Urs Tillmanns, 14. März 2021, 11:22 Uhr

Fred Boissonnas und das Mittelmeer – eine fotografische Odyssee

Die wegen Corona bis 28. März 2021 verlängerte Ausstellung im Museum Rath in Genf zeigt das Werk von Fred Boissonnas (1858-1946), dem produktivsten und bekanntesten Vertreter der «Boissonnas-Dynastie». Diese war eine der bedeutendsten Fotografenfamilien in der Schweiz, die 1864 mit der Gründung des Ateliers in Genf durch Henri-Antoine Boissonnas (1833-1889) eine 130-jährige Tätigkeit aufnahm. Der jüngere seiner beiden Söhne, Edmond-Victor (1862-1890), befasste sich mit der Herstellung von Trockenplatten, während der ältere, Fred (1858-1946), zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Mittelmeerraum bereiste und mit seinen Expeditionsbildern und mehreren Kunstbänden internationales Ansehen erlangte. Das Atelier Boissonnas wurde von Freds Söhnen Edmond-Edouard (1891-1924), Henri-Paul (1894-1966) und von Paul (1902-1983) bis 1969 weitergeführt, bis es 1990 von dessen Schwiegersohn Gad Borel (geb. 1942) aufgelöst wurde.

 

Fred Boissonnas (1858 – 1946), Selbstporträt, 1900. Bromsilber-Print, © Bibliothèque de Genève 

Das Schaffen von Fred Boissonnas ist stark durch den Piktorialismus inspiriert, zu deren Hauptvertretern er in den 1890er Jahren in Europa gehörte, doch sucht er bald nach neuen Stilformen, um die Fotografie als eigenständige Kunstform zu positionieren. 1903, auf dem Höhepunkt seiner geschäftlichen Karriere, verliess Fred Boissonnas den Familienbetrieb in Genf und bereiste Griechenland, wo er mit Schriftstellern, Gelehrten und Politikern zusammentraf. Er ist von den Landschaften des Peleponnes und vom Licht des Mittelmeers fasziniert, befasst sich jedoch auch mit den phönizischen, ägyptischen, griechischen, hebräischen, römischen, muslimischen und christlichen Kulturen von den Alpen bis zur Wüste Sinai, die in seinen Bildern zu sehen sind.

 

Fred Boissonnas «Meer vor Sizilien mit dem Spiel silberner Wellen», 1912, © Bibliothèque de Genève

Die Ausstellung konzentriert sich auf das Bildschaffen von Fred Boissonnas und seine Reisen im Mittelmeerraum, den er in den ersten dreissig Jahren des 20. Jahrhunderts auf der Suche nach Licht, nach Grossgriechenland und dem unabhängigen Ägypten, nach den Orten Homers und den Landschaften der Bibel durchstreift. Fred Boissonnas Bilder zeigen nicht nur stimmungsvolle und faszinierende Bilder der Mittelmeerländer, sondern diese bringen auch deren weitgehend unbekannte Kultur nach Europa. Die Ausstellung zeigt die verschiedenen Etappen seiner Reisen durch Griechenland, Nordafrika, Ägypten und dem Sinai, mit grösstenteils unveröffentlichten Drucken, Kunstbüchern, Autochrome-Farbaufnahmen, Postern und handschriftlichen Dokumenten sowie luxuriös ausgestatteten Editionen, die Boissonnas erfolgreich machten, bevor er in Konkurs ging. Die Ausstellung beleuchtet auch die vielen Kooperationen, die es ihm ermöglichten, diese Reisen zu unternehmen, die Grenzen seiner Fotografie zu erweitern und die Vorstellungskraft seiner Zeitgenossen damit zu bereichern.

 

Fred Boissonnas, «Das griechische Theater von Taormina, Sizilien», 1912, © Bibliothèque de Genève

 

Fred Boissonnas, «Der Strand von Messina: Pharo, Skylla, südlicher Eingang zur Meerenge», 1912, © Bibliothèque de Genève

Die Ausstellung ist in sieben Sektionen aufgeteilt. Sie eröffnet mit einem Salon der piktorialistischen Fotografie, bevor sie ein Panorama von Fred Boissonnas‘ Karriere und seinem Vermächtnis bietet. Die anderen Abschnitte folgen seinem geografischen Weg, vom Alltag des Studios und den Grenzen der Fotografie bis zu seinen Bildern, die den Reichtum der mediterranen Landschaften und die Kulturen des Mittelmeerraums eindrucksvoll dokumentieren.

