? Alles sieht so vertraut aus! Ein bisschen grösser, der Knubbel links vom Prisma ist bedienerfreundlicher geworden, und die Displaybeleuchtung ist nun nicht mehr grün sondern ein bläuliches Weiss.

Dann mal los, alle Einstellungen analog zur D5 konfigurieren – schliesslich möchte ich die Neue auch blind bedienen können. Das gelingt tadellos, alles ist dort wo ich es suche, ganz Nikon-like. Einige Menüpunkte sind dazu gekommen oder ergänzt worden; Netzwerkeinstellungen, Messfeldkonfigurationen und einiges mehr. Die einzige Funktion, welche ich vorerst nicht fand, ist die Spiegelvorauslösung – bis ich entdeckte, dass sie neu zur «Auslöseverzögerung» umgetauft wurde. Um sie flink aktivieren zu können, empfiehlt es sich, diese Funktion vorab auf eine umbelegbare Taste zu legen (z.B. die Belichtungs-Steuerungtaste am Knubbel links vom Prisma).

So – und nun das erste mal abdrücken: Wow! Nun wären wir bei Tschaikowski; das Auslösegeräusch tönt wie das Knacken einer Baumnuss. Ein sattes Crack und fertig. Der Spiegel scheint dermassen schnell wieder in seiner Ursprungsposition zu sein, dass der Nachschlag nicht wahrnehmbar ist. Nochmals Auslösen: Crack! Ihr Übername drängt sich auf: die D6 ist der neue Nussknacker! Pragmatiker mögen zwar monieren, dass das Auslösegeräusch auf die Bildqualität keinen Einfluss habe, aber dieses leise Zirpen hat Suchtpotential – und ich liebe Knacknüsse. Genau so wie das V8-Blubbern eines 50er-Jahre Chevi die Fahrroute nicht beeinflusst, aber den Fahrer in einen übermenschlichen Zustand versetzt. Als Fotograf und Genussmensch erfreut man sich eben auch an scheinbar unwichtigen akustischen und optischen Eigenschaften.

Mit der Unschärferegulierung des AF DC-Nikkor 135 mm sind wunderbare Freisteller möglich. Überhaupt, dieses Objektiv fristet zu Unrecht ein Schattendasein. Dass es Nikon nach 30 Jahren immer noch im Sortiment hat, erstaunt eigentlich nicht, denn es ist eine optische Perle! Knackscharf wo es scharf sein muss, butterweiche Unschärfe für fantastische Freisteller.

Verliebten-Schloss an der Kennedybrücke: knackige Schärfe auf dem Punkt (135 mm f5.6 Defocus)

AF DC-Nikkor-Objektive nutzen die exklusive «Defocus-image Control»-Technologie von Nikon. Mithilfe dieser Technologie können Fotografen das Mass sphärischer Aberrationen im Vordergrund oder Hintergrund durch Drehen des DC-Rings am Objektiv steuern. Dadurch entsteht eine abgerundete Unschärfe, die ideal für Porträtaufnahmen geeignet ist. Kein anderes Objektiv ist mit dieser speziellen Technik ausgestattet.

Der Autofokus ist der altbekannte Stangen-Autofokus, somit kann dieses Objektiv nur an Nikon Kameras mit AF genutzt werden, welche einen eigenen AF-Antrieb haben. Die Scharfstellung an der D6 ist sehr schnell; auch da merkt man kaum, dass noch «alte» Mechanik werkelt – ich bin beeindruckt, das Zusammenspiel der Generationen harmoniert bestens!

Auch bei sich schnell bewegenden Objekten beweist die D6 eine absolute Top-Reaktionsfähigkeit zusammen mit dem 135er. Das Objektiv ist praktisch verzeichnungsfrei und brilliert übrigens auch in der Architekturfotografie.

 

Extreme Verzeichnungsfreiheit an einer Hausfassade in Duisdorf (135mm f8)

 

Wunderschönes, fast kreisrundes Bokeh (135mm f4 bei ISO 3200)

Die D6 erlaubt mit ihrem sehr geringen Rauschverhalten bei hohen ISO-Werten und dem Gesichtserkennungs-AF eine Arbeitsweise in der Stadt, die ich mir bisher so nicht gewohnt war. Hier zeichnet sich der kleine Unterschied aus, der gross rauskommt!

