Urs Tillmanns, 14. Februar 2021, 10:00 Uhr

Bilder komponieren mit Linien und Flächen

Im engeren Sinn besteht eine Fotografie nur aus Linien und Flächen, wobei die Linien die Kanten der Flächen sind. Etwas weiter gefasst kann man jedes Bild als ein zweidimensionales Muster auffassen, das aus hellen und dunklen Linien, Formen, Grautönen, Farben und Flächen besteht. Diese Elemente bilden die Grundbausteine unserer Komposition. Wenn wir wirkungsvolle Aufnahmen gestalten möchten, so müssen wir lernen, ihre Anordnung und ihre gegenseitigen Beziehungen zu verstehen und zu kontrollieren.

 

Linien und Flächen. Diese Aufnahme eines Treppenhauses zeigt sehr schön, wie mit Linien und Flächen ein Bild gestaltet wird und wie so eine starke Tiefenwirkung entsteht. (24 mm | f/2,8 | 1/30 | ISO 400 © Regula Seiler)

Bestandteile | Ich stelle Ihnen untenstehend einige wichtige Grundbestandteile der Komposition vor. Allerdings ist es wichtig zu verstehen, dass diese immer gemeinsam berücksichtigt und nicht isoliert betrachtet werden sollten. Eine Komposition ist eine Einheit und eine Veränderung eines Bestandteiles hat einen direkten Einfluss auf die gesamte Komposition. Das Ganze sollte dabei mehr sein als die Summe der Einzelteile.

Folgende Bestandteile werden in Kompositionen eingesetzt:

Wirkliche Linien: Gerade, gebogene, gezackte, horizontale und vertikale Linien, Umrisslinien und Linien, die aus schmalen Formen bestehen.

Imaginäre Linien: Linien, die nicht vollständig sind und sich durch ihre Anordnung beim Betrachten automatisch bilden.

Formen: Durch Linien und Flächen gebildete zweidimensionale Formen.

Grautöne: Helligkeitswert der Linien und Flächen mit ihrem gesamten Kontrastumfang.

Farben: Farbigkeit der Linien und Flächen insbesondere auch in Bezug auf die anderen Linien und Flächen im gleichen Bild.

Es lohnt sich, Fotografien nicht nur aufgrund ihres Inhalts zu betrachten, sondern auch die rein abstrakte Verteilung dieser Grundelemente zu überprüfen. Sie können das tun, indem Sie das Bild nur mit einem Auge ansehen und dabei das Auge leicht zukneifen. Dann sehen Sie nur die bildbestimmenden Linien und Formen.

 

Composing und Komposition. Gerade bei Composings ist die sichere Beherrschung der Bildgestaltung eine Grundvoraussetzung für den Erfolg der Arbeit. Bei diesem Beispiel wurde die im Studio aufgenommene Person im Bereich des Bilddrittels platziert. © Gabriella Wetli

Betrachten wir die Komposition als Ganzes, so können wir zusätzlich noch zwei grundsätzlich verschiedene Kompositionsarten erkennen: die statische und die dynamische Komposition.

Statisch | Eine Komposition wirkt statisch, wenn sich ihre grafischen Elemente im Gleichgewicht befinden. Das ist in der Regel der Fall, wenn das Motiv hauptsächlich aus waagrechten und senkrechten Linien besteht.

Bei Aufnahmen von hohen Gebäuden wirkt das Bild statisch, wenn die Linien nicht nach hinten stürzen, sondern senkrecht gezeigt werden (zum Beispiel mit einem Tilt-Shift-Objektiv). Das widerspricht den bekannten optischen Gesetzen, entspricht aber unserer eigenen Sehweise, denn wir wissen, dass ein Gebäude senkrecht steht. Sonst wirkt es für uns instabil und scheint nach hinten zu fallen.

 

Statische Komposition. Bilder mit vorwiegend vertikalen und horizontalen Linien wirken für uns statisch. Sie strahlen Stabilität und Ruhe aus. Es ist dabei wichtig, dass die Linien präzise ausgerichtet sind. Schon kleine Abweichungen können stören. Bei dieser Aufnahme aus Paris (La Défense) wurden die Hochhäuser mit einem Tilt-Shift-Objektiv genau vertikal ausgerichtet und das Bild wirkt so ruhig und statisch. (24 mm | f/11 | 1/125 | ISO 64 © Martin Zurmühle)

Eine Komposition wirkt auch statisch, wenn sich seine wichtigsten Bildformen in einem Gleichgewicht befinden. Das ist meistens der Fall, wenn das Motiv zentral in der Bildmitte steht, wenn es relativ gross abgebildet wird (zum Beispiel bei Porträtaufnahmen) oder wenn seine Linien zur Bildmitte zulaufen (Zentralperspektive).

