Im November 2024 präsentierte Canon in Zürich die Ausstellung «World Unseen» als einen kreativen Beitrag zur Inklusion. Zu sehen waren u.a. Bilder als fühlbare Reliefdrucke für Sehbeeinträchtigte (Fotointern berichtete). Nun wird diese Ausstellung im Rahmen des International Photo Festival Olten (IPFO) vom 20. bis 24.8.2025 erneut zu sehen und zu fühlen sein. Die Idee der Ausstellung ist es, Fotografien aus aller Welt zu zeigen und diese durch Reliefdruck, Brailleschrift (Blindenschrift) und Audiodeskriptionen zu einem ganzheitlichen, multisensorischen Erlebnis zu verbinden und damit auch für sehbeeinträchtigte und blinde Menschen zugänglich zu machen.
Auch Mara, eine blinde Juristin aus Basel besuchte 2024 die Unseen-Ausstellung in Zürich. Jetzt wurde sie mit einem taktilen Porträt von sich selbst beschenkt – ein Bild, das sie nicht sehen, aber fühlen kann. Das Bild wurde in Zusammenarbeit mit dem Fotografen Philipp Klemm realisiert und auf einem Drucker der «Canon Arizona»-Serie gedruckt. So verbindet sich Fotografie mit Empathie, Inklusion und modernster Technologie.
Ein taktiles Porträtfoto von und für Mara
Mara lebt mit einem angeborenen Glaukom. Ob sie in ihrer frühen Kindheit noch visuelle Eindrücke hatte, weiss sie nicht. Sicher ist nur: Die Erblindung kam früh. Spiegelbilder, Fotos blieben ihr verwehrt oder liegen weit zurück. Umso bewegender war für sie die Vorstellung, sich durch ein tastbares Porträt selbst zu entdecken – fühlbar und erfahrbar, wie bei der Ausstellung World Unseen, aber ganz persönlich.
Mara ist Juristin, passionierte Gärtnerin, Konzertliebhaberin und Reiselustige. Mit ihrer besten Freundin Sabin, die im Rollstuhl sitzt, bildet sie ein eingespieltes Team. Gemeinsam sind sie ständig unterwegs – mit Humor, Selbstbewusstsein und Lebensfreude. «Eigentlich bin ich immer auf Achse», sagt sie lachend.
Entstehung des Porträts. Das Foto von Mara entstand im Studio des Fotografen Philipp Klemm. Nach dem Shooting wählten Sabin und Philipp Klemm gemeinsam fünf Favoriten aus. Die finale Entscheidung traf Mara selbst: Mithilfe einer KI-basierten App, die ihr jedes Foto im Detail beschrieb und vorlas – von der Blickrichtung bis zur Intensität ihres Lächelns.
Im Studio: Mara und Fotograf Philipp Klemm beim Porträt-Shoot
Das gewählte Porträt zeigt Mara mit einem kraftvollen Lachen, einer auffälligen Perlenkette und in einem leuchtend roten Pullover – eine Farbe, die sie bewusst wählte. «Ich wollte, dass es fröhlich wirkt», sagt sie. Mit Rot verbindet sie Energie und Lebendigkeit – gespeist aus Erinnerungen, Assoziationen und vielleicht auch einem sechsten Sinn jenseits des Sehens. Kleidung in Beige oder gedeckten Tönen empfindet sie hingegen als unpassend: «Da fehlt die Energie – das bin nicht ich.»
Für Philipp Klemm war der Photo Shoot ebenfalls besonders. Maras positive Ausstrahlung und ihr selbstverständlicher Umgang mit ihrer Sehbeeinträchtigung haben ihn nachhaltig beeindruckt. «Ich hatte falsche Vorstellungen davon, wie sich Menschen mit Sehbeeinträchtigungen in der Welt bewegen. Ihre lebensfrohe und unabhängige Art hat meine Sicht auf den Begriff ‚Behinderung‘ grundlegend verändert.»
Vom Bild zum Reliefdruck: Die finale Bilddatei wurde mithilfe der «Canon PRISMAelevate XL»-Software für den taktilen Druck aufbereitet. Dabei entsteht eine mehrdimensionale Voransicht der Bildstruktur, in der relevante Bilddetails – wie Gesichtskonturen oder feine Oberflächen – manuell hervorgehoben werden.
Bis zu 100 Farbschichten für fühlbare Details
Zwei Standbilder aus einem Video über die Produktion des Reliefbilds. (Wir werden zum Video verlinken, sobald dieses fertiggestellt und publiziert wurde.)
Dieser sowohl kreative als auch technische Prozess erfordert Zeit, Expertise und Fingerspitzengefühl. Der eigentliche Druck erfolgte im «Elevated Print»- Verfahren auf einem Flachbettdrucker der Arizona-Serie von Canon. Dabei werden bis zu 100 Farbschichten übereinandergelegt, um spürbare Strukturen mit bis zu 4 mm Höhenunterschied zu erzeugen.
Der besondere Moment der Übergabe: Am 6. August wurde Mara das fertige Reliefportrait am Hauptsitz von Canon (Schweiz) AG in Wallisellen überreicht. Gemeinsam mit Freundin Sabin war sie dafür voller Vorfreude aus Basel angereist. Sabin im Rollstuhl, Mara folgt ihr mit dem Blindenstock und findet hinter ihrer Freundin sicheren Halt – ein vertrautes Zusammenspiel.
Übergabe des Reliefporträts an Mara bei Canon (Schweiz) AG: Fotograf Philipp Klemm, Mara mit ihrem Porträt und «World Unseen»-Projektleiterin Carina Berchtold.
Als Mara ihr fertiges Reliefporträt endlich ertastet, nimmt sie sich Zeit. Sie spürt das Lächeln, die Kette, sogar kleine Unebenheiten der Haut. Denn die feinen Erhebungen des Reliefdrucks offenbaren selbst kleine Details wie Muttermale – Eigenheiten, die Mara helfen, sich selbst in dem Bild wiederzufinden. Sie ist dankbar und zugleich überrascht, was heute technologisch möglich ist.
Die Ausstellung in Olten
Nach der positiven Resonanz in 2024 feiert die Ausstellung «World Unseen» vom 20. bis 24. August 2025 ihr Comeback – im Rahmen des «International Photo Festival Olten» (IPFO). Die inklusive Ausstellung auf der Alten Holzbrücke ist barrierefrei zugänglich und erweitert um neue Inhalte. Das multisensorische Erlebnis bleibt emotional und bewegend. Der Eintritt ist frei.
Ein im Reliefdruck angefertigtes Bild aus der Ausstellung. Die Textur der Haut eines Nashorns wurde lässt fühlen. (Originalbild Brent Stirton)
Carina Berchtold, B2B & Corporate Communication Manager bei Canon (Schweiz) AG und Projektleiterin bei World Unseen beschreibt ihre Erfahrung so: «World Unseen hat gezeigt, wie bereichernd es ist, die Welt durch andere Augen zu betrachten. Die Begegnungen mit Menschen, die Herausforderungen mit beeindruckender Kraft und Lebensfreude meistern, bestärken uns darin, das Projekt fortzuführen – um neue Perspektiven zu eröffnen und Geschichten sichtbar zu machen.»
Weitere Infos
Ausstellung «World Unseen» (Infoseite)
Fotointern-Bericht zur Ausstellung «World Unseen» 2024 (Artikel)
International Photo Festival Olten (IPFO) vom 20. bis 24.8.2025