Die indische Fotografin Poulomi Basu verknüpft Dokumentarisches mit Fantastischem und nutzt in sechs Werkgruppen mit Fotografie, Film, Virtual Reality und Installationen das aktivistische Potenzial, um auf Ausgrenzung, strukturelle Missstände und geschlechtsspezifische Gewalt aufmerksam zu machen.
Wirklichkeit trifft Fantasie: In Phantasmagoria verbindet die indische Künstlerin Poulomi Basu Fotografie, Film, Virtual Reality und Performance. Die Werke rücken Frauen aus dem Globalen Süden ins Zentrum, zeigen Wege der Selbstermächtigung auf und machen Ausgrenzung sowie geschlechtsspezifische Gewalt sichtbar. Die Ausstellung ist eine Einladung, den eigenen Blick zu prüfen und ein kraftvoller Aufruf zum Widerstand.
«Centralia» zeigt einen langjährigen Konflikt zwischen indigenen Gemeinschaften und dem indischen Staat
Der Titel der Ausstellung nimmt Bezug auf die Phantasmagorien des 18. Jahrhunderts, die ihr Publikum mit Projektionen und optischen Täuschungen in den Bann zogen. Auch Basu spielt mit dem Verhältnis von Imagination und Wirklichkeit: Sie entwirft spekulative Zukunftsvisionen, die zugleich die Gegenwart ihrer Protagonist/innen reflektieren und Möglichkeiten der Selbstermächtigung und des Widerstands aufzeigen. In ihrer transmedialen Praxis setzt Basu Fotografie, Film, Virtual Reality und Performance ein und nutzt deren aktivistisches Potenzial, um auf Ausgrenzung, strukturelle Missstände und geschlechtsspezifische Gewalt aufmerksam zu machen.
Basus Arbeiten sind ein Aufruf zum Widerstand gegen patriarchale Strukturen, vorherrschende Machtverhältnisse und die systematische Unterdrückung von Frauen und Mädchen. Wie ein roter Faden zieht sich die Resilienz der Protagonist/innen ihrer Arbeiten durch ihr Werk: Basu ermöglicht es ihnen, die Rolle ermächtigter Akteur/innen einzunehmen, ihre eigenen Stimmen zu erheben, ihre persönlichen Geschichten zu erzählen und so die Wahrnehmung des Publikums herauszufordern.
Die Werkgruppen
Die sechs in Phantasmagoria gezeigten Werkgruppen befassen sich mit Geschichten von Frauen aus dem Globalen Süden und mit der Frage, inwiefern der weibliche Körper als Schauplatz politischer und ideologischer Auseinandersetzungen aufgefasst werden kann.
In «Centralia» (2010-2020) wirft Poulomi Basu ein Schlaglicht auf einen langjährigen Konflikt zwischen indigenen Gemeinschaften und dem indischen Staat, der in der Öffentlichkeit wenig Beachtung findet. Aufgrund grosser Bodenschätze, die auf dem Gebiet der Adivasi vorkommen, werden Teile Zentralindiens immer wieder von der Regierung angegriffen. Die kommunistische Volksbefreiungsguerillaarmee (PLGA) wehrt sich gegen diese Enteignungsversuche und kämpft für das Land von rund 104 Millionen Adivasi.
«Blood Speaks: A Ritual of Exile» und «Maya: The Birth of a Superhero»
In «Blood Speaks: A Ritual of Exile» (2013-2018) thematisiert Poulomi Basu den Brauch Chhaupadi, der in einigen Teilen Nepals praktiziert wird. Dabei werden Frauen und Mädchen während der Dauer ihrer Menstruation als Unberührbare behandelt und in rudimentäre Hütten verbannt, die meist weder über eine Waschgelegenheit noch über Menstruationsprodukte verfügen. Obwohl der Brauch bereits seit 2005 offiziell verboten ist, steht er erst seit 2018 unter Strafe und wird noch immer praktiziert.
In ihrem immersiven und futuristischen Film «Maya: The Birth of a Superhero» (2023-2024) knüpft Poulomi Basu an die Werkgruppe Blood Speaks an. Mittels Virtual und Mixed Reality nehmen die Betrachter/innen die Perspektive eines britisch-südasiatischen Mädchens aus London ein und navigieren die Protagonistin Maya durch ihren Alltag in der Schule und zu Hause. Im Zuge ihrer ersten Menstruation sieht sich Maya in der Interaktion mit ihren Mitschüler/innen und ihrer konservativen Familie mit Scham und Ausgrenzung konfrontiert.
In der autobiografisch geprägten Serie «Fireflies» (2019 +) verhandelt Poulomi Basu Formen des Widerstands und der Resilienz gegenüber kollektiven, generationenübergreifenden Traumata. Für die Fotografie- und Filmarbeit stand die Künstlerin gemeinsam mit ihrer Mutter vor der Kamera. Sie beschäftigt sich mit den Folgen patriarchaler Gewalt, die beide Frauen innerhalb der Familie erfahren haben, und thematisiert zugleich den Prozess ihrer Heilung.