Eine harmonische, statisch wirkende Komposition entsteht auch dann, wenn die bildwichtigen Linien und Flächen sich weitgehend gleichmässig im Bild verteilen und es nicht auf der einen oder anderen Seite ein Ungleichgewicht gibt. Besitzt ein Bild zum Beispiel zwei Hauptmotive, so ist das Bild im Gleichgewicht, wenn sich diese auf beiden Seiten gegenüberstehen. Bei drei und mehr Hauptmotiven entsteht ein Gleichgewicht durch eine gleichmässige Verteilung auf der gesamten Bildfläche.

Eine statische Komposition drückt Ruhe und Frieden, Beständigkeit, Erhabenheit, Zuverlässigkeit, Stärke, Sicherheit und Würde aus. Wenn Sie eine dieser Eigenschaften mit Ihrer Aufnahme ausdrücken möchten, dann ist eine statische Komposition der richtige Weg.

Dynamisch | Eine Komposition ist dynamisch, wenn ihre grafischen Elemente den Eindruck von Bewegung ergeben. Das ist in der Regel der Fall, wenn das Motiv vor allem aus schrägen oder diagonalen Linien besteht.

Sie können aus jedem statischen Bild ein dynamisches machen, wenn Sie die Kamera bei der Aufnahme stark kippen oder drehen. Nehmen Sie zum Beispiel ein sehr hohes Gebäude von unten auf, so «stürzen» die Gebäude stark nach hinten, was zu diagonalen Linien führt, die auf uns dynamisch wirken.

Eine schwache dynamische Komposition entsteht auch, wenn die bildwichtigen Linien und Flächen sich sehr einseitig im Bild verteilen und so ein Ungleichgewicht entsteht. Besitzt das Bild zum Beispiel ein Hauptmotiv, so entsteht ein Ungleichgewicht, wenn dieses weit von der Mitte entfernt platziert wird. Bei zwei und mehr Hauptmotiven entsteht ein Ungleichgewicht durch die Massierung der Motive in einem Bildbereich. Das Bild scheint dadurch auf eine Seite hin zu kippen.

 

Dynamische Komposition. Durch ein Drehen der Kamera erhält diese Aufnahme einen dynamischen Charakter. Hätte der Fotograf den Schriftzug waagerecht aufgenommen, so wäre das Bild statisch gewesen. Sie können bei jeder Aufnahme selbst entscheiden, welche Gestaltung besser zu Ihrem Motiv passt. (70 mm | f/2,8 | 1/30 | ISO 100 © Andreas Isenring)

Eine weitgehend horizontale Komposition, die nur leicht gekippt wird, wirkt nicht dynamisch, sondern der Betrachter sieht in diesem Kippen nur einen Aufnahmefehler (z.B. wenn der Horizont bei Meeraufnahmen nicht genau horizontal ausgerichtet ist oder ein Gebäude leicht nach hinten zu kippen scheint). Wollen Sie eine dynamische Wirkung erreichen, dann kippen Sie die Linien stark (z.B. 30 oder 45 Grad).

Eine dynamische Komposition ist dann empfehlenswert, wenn Sie zum Beispiel Gefühle von Tätigkeit, Bewegung, Geschwindigkeit, Gefahr, Unsicherheit und Leben erreichen möchten. Beispiele von dynamischen Kompositionen sind Aufnahmen von stark unten («Froschperspektive») oder stark oben («Vogelperspektive»). Diese verzerren die Wiedergabe von Architekturmotiven und führen zu stürzenden Linien.

Sie können die Wirkung einer statischen und dynamischen Konstruktion durch die Anordnung der bildbestimmenden Linien und Flächen beeinflussen. Liegen bei einer statischen Komposition alle wichtigen Elemente auf einer Seite, dann «kippt» das Bild auf diese Seite, auch wenn sonst alle Linien horizontal oder vertikal sind. Bei einer sehr dynamischen Komposition mit nur diagonalen Linien kann eine ausgeglichene Verteilung der Linien und Flächen diese wieder etwas ruhiger und ausgewogener machen. Es liegt an Ihnen zu entscheiden, wie stark Sie diese Effekte ausnützen möchten.