 

Wir überholen einen kleinen Hund an einer Kreuzung – für ein scharfes Bild, vom Rücksitz aus durch die Autoscheibe hindurch fotografiert, muss auf das Material Verlass sein!

 

Beispiele mit ISO 20’800 f8 1/400 mit dem 135er, Defocus ausgeschaltet. Oben:  Nikon D5, unten: Nikon D6 mit je ca 180%- Ausschnitt

Als gestalterische Mittel setze ich gerne die Blende und die Verschlusszeit selber ein. Der Gebrauch der ISO-Automatik bekommt somit eine neue Dimension, da ich mir über hohe ISO-Werte bis 25’600 kaum Sorgen machen muss.

 

Konrad-Adenauer-Platz (35mm f8 bei ISO 12’800) in der Dämmerung. Links Nikon D5, rechts Nikon D6

 

Nikon D6 mit 135er: Selbst bei höchsten ISO-Werten ist die Detailtreue auf den Gurken am Bio-Markt ausgezeichnet (ISO 22’800 f8)

Kombiniert mit dem Augen-AF gelingen Hüftschüsse selbst mit einem Teleobjektiv. Das Zielen und Einschätzen des Winkels verlangt selbstverständlich Übung und Vorstellungskraft, welche mir keine Kamera abnehmen kann – und das ist auch gut so.

Streetfotografen haben den Ruf, gerne unauffällig zu sein, was mit dem Paar D6 und 135er eher schwierig umsetzbar ist. Es stört mich aber nicht wirklich, denn man kann sich diese scheinbare Hürde leicht zum Vorteil machen. Indem man etwas umdenkt und anders arbeitet, öffnen sich neue Türen und Perspektiven. Man fällt auf und wird von Leuten angesprochen; so schaffe ich mir auch die «Datenschutz-Liebhaber» von Vorneherein vom Leibe und es ergeben sich wunderschöne Begegnungen, Situationen, Blicke und ein verbaler Austausch, welche plötzlich zu einem ganz spontanen Porträt führen können.

Und wenn ich mal doch unauffällig spontane, ungeplante Situationen festhalten will, verwende ich eine ganz raffinierte Methode: ich fotografiere zu zweit mit meiner Partnerin, so dass immer einer von uns auffällig ist – nicht beide gleichzeitig.

 

Auch für Porträts eignet sich der Defocus-Objektiv für wunderschöne Freisteller (135mm f2 Defocus)

Nun, aber was wenn es mal ganz leise sein muss? Da kommt die «stille Live-View Auslösung» zum Zug. Zwar arbeitet dann der Autofokus damit nicht ganz so schnell wie im Sucherbetrieb, dafür ist sie absolut lautlos, was in bestimmten Situationen sehr wertvoll ist. Als Liebhaber des Nussknacker-Geräusches musste ich beim Testen schon nachschauen, ob jetzt wirklich ein Bild aufgenommen wurde; denn «still» heisst bei der D6 wirklich still!

 

Fazit

Die neue Nikon D6 ist eine atemberaubende Kamera, die kaum Wünsche offenlässt. Sie auf eine Action- und Sportkamera zu reduzieren, würde ihr absolut nicht gerecht. Zusammen mit den aktuellen Telezooms von Nikon ist sie mit Sicherheit die erste Wahl jedes Sport- oder Reportagefotografen – aber nicht nur, und in Kombination mit dem ganzen Objektivsystem von Nikon ist sie wohl die universellste Vollformatkamera überhaupt. Ihre Bildqualität und das Rauschverhalten sind top. Die JPGs sind sehr gut und zum Glück nicht aggressiv aufbereitet.

 

Spanisches Restaurant in der Altstadt, unbearbeitetes jpg mit ISO 25’600

Das seit 30 Jahren produzierte AF DC-Nikkor 1:2/135 mm D hat mich an dieser Kamera besonders begeistert. Es würde mich nicht wundern, wenn dieses Objektiv in Zeiten, wo alle von Bokeh reden, plötzlich wieder eine Liebhabergemeinde um sich scharen würde. Das 1.4/105er ist fantastisch, der AF extrem schnell, selbst ein springendes Kind bei Blende 1.4 bildet es knackschaft ab.

Ach – übrigens: das Theater Bonn führt – so Gott und Corona wollen – den Nussknacker mit einer Choreographie von Yuri Grigorovitsch am 22. und 23. Dezember 2020 im Opernhaus auf. Nicht verpassen, D6 dabei haben!

