Urs Tillmanns, 10. Mai 2025, 10:00 Uhr

Fritz Franz Vogel: «Vergiss mein nicht!» Fotoobjekte des Erinnerns und Vergessens

Kleine Porträts in Broschen und Medaillons, Cartes-de-visites- und Cabinettbilder in Einsteckalben oder Vergissmeinnichtkarten mit liebevollen Texten – sie alle tragen dazu bei, dass wir unsere Lieben in Erinnerung behalten. Jetzt zeigt dieses Buch eine Fülle derartiger Sammelobjekte.

Oft sind es die kleinen Dinge, die persönlich wichtig sind und Freude bereiten. Wir heben uns die erste Locke, den ersten Zahn, eine Haarsträhne unserer Kinder auf, um immer an diese frühen Momente erinnert zu werden. Auch die Fotografie hat in solchen Erinnerungsgegenständen immer eine wichtige Rolle gespielt, zum Beispiel in Broschen, in Medaillons oder einer anderen Preziose. Die Miniporträts wurden entweder offen getragen oder im Innern versteckt, um so das Bild des Liebsten immer dabei zu wissen. Zwar sind diese Amulette über die Jahrzehnte etwas aus der Mode gekommen und durch Impressionen im Smartphone substituiert worden, doch umso seltener und wertvoller sind jene Schmuckstücke aus der Vergangenheit für Sammler und Liebhaber geworden. Das vorliegende Buch zeigt uns eine Vielfalt davon, in die mit viel handwerklichem Geschick kleine Porträts der Liebsten eingearbeitet worden waren.

Weitere wichtige Erinnerungsobjekte sind auch Fotoalben, deren Aufmachung und Aussehen im Laufe der Zeit dem Zeitgeist angepasst wurden. Besonders beliebt waren die Einsteckalben im 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts, in welchen die Carte-de-Visite- und Cabinettbilder aufbewahrt wurden. Das Buch zeigt Abbildungen ganz besondere Raritäten. Noch älter sind die Etuis, Kästchen und «Union Cases», in denen Daguerreotypien oder Ambrotypien aus der Frühzeit der Fotografie geschützt aufbewahrt wurden. Später waren die Erinnerungsbilder auch auf Alltagsgegenständen zu finden, zum Beispiel auf Schmuckdosen, Fächern, auf Trinkgläsern, Vasen oder auf Tellern – das Buch beweist eine unerwartet grosse Vielfalt von solchen Objekten, die als Träger von Erinnerungsbildern wertgeschätzt und über mehr als ein Jahrhundert von Generation zu Generation weitergereicht wurden.

In einem weiteren Kapitel entdecken wir Erinnerungskarten, die mit allen nur denkbaren Darstellungen gestaltet und mit herzergreifenden Texten an die Liebsten verschickt worden waren – dies zu besonderen Anlässen oder auch einfach als Liebesbeweis zwischendurch. Den Erinnerungskarten, die mit eingearbeiteten Fotografien individualisiert wurden, wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Auf vielen sind persönliche Gruss- und Liebesbotschaften zu sehen, dies in prachtvoller Kalligrafie mit Handschriften, die wir heute nur noch mit Mühe lesen können.

Zwei weitere Kapitel sind speziellen Objekten gewidmet: Da sind einmal die Kunstobjekte von Klaus Elle aus Hamburg, der alte Fotografien meist in schlechtem Zustand nutzt, um daraus neue Kunstwerke und Installationen zu kreieren. Seine Fotoobjekte bestehen aus Fotografien, die mit anderen Materialien zusammengebaut, verschränkt und verklebt werden, um deren Vergänglichkeit zu zeigen und ihre Zerbrechlichkeit zu charakterisierten. Im letzten Kapitel unter dem Titel «gerahmte Sehnsüchte» werden erotisch Bilder der vorletzten Jahrhundertwende in aussergewöhnlich gestalteten Rahmen präsentiert, zu deren Herstellung die verschiedensten Materialen und Stoffe mit handwerklich geschickten Verfahren originell gestaltet wurden.

Wie ist dieses Buch entstanden? Es zeigt die verschiedenartigsten mit Fotografien verzierten Objekte aus mehreren privaten Sammlungen, die sich alle mit der Thematik des Erinnerns und Vergessens befassen. So ist ein sehr vielfältiges Buch zu einem emotionalen Thema entstanden, das in dieser Art seinesgleichen sucht.

Für wen ist dieses Buch? Einerseits sind es natürlich die Sammler seltener Fotografien und Fotoobjekten, die an dieser Vielfalt von Darstellungen interessiert sind. Anderseits dürfte das Interesse für dieses Buch weit über das Fotogeschichtliche hinausgehen und eine emotionale Ebene erreichen – jene des Erinnerns und Vergessens …

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlages

Erinnern und Vergessen wird traditionsgemäss mit Verschwinden und Sterben in Verbindung gebracht. «Vergiss mein nicht!» tönt nach Hilfeschrei. Doch in unserem Alltag gibt es viele Beispiele, die ganz allgemein das Erinnern thematisieren. Wir machen einen Knopf ins Taschentuch, damit wir nicht vergessen, das Kellerfenster zu schliessen. Wir legen ein Objekt auf den Küchentisch, das uns an eine Verabredung mahnen soll. Wir memorieren mehrfach vor dem Einschlafen, was wir am nächsten Morgen unbedingt erledigen wollen. Überall gibt es kleine Tricks, dies und das nicht zu vergessen, was leicht vergessen gehen kann, wenn man vergesslich ist.