 

Ausgewogene Komposition. Durch die gleichmässige Verteilung der Elemente und Flächen erscheint uns diese Aufnahme ausgewogen zu sein. Der grossen Lampe auf der rechten Bildseite steht die grössere Fläche der Rückwand auf der linken Seite gegenüber. So gleichen sich diese Elemente gegenseitig aus. (40 mm | f/11 | 8 s | ISO 280 © Daniela Haldemann)

Bildformat | Das gewählte Bildformat kann die statische oder dynamische Komposition beeinflussen. Sie haben vier Möglichkeiten zur Auswahl: Querformat, Hochformat, quadratisches oder kreisförmiges Format. Durch den Zuschnitt nach der Aufnahme können Sie jedes beliebige Format erzeugen. Sie müssen einzig auf den Verlust an Detailzeichnung achten, wenn das Bild zu stark zugeschnitten wird. Diese Wahl hat einen entscheidenden Einfluss auf die Bildkomposition und Sie sollten genügend Zeit investieren, um das beste Bildformat und den besten Bildzuschnitt zu finden.

Das Rechteck (ob im Hoch- oder Querformat) drückt immer eine bestimmte Richtung aus. Je grösser das Seitenverhältnis wird, desto stärker ist dieser Effekt sichtbar. Besondere Formate (wie zum Beispiel das Panoramaformat) wirken ungewohnt und können so die angestrebte Bildwirkung verstärken. Es lohnt sich immer, mit besonderen Formaten zu experimentieren.

Der Kreis und das Quadrat sind spannungslose Formate, weil sie keine Richtung betonen. Wollen Sie aber absolute Ruhe und Harmonie ausdrücken, so ist gerade das Quadrat das Format der Wahl. Der Kreis ist noch stärker als das Quadrat auf die Mitte ausgerichtet. Dieses spezielle Format eignet sich allerdings nur für wenige Motive (z.B. für Kugelpanoramas oder kreisrunde Fischaugenbilder).

 

Unausgewogene Komposition. Obwohl das Bild perfekt horizontal ausgerichtet ist, scheint es leicht nach rechts zu kippen, weil das Hauptmotiv seitlich platziert ist. So wird auch bei einer sonst statischen Komposition eine schwache dynamische Wirkung erzeugt, die dem Bild mehr Spannung verleiht. (70 mm | f/13 | 1/180 | ISO 100 © Daniela Haldemann)

Regeln | Im Gegensatz zu den bisher behandelten kompositorischen Grundsätzen, sind konkrete Gestaltungsregeln nicht allgemeingültig. Zu praktisch jeder Regel gibt es eine Ausnahme. Und oft ist ein Regelbruch der richtige Weg, um die angestrebte Bildwirkung zu erreichen. Sie sollten deshalb die Bedeutung solcher Gestaltungsregeln (z.B. Goldener Schnitt, Drittelregel, Diagonalenmethode) nicht überschätzen. Sie dienen uns nur als Hilfsmittel bei der Komposition unserer Bilder. Es gibt keine Gestaltungsregel, mit der Sie herausragende Bilder erklären oder herstellen können. Dazu braucht es mehr. Und durch den häufigen Gebrauch nützen sich solche Regeln ab und verlieren an Wirkung.

Gestaltungsregeln sind jedoch gute Werkzeuge, die uns helfen, unsere Bilder zu komponieren, um so unsere Ziele zu erreichen. Es ist deshalb gut, wenn Sie viele verschiedene Regeln kennen und ihre Wirkung beurteilen können. Das erweitert Ihre Gestaltungsmöglichkeiten und gibt Ihnen die Sicherheit zu erkennen, wann es Sinnmacht, davon abzuweichen.

Vor allem beim Arbeiten mit starken Formen spielen Gestaltungsregeln eine wichtige Rolle. Sie helfen uns, die Lage der Elemente im Bild festzulegen, um die angestrebte Bildwirkung zu erreichen. Für sich alleine reichen diese Regeln nicht aus, erst in Kombination mit dem Motiv entfalten sie ihre Wirkung.

