Urs Tillmanns, 5. August 2017, 08:59 Uhr

Buchtipp: Alfons Rohrer «Heimat – Chez soi». Ein Fotoalbum

Alfons Rohrer dürfte Ihnen kaum bekannt sein. Er war Wirt in einer Dorfbeiz in Sachseln und hat während Jahrzehnten leidenschaftlich sein privates Umfeld und das gesellschaftliche Leben der Region Sachseln mit seiner Kamera dokumentiert. Daraus hat nun sein Enkel ein Buch gemacht mit spannenden Momentaufnahmen, welche das Landleben vor 30 bis 50 Jahren als Fotoalbum festhält.

 

Das Buch liegt schon längere Zeit auf meinem Schreibtisch. Ich habe es immer wieder zur Hand genommen, durchgeblättert, irgendwo hängengeblieben, Bildchen angeschaut, weitergeblättert – ohne dabei eine richtige Beziehung dazu aufbauen zu können. Aber irgendwas daran hat mich doch fasziniert. Ist es der eigenartige inhaltliche Aufbau ohne Titelseiten mit Einleitung, Texten und Bildlegenden in der Buchmitte? Sind es die anscheinende zusammenhangslosen Bildchen – viele von ihnen farbstichig, nichtssagend, andere mit Personen, die nicht öffentlich bekannt sind? Wiederum andere sind ansprechender, zeigen Dinge aus meiner Jugendzeit, an die ich mich jetzt plötzlich wieder erinnere. Weitere dokumentieren alte Brauchtümer, die inzwischen aus unserem Fokus verschwunden sind – erzählen ihre eigenen Geschichten …

Die Bilder von Alfons Rohrer (1925-1998) sind nur deshalb erhalten geblieben, weil sein Enkel Heinz Anderhalden bei einer Räumaktion den kulturellen Wert dieser Bildersammlung erkannt, die rund 14‘000 Kleinbilddias zur Seite gelegt und damit den Grundstein zu diesem Buch gelegt hat. Er hat sich dabei die Mühe gemacht, aus diesem grossen Fundus die 240 besten Bilder herauszusuchen – und so ist dieses Buch entstanden.

Nein, Kunstwerke sind es nicht. Und Alfons Rohrer war auch nicht Fotograf im eigentlichen Sinn. Er war Wirt in einem Gasthaus in Sachseln, einer «Dorfbeiz», um genauer zu sein, und hat leidenschaftlich fotografiert. Seine Kamera war immer mit dabei, bei den vielen Dorffesten, auf seinen Wanderungen, bei Besuchen, bei Familienanlässen und Veranstaltungen im Vereinsleben. Dieses pflegte er intensiv als Mitglied eines Gesangsvereins, einer Schützengesellschaft, Kommandant der Ortsfeuerwehr und als Vorstand eines Schafzüchtervereins. Dabei ist ein Sammelsurium von Bildern zusammengekommen, das ein buntes Stimmungsbild seiner sozialen Umgebung und seiner Leidenschaften widerspiegelt.

Das Buch ist ein Fotoalbum. Das Fotoalbum eines Mannes, der als fotografischer Familien- und Dorfchronist leidenschaftlich alles fotografiert hat, was ihm als persönliche Erinnerungen und für die Nachwelt erhaltenswert schien. Es ist unterhaltsam, es erinnert an viele gesellschaftliche Anlässe der Region Sachselns und hat als Zeitreise auch eine nicht zu unterschätzende lokalhistorische Bedeutung.

Ich blättere es nochmals langsam durch, schaue mir ein Bild nach dem anderen an. Das Bilderverzeichnis in der Buchmitte gibt Aufschluss, erklärt mir dies und jenes Bild und sagt mir die Namen der abgebildeten Personen. Es sind Momentaufnahmen aus dem Leben von Alfons Rohrer, die keinen Anspruch auf besonders gepflegte Bildgestaltung oder technische Perfektion haben, sondern ganz einfach unterhaltend eine Zeitepoche dokumentieren, in der noch vieles anders war. Jedes der Bilder erzählt seine Geschichte, die eine interessanter, andere vielleicht weniger. Und je länger man in dem Buch blättert, desto faszinierender werden die Geschichten. Es ist ein Fotoalbum, ein Stück wiederentdeckte Heimat, das einen hohen Unterhaltungswert hat.

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlages

Alfons Rohrer (1925–1998) war Wirt im Gasthaus Bahnhof in Sachseln, einer klassischen Schweizer Dorfbeiz. Zugleich war er auch ein begabter und unermüdlicher Fotograf, sodass sich in seinem Nachlass rund 14 000 Diapositive befinden. Nicht das künstlerische Bild war Rohrers Ziel, sondern das Festhalten von Eindrücken, Momenten und Situationen: also, das Vergängliche zu bewahren. Die Aufnahmen bezeugen seine Begeisterung für das Motiv, seine Freude über die jeweiligen Begegnungen und Ereignisse. Die gezeigten Posen sind aus einer anderen, einer prädigitalen Zeit, als man sich noch geehrt fühlte, ein Bild wert zu sein.

Das Buch «Heimat» löst nicht nur ein nostalgisches Gefühl aus. Es lädt auch zur Auseinandersetzung mit den eigenen Erinnerungen ein.

 

Blick in das Buch

Feuerwehrübung

Schützenfest

Titlis

Viehzeichnung Sachseln

Josef Zangger, Arnold Anderhalden, Anna Zangger-Rohrer

Hans Rohrer, Paul Omlin

Marie und Leo Rohrer, Josef Omlin

Aelggi-Alp

 

Die Autoren

Heinz Anderhalden (*1981, Sarnen), selbstständiger Grafiker in Sarnen. Ausbildung als Grafikdesigner an der Hochschule der Künste in Bern, verschiedene Auslandsaufenthalte. Seit 2012 hat er den fotografischen Nachlass seiner Grossvaters Alfons Rohrer aufgearbeitet.

Martina Clavadetscher (*1979), Dramatikerin und Kolumnistin für Schweizer Radio SRF in der Zentralschweiz. Studium der Germanistik, Linguistik und Philosophie. 2014 erschien ihr erster Roman Sammler.

Sylvie Henguely (*1968), Kunsthistorikerin. Tätigkeiten u.a. am Musée de l’Elysée in Lausanne, am Institut suisse pour la conservation de la photographie (ISCP) in Neuchâtel und 2001–2016 für die Fotostiftung Schweiz in Winterthur.

 

Bibliografie

Alfons Rohrer
«Heimat – Chez soi». Ein Fotoalbum
240 Seiten, 240 farbige und 2 sw Abbildungen
Format 16.5 x 23 cm, gebunden, Hardcover
1. Auflage, 2017
Herausgegeben von Heinz Anderhalden. Mit Beiträgen von Martina Clavadetscher und Sylvie Henguely
Texte Deutsch und Französisch
Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich
Preis: CHF 49.00, EUR 48.00
ISBN 978-3-85881-539-2

Das Buch kann hier online bestellt werden.

 

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