In «Sisters of the Moon» (2022) thematisiert Basu die Auswirkungen von Wasser- und Ressourcenknappheit auf Frauen im Globalen Süden. Ihre fiktionalisierten Selbstporträts in fantastischen Landschaften sind dem magischen Realismus verpflichtet und zeigen starke Personen, die sich mit der Natur verbünden. Die Verflechtung von ökologischen und feministischen Themen ist zentral: Der Mangel an sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen hat grossen Einfluss auf den Alltag und damit auf die Möglichkeiten und Potenziale von Frauen und Mädchen.
Poulomi Basus Collagearbeiten «Chimeras» (2025 +) sind das Ergebnis ihrer Auseinandersetzung mit dem eigenen fotografischen Archiv, das im Laufe ihrer freien und auftragsgebundenen Arbeit über einen Zeitraum von 15 Jahren entstanden ist. Für die Werkgruppe Chimeras collagiert Basu einzelne Elemente von Hand zu neuen Konstellationen, die sie durch unterschiedliche Materialien wie Federn oder Glasperlen ergänzt, und erschafft dabei imaginäre, mitunter bizarre Bildweiten.
Biografie
Poulomi Basu ist 1983 in Kolkata, Indien, geboren und aufgewachsen und lebt und arbeitet heute in London, Grossbritannien. Sie studierte Soziologie, bevor sie ihren Master in Fotojournalismus und Dokumentarfotografie am London College of Communication mit Auszeichnung abschloss. Ihr Werk wurde international ausgestellt und ist Teil mehrerer öffentlicher Sammlungen, darunter die Sammlungen des Victoria and Albert Museum (GB), der Harvard Art Museums (USA) und des Autograph (GB). Die Künstlerin wurde vielfach ausgezeichnet: Unter anderem erhielt sie den New Voices Special Jury Mention des Tribeca Film Festivals 2023 und wurde 2024 als BAFTA Breakthrough UK ausgewählt. Im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes war sie 2024 mit einer immersiven Filminstallation vertreten.
Publikation Poulomi Basu
Begleitend zu Poulomi Basus erster institutioneller Einzelausstellung im Fotomuseum Winterthur erscheint die zweisprachige Publikation Phantasmagoria (Deutsch/Englisch). Sie bietet einen Überblick über zentrale Werkgruppen der Künstlerin. Essays der Wissenschaftlerin Breanne Fahs, der Kulturpublizistin und Journalistin Ann Mbuti sowie der Autorin und Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal beleuchten Basus Arbeit aus unterschiedlichen Perspektiven. In einem Gespräch mit der Kuratorin Bindi Vora spricht die Künstlerin über Selbstliebe als emanzipatorische Praxis und das Konzept der Dokufiktion. Ein Glossar der indischen Soziologin Moubani Maitra kontextualisiert zentrale Begriffe und eröffnet einen weiteren Zugang zum Werk und den thematischen Schwerpunkten von Poulomi Basu.
Herausgeberinnen: Sonja Palade, Nadine Wietlisbach / Fotomuseum Winterthur
Verlag: Distanz Verlag, Berlin
Sprache: Deutsch, Englisch
Softcover, 19 × 26 cm
140 Seiten, 70 Farbabbildungen
ISBN: 978-3-95476-773-1
Preis: CHF 38 / EUR 38
Erhältlich im Buchhandel, direkt beim Verlag oder im Shop des Fotomuseums.
(Redigierter Pressetext. Situationsbilder: Urs Tillmanns / Fotointern)
(Mit)einander – aus der Sammlung des Fotomuseum Winterthur
Parallel zur Ausstellung von Poulomi Basu zeigt das Fotomuseum Winterthur
(Mit)einander: Kara Springer und die Sammlung des Fotomuseum Winterthur
mit Werken von Kara Springer «I / must be given words», «Mapping the Mountain of Kong», «The Shape of Mountains», «Judith Mas, My Mother’s Mountain», Ricarda Roggan «Stall», Tacita Dean «The Russian Endling», Axel Hütte «Furka, Dip. Schweiz», John Divola «Occuzpied Landscape (Yosemite», David Goldblatt «Blue Asbestos fibres, Oswendale Mine, North Cape, 25 October 2002», Joel Sternfeld «After a Flash Food, Rancho Mirage, California, July 1973», Gordon Matta-Clark «Conical Intersect (Etant d’art pour locataire, Quel Con, Quel Can ou Quel Call Can)», Roni Horm «From Some Thames».
Die beiden Ausstellungen sind noch bis 15. Februar 2026 zu sehen im
Fotomuseum Winterthur
Grüzenstrasse 44+45
CH-8400 Winterthur