Gegenüber diesen Alltagstaktiken gegen das unmittelbare Vergessen kennen wir Verstärkungen und Bezeugungen von Beziehungen. Wir verstärken Beziehungen, indem wir sie mit Objekten begleiten. Ansichtskarten, Glückwunsch- und Neujahrskarten werden gegen das stille Vergessen verschickt und schon ist wieder eine Beziehung akzentuiert, aufdatiert, für ein paar Tage oder gar Monate im Bewusstsein des Empfängers gespeichert. Für nähere Bekannte und Liebste haben wir Tauschprodukte eingerichtet: ein Medaillon am Hals, ein Ring am Finger, ein Andenkenbild auf dem Nachttischchen, ein digital erstelltes und bloss als Pixeldatei vorhandenes Porträt auf dem Homescreen des Taschencomputers. Wo diese Andenken ins Gesichtsfeld kommen, ist Heimat, der Ort der Sicherheit und des Wohlbefindens. Überhaupt brauchen wir diese Kleinodien als Referenzen unseres Beziehungssystems. Es sind Repräsentanten in der Einsicht, dass wir nicht allein und einsam sind. Oder die Objekte machen uns wenigstens glauben, wir seien von Freunden und Bekannten umgeben und geschätzt.

Die Publikation präsentiert die Bildwerke von Silvia Boss/Basel und Klaus Elle/Hamburg und setzt diese den zwei kulturhistorischen Sammlungen von Willy Steiger/Wädenswil und Fritz Franz Vogel/Diessenhofen gegenüber. Dabei sind die Ansichtskarten mit einem 3d-Scanner erfasst, sodass ihre sensationelle Haptik auch im Druck greifbar ist.

 

Der Inhalt

Vergiss mein nicht – Reale und symbolische Repräsentationen von Verlust und Erinnerung
Erfahrungs- und Erinnerungsräume / Die Sentimentalität der Fotografie / Gerahmte Erinnerung / Die Kunst des Erinnerns / Augenkontakte – das skopische Verfahren / Herzenswünsche – das Zeitalter der Empfindsamkeit / Votive für den Alltag / Fazit / Bibliografie

Broschen und Medaillons (Sammlungen Willy Steiger, Fritz Franz Vogel)

Alben (Sammlung Willy Steiger)

Schatullen, Kästchen, Behältnisse & Gefässe (Sammlung Willy Steiger)

Wandbilder (Sammlung Willy Steiger)

Objekte und Souvenirwaren (Sammlung Willy Steiger)

Vergissmeinnichtkarten (Sammlung Fritz Franz Vogel)

Fotokunstobjekte von Klaus Elle

Effekte und Affekte auf Karten des Andenkens (Sammlung Fritz Franz Vogel)

Gerahmte Sehnsüchte von Silvia Boss

Geheimnisse (Sammlung Fritz Franz Vogel)

Biografie

Impressum

 

Autor und Herausgeber

Fritz Franz Vogel, geboren 1957 in Luzern, Schulen in Emmenbrücke und lmmensee. Studien an den Universitäten Fribourg (heilpäd. Diplom 1980) und Zürich (lic. phil. 1996 Volkskunde, Dr. phil. 2006/Kunstgeschichte), sowie an der Zürcher Hochschule der Künste (M.A. 2011 / ausstellen und vermitteln). Er arbeitet als Kulturwissenschaftler, Kunst- und Fotohistoriker, Herausgeber und Kurator seit 1992 produktiv, kooperativ und interdisziplinär in den Medien Text, Fotografie und Buch (Gestaltung, Druckvorstufe und Herausgeberschaft). Forschungen, Lehrtätigkeit, Publikationen und Ausstellungen in den Bereichen inszenierte und dokumentarische Fotografie, populäres und freies Theater, Bildwissenschaft und Kunstgeschichte, Exponatik und Visualistik, Alphabete, Körperbilder und Erotica. Er lebt und arbeitet in Diessenhofen, Schweiz.

 

Die Ausstellung zum Buch

Die öffentliche Vorstellung des Buches «Vergiss mein nicht!» findet mit einer Ausstellungsvernissage am Sonntag, 11. Mai 2025 ab 14:00 Uhr in der Tigerfinklifabrik, Steinerstrasse 16, CH-8253 Diessenhofen statt. Die Ausstellung dauert bis 1. Juni 2025 und ist donnerstags bis sonntags jeweils von 14:00 bis 18:00 Uhr geöffnet.

 

Bibliografie

Fritz Franz Vogel: «Vergiss mein nicht!»
Fotoobjekte und Ansichtskarten des Erinnerns und Vergessens

240 Seiten, 615 Abbildungen, Fadenheftung, Klappenbroschur, Format 200 x 240 mm, Gewicht 910g, 2025
Text Fritz Franz Vogel
Verlag ABCDEFGHIJKLMNOPQSTUVWXYZ, Diessenhofen
Preis: CHF 48.00
ISBN 978-3-03858-418-6

Das Buch kann im Buchhandel geordert oder direkt beim Verlag bestellt werden.

 

 

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