 

Fred Boissonnas, «Aegypten: Wanderdüne in der Wüste Khargah», 1930, © Bibliothèque de Genève

 

Fred Boissonnas, «Aegypten, Assiut: Prozession der Klageweiber in den Strassen zum Friedhof», 1929, © Bibliothèque de Genève

Auf seine erste Reise nach Griechenland im Jahre 1903 folgt 1912 eine zweite, die ihn nach Gibraltar, Italien, Griechenland und Tunesien führt, um die Orte zu erkunden, die Homer zu den Abenteuern des Odysseus inspiriert haben könnten. Auf einer weiteren Reise in den späten 1920er Jahren fotografiert er im Auftrag des ägyptischen Königshauses und ist auf der Suche nach einer Synthese der Geschichte, des Erbes und der Landschaften Ägyptens. Davon brachte Boissonnas hunderte von Dias und mehrere tausend Kontaktabzüge mit, um ein monumentales Kunstbuch, sein drittes und letztes, zu publizieren. Anhand einer Auswahl der schönsten Bilder kann der Besucher der Ausstellung die Entwicklung des Stils des Fotografen vom Piktorialismus bis zur Moderne nachvollziehen.

 

Fred Boissonnas bei der Arbeit: Links: «Fotomission auf dem Parthenon in Athen», 1907, Rechts: Paul Trembley (1885-1974), «Fred Boissonnas an der Arbeit in Oberägypten», 1929-1930, Postkarte, © Bibliothèque de Genève

 

Fred Boissonnas, «Das Parthenon nach einem Gewitter», 1907, © Collection N. Crispini

Im letzten Abschnitt seiner Expeditionen bereiste Boissonnas den Sinai, um das Leben und den Geist rund um den legendären Berg als letztes grosses, geträumtes und unvollendetes Projekt zu dokumentieren. Bis zu seinem Lebensende 1946 arbeitete Boissonnas weiter an der Geschichte und dem Relief der Küsten des Mittelmeers, in einem zunehmend mystischen Ansatz.

 

Fred Boissonnas, «Auf der Sinai-Halbinsel», 1930, © Bibliothèque de Genève

Die Ausstellung zeigt ferner als wichtigen didaktischen Aspekt die die Herausforderungen ein so reiches Erbe, wie die Boissonnas-Sammlung mit mehr als 200’000 Fotogrfaien unterschiedlichster Art zu erfassen und zu archivieren. Diese wurde 2011 von der Stadt Genf erworben und von den Archivaren der Genfer Bibliothek aufwendig bearbeitet. Es wird auch auf den nachhaltigen Umgang mit frühen fotografischen Dokumenten und Techniken hingewiesen, damit diese als dauerhaftes Erbe der Nachwelt erhalten bleiben.

Die meisten der in der Ausstellung erstmals gezeigten Fotografien stammen aus historischen Beständen, die in der Bibliothèque de Genève aufbewahrt werden. Weiter wurde die Ausstellung mit diversen Werken aus anderen Archiven und Museen sowie aus Privatsammlungen ergänzt.

 

Das Buch

Zur Ausstellung ist das Buch von Estelle Sohier, «Fred Boissonnas et la Méditerranée. Une odyssée photographique» in den Éditions de La Martinière, Paris, 2020, auf Französisch erschienen. Es umfasst 189 Seiten, kostet CHF 35.– und ist während der Ausstellung im Shop des Musée Rath, im Musée d’art et d’histoire und in der Bibliothèque de Genève, sowie im Buchhandel erhältlich.

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Musée Rath, Genf.

Die Ausstellung «Fred Boissonnas et la Méditerranée – une odyssée photographique» ist noch bis 28. März 2021 zu sehen im Musée Rath, Place de Neuve, CH-1204 Genève, Tel. 022 418 33 40

 

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2 Kommentare zu “Fred Boissonnas und das Mittelmeer – eine fotografische Odyssee”

  1. Sehr beeindruckende Aufnahmen. Und das alles ohne Bildstabilisator, Fokus-Stacking oder Sky-Replacement. Mehr von solchen Beiträgen.

  2. Wow, 3DStereokamera! Wäre interessant zu wissen warum er Konkurs ging. Wer sich mit aussergewöhnlichen Ideen befasst kann sich leicht verzetteln. Um was vorwärts zu bringen braucht es zwar Opferbereitschaft. Aber mit der nötigen Unterstützung der Umwelt hätten diese gemildert werden können, der Konkurs vermieden. Spreche aus eigener Erfahrung. Evtl. war er seiner Zeit voraus. Kenne jemanden der hat einen Freund in Paris mit riesiger 3DStereo-Plattensammlung aus aller Welt.

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