Die diesjährige 28. Ausgabe der Bieler Fototage, die noch bis 25. Mai 2025 dauern, steht unter dem Titel «Horizonte». Das Festival fordert uns anhand verschiedener fotografischer Ansichten auf, über die Landschaft und deren Rolle in unserer sich ständig verändernden Gesellschaft nachzudenken.
Die Bieler Fototage zeigen zu diesem Thema insgesamt 18 Ausstellungen, darunter sechs Weltpremieren und vier Schweizer Premieren, mit den Arbeiten von 15 zeitgenössischen KünstlerInnen aus der Schweiz und dem Ausland. Ein spannender fotografischer Rundgang führt die Besucherinnern und Besucher an zehn Orte der zweisprachigen Stadt Biel (französisch Bienne), deren Lokalitäten in vielen Fällen einen direkten Bezug zu den ausgestellten Werken aufweisen.
Strukturiert oder fragmentiert – die Landschaft ist eng mit der realen oder erdachten Beziehung verbunden, die der Mensch zu ihr hat. Mit der Beschreibung einer Landschaft entsteht eine Erzählung, eine Kulisse, eine Szene. Wir greifen zudem auf unsere Erinnerungen, unser Gedächtnis zurück und suchen neue Arten, sie wahrzunehmen, sie zu erfassen und darzustellen. Die 28. Ausgabe der Bieler Fototage präsentiert neue Horizonte und zeitgenössische Perspektiven, die sich mit Landschaften befassen und neue Formen ihrer Darstellung aufzeigen. Fotointern lädt Sie zu einer subjektiven Auswahl verschiedener Positionen ein.
Julius Schien: Rechtes Land, 2025
Seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 sind über 200 Menschen in Deutschland durch rechtsextreme Gewalt ums Leben gekommen. In einer Zeit, in welcher der Extremismus in Deutschland und weltweit auf dem Vormarsch ist, stellt Julius Schien rechtsextreme Verbrechen, welche auch die Identität des heutigen Deutschlands prägen, ins Rampenlicht. Ausgehend von Archivtexten über tödliche Gewalttaten erstellt er mit seiner Grossformatkamera einen visuellen Katalog der Tatorte, um die Geschichten der Opfer zu erzählen und die Orte zu kartografieren. Die Ausstellung zeigt einen Teil seiner laufenden Recherche, deren Ziel es ist, alle Tatorte seit 1990 darzustellen.
Anne-Marie Filaire: Terres, sols profonds du Grand Paris, 2018 – 2021
Mit ihrer fotografischen Arbeit interessiert sich Anne-Marie Filaire für die Transformationen der Landschaft. Für «Terres, sols profonds du Grand Paris» hat die Künstlerin vier Jahre lang regelmässig die Ausdehnung der Grenzen von Paris beobachtet, eine gigantische Baustelle, die unsere Wahrnehmung des städtischen Gebiets verändert. Über 22 Millionen Tonnen Erdreich wird jedes Jahr ausgehoben. Hinzu kommen längerfristig 45 Millionen Tonnen im Zusammenhang mit den Unterhöhlungen für die 200 Kilometer langen Linien der künftigen Metro. Diese Erdschichten werden auf verschiedene Gelände am Rande der «neuen» Hauptstadt gebracht, wo sie abgeladen, gelagert, wiederverwendet oder umgewandelt werden. Die Bilder dokumentieren die enorme Aushöhlung des Untergrunds, die Umverteilung der Materie und die Entstehung einer neuen Geografie.
Virginie Otth: Plier les horizons, 2024 – 2025
Mit ihrer künstlerischen Recherche hinterfragt Virginie Otth die Materialität der Fotografie zwischen Sujet und Objekt. Ihre für das Festival konzipierte Installation «Plier les horizons» nutzt den Horizont verschiedener Fotografien, die sie angefertigt und anschliessend auf Kartonträgern ausgedruckt hat, um mit unseren gewohnten Bezugspunkten bei der Betrachtung eines Werks und im Raum zu spielen. Das Bild wird zum Objekt, zu Immersion, Emanzipation, Reflexion. Auf dieser imaginären Linie liegen urbane Horizonte, die Berge, die die Horizonte aufheben, die mentalen Perspektiven, die scheinbar unendlich sind und die Mauern, die errichtet werden. Ein visuelles Erlebnis, das uns zwischen mentalen und physischen Bildern in Bewegung setzt.