 

Panoramaformat. Ungewöhnliche Formate (wie bei dieser Panoramaaufnahme von Zürich in der Blauen Stunde), üben eine besondere Faszination auf uns aus. Dieses Bild wurde aus einer Belichtungsserie von 6 x 7 Aufnahmen zusammengefügt. (27 mm | f/7,1 | 1/3 – 20 s | ISO 200 © Daniel Rohr)

 

Gestaltungsregeln aus persönlicher Praxis

Ich stelle Ihnen ein paar Gestaltungsregeln vor, die sich in meiner fotografischen Praxis bewährt haben:

Mitte meiden: Die Mitte ist unbestimmt und betont keine Richtung. Sie bedeutet deshalb Ruhe, Harmonie und Langweiligkeit. Natürlich dürfen Sie Bilder, die Ruhe, Harmonie und Langweiligkeit ausdrücken, in der Mitte anordnen. Das passt dann perfekt zur Bildaussage. Solche Situationen sind aber eher selten, sodass Sie meistens besser fahren, wenn Sie den Bildaufbau von der Mitte entfernen. (70 mm | f/4 | 1,5 s | ISO 100 © Gabriella Wetli)

Goldener Schnitt: Der Goldene Schnitt ist ein bestimmtes Verhältnis, wie eine Strecke geteilt wird. Dieses Streckenverhältnis wird in der Kunst, Fotografie und Architektur oft als ideale Proportion und als Inbegriff von Ästhetik und Harmonie angesehen. Dieses Teilverhältnis (genau 1:1,618…, annäherungsweise 5:8) wirkt spannender als die Mitte, ist aber trotzdem noch sehr harmonisch und ausgewogen. Leider wird der Goldene Schnitt in der Fotografie so oft eingesetzt, dass er manchmal abgenützt wirkt. (62 mm | f/11 | 1/90 | ISO 100 © Daniela Haldemann)

Randstellung: Ein Motiv genau in der Mitte wirkt nach allen Seiten hin gleich stark. Je weiter es von der Mitte nach aussen rückt, desto stärker entfaltet es (wie ein Gummizug) eine Wirkung in Richtung der Bildmitte. Eine starke Randstellung kann deshalb sehr spannend sein und der freie Raum wirkt als Gegenform und verstärkt die Bildwirkung. (62 mm | f/11 | 1/90 | ISO 100 © Daniela Haldemann)

Raum geben: Ausser bei engen Close-ups benötigen viele Bilder genügend Raum zum «Atmen». Nehmen Sie deshalb Ihre Motive nicht zu eng auf (oder machen Sie gleich mehrere Aufnahmen mit verschiedenen Ausschnitten), damit Sie später in der Bildbearbeitung den definitiven Zuschnitt gestalten können. Weist das Motiv (z.B. mit dem Gesicht oder der Haltung) in eine bestimmte Richtung, so ist es von Vorteil, ihm in dieser Richtung mehr Raum zu geben. Wollen Sie hingegen eine hohe Geschwindigkeit ausdrücken, so kann das Motiv in Bewegungsrichtung nahe am Rand sein (wie wenn es bald das Bild verlassen würde). (66 mm | f/2,8 | 1/180 | ISO 100 © Daniela Haldemann)

Reduktion: Viele Elemente im Bild verwirren den Betrachter. Durch eine starke Reduktion auf wenige Formen und Linien gewinnen Bilder an Kraft. Versuchen Sie nicht, dem Betrachter mit einer Weitwinkelaufnahme alles zu zeigen, was Sie selbst sehen, sondern überlegen Sie, welche Elemente Sie benötigen, um die gewünschte Bildaussage zu erreichen. Alle Bildelemente, die sie dazu nicht brauchen, sollten Sie auch konsequent weglassen. (70 mm | f/13 | 1/180 | ISO 100 © Daniela Haldemann)

Enger Ausschnitt: Ist es nicht möglich, dem Motiv genügend Raum zu geben, und die Zahl der Bildelemente gleichzeitig klein zu halten, dann hilft oft ein enger Ausschnitt. Dadurch können Sie störende Elemente ausblenden und Ihre Aufnahme gewinnt an visueller Kraft. Ein enger Ausschnitt ist leichter zu gestalten als ein weiter. (100 mm | f/11 | 1,5 s | ISO 100 © Stefanie Rochat)