Praxisaufnahmen: Christian H. Hildebrand
Text: Christian H. Hildebrand und Zaboo
Weitere Bilder zu diesem Projekt finden Sie hier.

Christian H. Hildebrand und Zaboo

Berufsfotograf Christian H. Hildebrand lebt und arbeitet mit Porträtistin Zaboo in Allenwinden bei Zug. Daraus entstehen von Spontaneität geprägte Projekte. Sobald sie wieder Zeit für sich haben, reisen sie nach nah und fern auf der Suche von neuen Ideen und Motiven. Eines ihrer Langzeitprojekte haben sie mit den Roten Schuhen bereits in Hamburg (siehe Fotointern) realisiert. Im Alltag führen sie in ihrer Firma fotozug.ch Aufträge mit Schwerpunkt Event, Porträt, Firmenporträt, Image, CI und Architektur aus. Auch A-La-Carte Events mit gemischten Aktionen und Performances Foto/Malerei und Teilnehmer-Animation gestalten sie für ihre Kundschaft. Christian H. Hildebrand ist ausserdem für die lokale und internationale Presse tätig.

Webseite: fotozug.ch, Instagram: @fotozug.ch, @christianherberthildebrand, @artelier

 

6 Kommentare zu “Nikon D5 vs. Nikon D6: Ein etwas ungewöhnlicher Praxistest”

  1. Hm… auf den Bericht stieß ich, weil ich nach einem Vergleich von D5 und D6 suche (kann mich nicht entscheiden welche ich nehme).
    Der Artikel ist nett, aber ein Vergleich von D5 zu D6 ist es nicht. Es wird nur von der D6 erzählt, die D5 kommt gar nicht vor und eigentlich ist es ein Test des schönen DC 135ers.

    1. Hallo Lars. Ja du hast vollkommen recht.
      Das war kein Vergleich von D5 und D6 weil es keine relevanten Unterschiede gibt!!!!
      Ich finde es auch überzogen, eine Kamera wegen des Auslösegeräusches zu bewerten.
      Musste laut Lachen.

      1. Doch, es gibt relevante Unterschiede: https://cameradecision.com/compare/Nikon-D5-vs-Nikon-D6
        Die Fragen lauten: Sind die Unterschiede für meine Arbeit relevant? Und stimmt das Preis-Leistungsverhältnis?
        Wenn ich schaue, in welchem Rahmen sich im Januar 2023 die Occasionspreise der Nikon D4s, D5 und D6 vergleichsweise bewegen würde mich schon interessieren: Welche dieser Occasionsangebote, Julio, würdest du heute kaufen?

        Nikon demonstriert sehr schön (z.B. auch bei der D810 im Vergleich zur D850), dass neben den rein technischen Daten auch die „Benutzeroberfläche“ der Kameragehäuse in die Kaufentscheidungen eingehen. Die Bedienbarkeit der D850 (D6) ist gegenüber den Vorgängermodellen deutlich besser geworden, und auch das spiegelt sich in den Occasionspreisen wider.

  2. Ich frag mich schon seit jeher ob die Superschlauen Marketingler die Kameras extra nichtergonomisch konzipieren damit ein update erst sinn macht. NB: Allfällige klebrigen Griffe(vor allem bei ganz alten spiegelreflex-AF-kameras lassen sich am besten mit Waschbenzin reinigen. Ein gewisser Grip wird bleiben.

    1. Seltsam wat schon die erste Sony-Vollformat der 7er-Serie. Deren Auslöser war schlecht erreichbar und mit Handschlaufe überhaupt nicht. Erst die Version 2 hatte diesen Mangel nicht mehr. Dafür ein unlogisch angeordnetes Menue, das diverse Nachfolger später erst logischer wurde.
      Danke für den Hinweis bezüglich klebrigen Griffen!

  3. Interessante Sujets gab es in der Anfangs-Zeit besagten Objektives um das Hotel am Rhein, wo man Ost und West traf. Von Romeos über Divisionär Z. bis zum geheimnisvollen Sasha wurde kein Funktion ausgelassen. Nur publiziert wurden solche Street-Fotos nie, obwihl der Datenschutz noch kaum existierte. Eine kleine Stadft in Deutschland (Zitat) eben 😉

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