Anastasia Mityukova: Quiet neutrality, 2024 –
Mit der Arbeit von Anastasia Mityukova sollen die visuellen und ideologischen Narrative in Frage gestellt werden, die unsere Wahrnehmung der Welt, unsere ideologische Landschaft prägen. Ihre laufende Recherche mit dem Titel» Quiet neutrality» hinterfragt die diskreten Verästelungen zwischen der Schweiz, der Ukraine und Russland. Die Fotografin nimmt uns mit in die Geschäftswelt und die verschiedenen Strukturen, die im geschlossenen Milieu der Banken, Treuhandfirmen, Handelsgesellschaften und Consulting-Unternehmen in Genf, Zürich, Zug oder Locarno operieren. Ihre Installation, bestehend aus Bildern, Artikeln und Dokumenten aus ihren Recherchen und Begegnungen, veranlasst zu einer Reflexion über die Komplexität der Informationen und ihre verschiedenen Schichten auf der Ebene der Politik, der Wirtschaft, der Medien und der Geschichte, wo Wahrheit und Manipulation nahe beieinander liegen.
Alexander Jaquemet: Déjà-vu, 2024
Das visuelle Erlebnis von Alexander Jaquemet hinterfragt die Verbindungen zwischen dem Medium Fotografie und dem Gedächtnis. Was bleibt von den Eindrücken, die wir im Laufe unseres Lebens gesammelt haben? Wie entstehen Erinnerungen und wie beeinflussen sie unsere Wahrnehmung und unsere Vorstellung der Umgebung? Die Arbeiten des Künstlers schaffen Situationen, welche die BetrachterInnen zu einem visuellen Dialog zwischen Bekanntem und Unbekanntem, zwischen Bild und Realität, zwischen Vergangenheit und Gegenwart einladen. Daraus entsteht ein Spannungsfeld, in dem die Vorstellung bewusst oder unbewusst mit dem Gedächtnis konfrontiert wird.
Ahmed Khirelsid: Under Control, 2024 (CAP-Prize 2024)
Am 15. April wachten sie durch den Lärm ihrer in Not geratenen Familie und viele verpasste Anrufe auf ihrem Telefon auf. In Khartum war der Krieg ausgebrochen. Innerhalb weniger Stunden hörten sie die Geräusche von Artillerie und merkten, dass sie mitten in einem Schlachtfeld festsassen. Sie mussten weg. Tod, Gewalt, politische und wirtschaftliche Instabilität, Umwälzungen und Zweifel sind in den letzten fünf Jahren zum Alltag der Sudanesen geworden, von der Revolution über die Pandemie bis hin zum Militärputsch im Jahr 2021. «Under Control» ist ein persönliches Projekt, das ihre Erfahrungen dokumentiert, als sie gezwungen waren, ihr Elternhaus zu verlassen, und ihre Versuche, sich an diese neue Situation anzupassen. Durch diese Arbeit versuchen sie, das psychologische und emotionale Trauma zu erforschen und zu verstehen, das sie als Folge dieses Krieges erlitten haben.
Marco Frauchiger: Pink Landscapes & Transformational Objects, 2020 – 2024
Marco Frauchiger stellt sich die Frage, ob Krieg und daraus hervorgegangene Traumen, mit Bildern erzählt werden können. Er fotografiert die Folgen des Krieges in Laos, das meistbombardierte Land der Welt. Bei seinen Reisen sammelt er Bilder der zerstörten Landschaften. Die am Juraplatz präsentierten Bilder – Pink Landscapes – wurden mit abgelaufenen Diafilmen aufgenommen, was ihnen einen Rosastich und eine besondere Körnigkeit verleiht, die auf die Auslöschung des Gedächtnisses anspielen. Der Künstler hat zudem ein visuelles Repertoire an Gegenständen – Eimer, Löffel, Schüsseln, Tasse – erstellt, die aus den zurückgebliebenen Metallteilen von Bomben von der lokalen Bevölkerung gefertigt worden waren. Diese Bilderserie rückt die Resilienz der lokalen Bevölkerung in den Vordergrund, berichtet aber auch über die nach wie vor omnipräsenten Auswirkungen des Krieges im Alltag der Menschen.