Bezüge herstellen: Mehrere bildwichtige Elemente des Fotos nehmen sofort miteinander einen Bezug auf. Wie Sie diese Elemente zueinander anordnen, ist entscheidend für die Wirkung, die das Bild auf den Betrachter entfaltet. Bei abstrakten Bildern spielen die Proportionen und der Rhythmus dieser Anordnung eine wichtige Rolle, bei Aufnahmen mit Menschen die gegenseitige Beziehung der Personen zueinander und zum Betrachter. (35 mm | f/8 | 1/125 | ISO 100 © Martin Zurmühle)

Gegensätze betonen: Viele Bilder leben von gut erkennbaren Gegensatzpaaren: gross und klein, warm und kalt, arm und reich, hart und weich. Suchen Sie nach solchen Gegensatzpaaren und arbeiten Sie diese in der Bildgestaltung konsequent heraus (z.B. durch die richtige Platzierung im Bild). (35 mm | f/8 | 1/125 | ISO 100 © Martin Zurmühle)

Bei allem, was Sie in der Fotografie tun, machen Sie es konsequent. Wollen Sie Harmonie, Schönheit und Romantik zeigen, dann verwenden Sie zum Beispiel ein möglichst weiches Licht, eine statische Bildkomposition und schöne Motive. Wollen Sie Kraft, Spannung, Dynamik zeigen, dann setzen Sie ein kontrastreiches, hartes Licht ein, komponieren Ihr Bild dynamisch und wählen kraftvolle Motive. Wollen Sie grafische Bilder machen, dann reduzieren Sie alle Elemente im Bild, bis nur noch die Grafik wirkt. Lassen Sie dabei alle Elemente weg, die nichts zur Bildaussage beitragen.

Für Andreas Feininger gibt es drei weitere Gestaltungsregeln, für die er keine Ausnahmen gefunden hat:

Weisse Flächen: Kleine, weisse Flächen, die in den Bildrand auslaufen, lassen diesen wie «angeknabbert» erscheinen und lenken vom Motiv ab. Solche helle Randbereiche und Flecken sollten Sie meiden. Hat der Betrachter sie entdeckt, so wird sein Blick «magisch» davon angezogen.

Runde Formen: Runde Formen und Kurven, die nahe am Bildrand liegen, sollten nie die Ränder des Bildes berühren. Entweder werden sie mit genügend Abstand ganz gezeigt oder stark angeschnitten. Bei Porträtaufnahmen ist diese Regel wichtig, wenn es darum geht, den Kopf entweder ganz zu zeigen oder kräftig anzuschneiden.

Ecke: Linien, die mehr oder wenig diagonal gegen eine Bildecke laufen, sollten nie genau in die Ecke gehen. Diese Regel hat heute allerdings ihre Bedeutung verloren, weil in der digitalen Welt ein pixelgenaues Zuschneiden des Bildes in die Ecke kein Problem mehr ist (im Gegensatz zur analogen Zeit, wo das oft nur sehr ungenau erfolgen konnte).

Die Ästhetik, die Frage nach der «Schönheit» eines Bildes, hat einen direkten Zusammenhang mit der Bildkomposition. Die Psychologie der Ästhetik beschäftigt sich mit der Frage, welche Gestaltung bei einem Bild vom Betrachter bevorzugt und von ihm als »schön« empfunden wird.

Martin Schuster schreibt dazu: «Die Bestimmungsstücke einer Ästhetik können in irgendeiner Form Ordnung (Symmetrie, Balance, Goldener Schnitt usw.) und Wiederholung sein.» Auch hier steht also die Ordnung im Zentrum, die durch verschiedene gestalterische Massnahmen gefördert werden kann. Dadurch wird das Resultat vom Betrachter, (gegenüber einem ungeordneten Bild), bevorzugt und somit auch als attraktiver und schöner beurteilt.