Phil Penman: 96 Hours Biel-Bienne, 2025
Im Hinblick auf das Jubiläum «100 Jahre Leica» besuchte der renommierte Leica-Fotograf Phil Penman aus New York im Januar 2025 während 96 Stunden die Stadt Biel und porträtierte diese aus seiner ganz eigenen Sicht. Jeweils um 5 Uhr morgens machte sich Penman auf, um die Strassen, Quartiere, Menschen und die Umgebung von Biel zu entdecken. Jeweils mit drei Kameras dokumentierte er spezielle Momente, ikonische Szenen sowie ausgewählte, kreative BielerInnen. Das Resultat ist eine faszinierende und fesselnde Sicht auf die Stadt in Schwarzweiss. Das Bieler Kreativkollektiv REBL präsentiert dieses besondere Highlight im Lokal LaPoste zusammen mit Leica Camera zu ihrem 100-jährigen Jubiläum.
Lalie Thébault Maviel: Boussole, 2024
Lalie Thébault Maviel interessiert sich für Darstellungen des Kompasses, ein Instrument, das die Magnetfelder nutzt, damit wir uns in der Landschaft orientieren können. Aus verschiedenen Werken für Kinder und Erwachsene hat sie sogenannt pädagogische Fotografien zusammengetragen, ihren Hintergrund entfernt und sie neu zugeschnitten. Durch diese Auswahlarbeit bringt sie eine Poesie der Linien, Instrumente und Gesten ans Licht. Es geht darum, den magnetischen Norden vom geografischen Norden zu unterscheiden, sich an der Sonne, am Mond oder seiner Uhr zu orientieren, die Technik des Schattenwurfs anzuwenden oder die Elemente der natürlichen Umgebung zu beobachten.
Aline d’Auria: Se chiudo gli occhi vedo la montagna, 2023
Aline d’Auria behandelt die Frage der Landschaft als Ort der Erinnerung und als Grundlage für die Schaffung neuer Erzählungen. Um ihre Leidenschaft für die Berge, aber auch die Geschichte ihrer Mutter und ihr Leiden besser zu verstehen, ist die Künstlerin in das Familienarchiv mütterlicherseits von 1800 bis heute eingetaucht. Bei der Durchforstung dieses Familienarchivs hinterfragt Aline d’Auria seine mutmasslichen Wahrheiten und die Fähigkeit des Bildes, Machtverhältnisse in den Geschlechterbeziehungen zu verbergen beziehungsweise aufzudecken. Ihre Videoinstallation, in der drei Frauen aus drei unterschiedlichen Generationen einen befreienden Tanz aufführen, soll die weiblichen Figuren auf poetische Weise von einer vergangenen, gegenwärtigen und / oder künftigen Beherrschung befreien.
Léonie Rose Marion: Relever la nuit, 2022 – 2024
In einer Zeit, in der es in der Schweiz fast nicht mehr möglich ist, die natürliche nächtliche Dunkelheit zu beobachten, interessiert sich Léonie Rose Marion für die Auswirkungen der Lichteinstrahlung auf unsere Umwelt. Mit ihrer Arbeit «Relever la nuit» hinterfragt sie die Lichtverschmutzung, die durch unsere Lebensweise verursacht wird, und ihre Auswirkungen auf die Ökosysteme. Sie dokumentiert das Verschwinden der Nacht mit verschiedenen Arten von Bildern: Fotogramme, dokumentarische, experimentelle und wissenschaftliche Bilder, Diagramme usw. Indem sie das Licht und die Dunkelheit wie Forschungsmaterialien behandelt, erforscht sie auf subtile Weise die verschiedenen Eigenschaften und Paradoxe des Mediums Fotografie.