Bezüglich der Fragen nach der «Schönheit» einer Aufnahme oder einer Bildkomposition lassen sich deshalb einige allgemeine Regeln formulieren:

Symmetrie: Unter Symmetrie versteht man Wiederholung auf der linken und rechten Seite oder oben und unten, jeweils über eine Symmetrieachse gespiegelt. Symmetrien beruhigen die Gestaltung und schaffen ein hohes Mass an Ordnung. Symmetrie ist die wohl konsequenteste Entwurfsform in der Architektur. Auch die Reihenfolge der «Schönheit» geometrischer Formen von Augustinus (354-430) hält sich an diese Regel: ungleichseitiges Dreieck, gleichseitiges Dreieck, Quadrat, Kreis und Punkt. Das ungleichseitige Dreieck hat eine Symmetrieachse, das gleichseitige drei, das Quadrat vier und der Kreis und der Punkt unendlich viele. Je höher das Mass an Symmetrie, desto schöner wird die Form von uns empfunden. (160 mm | f/11 | 1/250 | ISO 200 © Martin Masafret)

Balance: Ist unser Bild nicht symmetrisch aufgebaut, so können wir trotzdem eine Art Symmetrie erreichen, wenn die Flächen der Motive und ihr Abstand von der Mitte des Bilds sich gegenseitig ausbalancieren. Das funktioniert ähnlich wie bei einer Waage, wobei der Abstand und das «Gewicht»« eine Rolle spielen. Je nach Farbe oder Helligkeit wirken die Flächen dabei ungleich «schwer». Eine ausbalancierte Komposition wirkt gefälliger als eine unausbalancierte. (17 mm | f/9,5 | 1/3 | ISO 200 © Martin Masafret)

Wiederholungen: Bei einer symmetrischen Komposition arbeiten wir mit Wiederholungen. Aber auch ohne Symmetrie können wir mit Wiederholungen Ruhe und Ordnung ins Bild bringen. Wiederholungen von gleichen oder ähnlichen Formen und Motiven bringen häufig einen zusätzlichen visuellen Reiz und machen so das Bild interessanter und attraktiver.

 

Wiederholungen sind starke Gestaltungsmittel. Nicht nur sich wiederholende Muster in Gebäuden oder bei Reihen von Stühlen, sondern auch Gesichter, die alle in eine gleiche Richtung schauen, gewinnen durch die Wiederholung an Wirkung. Diese vier Affen schauten (mit individuellen Gesichtsausdrücken) nur für einen kurzen Moment alle in die gleiche Richtung. Zum Glück hatte ich meine Kamera bereit, um diesen Moment festzuhalten. (75 mm (150 mm) | f/2,8 | 1/180 | ISO 200 © Martin Zurmühle)

Natürlich gibt es noch mehr Regeln, wie Sie ein Bild gestalten können. Ich werde Ihnen in den folgenden Kapiteln dazu einige Hinweise geben. Es ist gut, Regeln zu kennen, es ist aber auch gut, bewusst von diesen Regeln abzuweichen und eine eigenständige und überraschende Sichtweise zu entwickeln.

Je konsequenter Sie Ihre Bildgestaltung einsetzen, desto stärker wird sie auf den Betrachter wirken. Entscheidend ist also, dass Sie schon vor der Aufnahme wissen, was Sie eigentlich mit dem Bild aussagen möchten. Sobald das Ziel klar ist, können Sie alle Gestaltungsmassnahmen davon ableiten. Es ist eine gute Übung, Gestaltungsregeln in fremden und eigenen Bildern zu suchen. In praktisch jeder stark wirkenden Fotografie werden Sie solche Regeln entdecken.

 

Leseprobe aus «Das grosse Lehrbuch Digitale Fotografie» von Martin Zurmühle
Kapitel 7.3 Bestandteile/Regeln
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Text: Martin Zurmühle

 

 

Das Buch ist in der zweiten Auflage 2018 erschienen im
Vier-Augen-Verlag, Luzern
ISBN 978-3-9523647-7-2
Preis CHF 59.90

Das Buch kann im Buchhandel gekauft oder direkt beim Verlag bestellt werden.

 

Lesen Sie auch
die Buchbesprechung auf Fotointern (12.05.2018)

Der Autor

Martin Zurmühle ist in Luzern 1956 geboren und aufgewachsen. Mit 16 begann seine Leidenschaft für die Fotografie. Seit seiner Ausbildung zum Architekt ETH/SIA leitet er sein eigenes Architekturbüro in Luzern. Zusätzlich arbeitet Zurmühle als Ausbilder und Auditor für Managementsysteme. Seit 2002 betreibt er ein Fotostudio, eine Fotoschule in Ebikon bei Luzern und ist Lehrgangsausbildner beim Zentrum Bildung in Baden. Martin Zurmühle ist vor allem auf die digitale Porträt-, Akt- und Erotikfotografie spezialisiert.

 

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