Ecole d’Arts Visuels Berne et Bienne, 2024
Unter der Anleitung ihrer Lehrer Alexander Jaquemet und Daniel Müller haben Studierenden der Schule für Gestaltung Bern und Biel der 2. Fachklasse Grafik und des 2. und 3. Jahres der CPMD verschiedene Arbeiten zum Thema dieser Ausgabe angefertigt. Entstanden ist ein vielfältiges Kompilat, das in den öffentlichen Räumen der Résidence au Lac präsentiert wird.
Bieler Fototage 2025 (3. bis 25. Mai 2025) Ausstellungen und Ausstellungsorte | ||
Fotokünstler/innen | Ausstellung | Ausstellungsort |
Schule für Gestaltung Bern und Biel | 2. Fachklasse Grafik und Studierende des 2. und 3. Jahres der CPMD | 1 Residenz au Lac, Rue d’Aarberg 54, Aarbergstrasse 54 |
Sébastien Reuzé (FR/BE) | Soleil, 2016–2024 | 2 Photoforum Pasquart, Faubourg du Lac 71, Seevorstadt 71 |
Julius Schien (DE) | Rechtes Land, 2025 | |
Anne-Marie Filaire (FR) | Terres, sols profonds du Grand Paris, 2018–2021 | |
Virginie Otth (CH) | Plier les horizons, 2024–2025 | |
Anastasia Mityukova (CH) | Quiet neutrality, 2024– | |
Naara Bahler (CH/AR) | Olvidamos cómo contemplar la madre tierra?, 2025 | |
Eden Levi Am (CH) | Zone rouge racines, 2025 | 3 Espace libre, Faubourg du Lac 73, Seevorstadt 73 |
Alexander Jaquemet (CH) | Déjà-vu, 2024 | 4 NMB, Neuhaus & Garten, Faubourg du Lac 52, Seevorstadt 52 |
Ahmed Khirelsid (SD) | Under Control, (CAP Preis 2024) | |
Tshepiso Moropa | Dineelwane (CAP Preis 2024) | |
Concours FNS – SNF | Wettbewerb für wissenschaftliche Bilder 2025 | |
Marco Frauchiger (CH) | Pink Landscapes and Transformational Objects, 2020–2024 | 5 Rue Basse, Untergasse |
Léonie Rose Marion (CH) | Relever la nuit, 2022–2024 | 6 Gewölbe Galerie, Rue Haute 4, Obergasse 4 |
Aline d’Auria (CH) | Se chiudo gli occhi vedo la montagna, 2023 | 7 Le Grenier, Rue Haute 1, Obergasse 1 |
Marco Frauchiger (CH) | Pink Landscapes and Transformational Objects, 2020–2024 | 8 Juraplatz, espace d’art, Place du Jura, Juraplatz |
Phil Penman (GB / US) | 96 Hours Biel-Bienne, 2025 (in Zusammenarbeit mit REBL und Leica) |
9 Ancienne Poste du Marché-Neuf, Rue Dufour 26, Alte Neumarktpost, Dufourstrasse 26 |
Lalie Thébault Maviel (FR) | Boussole, 2024 | 10 Bibliothèque de la Ville, Rue Dufour 26, Stadtbibliothek, Dufourstrasse 26 |
Weitere Informationen siehe www.bielerfototage.ch / Sämtliche Angaben ohne Gewähr |
Situationsbilder: Urs Tillmanns / Fotointern.ch
Die Bieler Fototage präsentieren vom 3. bis 25. Mai 2025 am zehn verschiedenen Orten der Stadt insgesamt 18 Ausstellung von nationalen und internationalen Fotokünstlerinnen und Fotokünstler. Die Ausstellungen können am Mittwoch bis Freitag jeweils von 12:00 bis 18:00 Uhr, am Donnerstag von 12:00 bis 18:00 Uhr und am Samstag und Sonntag von 11:00 bis 18:00 Uhr besucht werden. Der Pass für einen Tag kostet CHF 25.– / 20.–, für zwei Tage CHF 32.– / 25.– und für die ganze Dauer CHF 40.– / 30.–. Kinder bis 16 Jahre und Kultur-GA erhalten einen Gratiseintritt.
Weitere Infos: Es ist ein vielfältiges Aktionsprogramm geplant, dessen Details zusammen mit weiteren Informationen auf der Website www.bielerfototage.ch zu finden sind.