David Meili, 8. September 2008, 08:59 Uhr

70 Jahre Annabelle

Noch bis in die sechziger Jahre dominierte in der Annabelle zur Darstellung von Mode die Zeichnung, doch dann wurde die „Zeitschrift für die moderne Frau“ zu einer der wichtigsten Auftraggeberinnen der Mode- und Studiofotografie. Mit einer 460 Seiten starken Sondernummer feiert Annabelle das siebzigjährige Jubiläum.

Zugegeben, ein beachtlicher Teil des Umfangs fällt auf Inserate und Werbestrecken. Böse Zungen behaupten, dass die Zeitschrift primär für Werber und Agenturen gemacht sei. Auch bei der Jubiläumsausgabe ist nicht so ganz klar, welche Leserschaft angesprochen werden soll. Jüngere Leserinnen greifen eher zur vitaleren Konkurrenz. Die frühere, treuere Leserschaft mit einem grossen Anteil an Abonnentinnen ist in die Jahre gekommen.

Das Konzept der Jubiläumsnummer überzeugt. Zuerst wird die Redaktion vorgestellt, und aus den einzelnen Spezialisierungen werden inhaltliche Bereiche entwickelt. Entstanden sind viele personenbezogene und subjektive Beiträge, die jedoch nicht sehr weit in die Geschichte der einst avantgardistischen Zeitschrift zurückreichen. Vermutlich hat man beim mehrfachen Umzug und Besitzerwechsel ausser früheren Ausgaben die Archive jeweils der Kerichtverbrennung zugeführt.

Natürlich darf die Fotografie mit einem Portfolio der „Topshots der Schweizer Fotografie“ nicht fehlen. Die Auswahl von acht Fotografen durch Kurator/innen erscheint etwas zufällig. Dominiert wird das Heft von Henry Leutwyler, der etwas peinlich in den Rang eines neuen Helmut Newton erhoben wird. Doch wenn man 60 bis 80 Stunden pro Woche auf Achse ist, bleibt keine Zeit für künstlerische Musse.

Urs Stahel hat Walter Pfeiffer eine Doppelseite gewidmet. Pfeiffer war in vielem ein Pionier und stellte als einer der ersten Fotografen bereits 1974 in einem Kunstmuseum aus (Luzern). Wie avantgardistisch Raymond Meier war oder noch ist, wird die Zukunft zeigen. Es versteht sich, dass auch Michel Comte, der angeblich von Carl Lagerfeld entdeckt wurde, präsent sein muss. Von Jules Spinatsch erfahren wir, das er an einem kritischen Werk zur Event-Kultur in den Alpen arbeitet. Shirana Shahbazi ist die einzige Frau in der illustren Runde (einer Fraueinzeitschrift!) und mit Sachfotografie präsent. Die andere Seite des Generationenspektrums vertritt Hans Feurer mit Bildern von blauverhüllten Schönheiten, die Ende der siebziger Jahre erstmals in einer Schweizer Fotozeitschrift publiziert wurden und seitdem Kultstatus haben. Gerne hätte man seine Arbeiten für Vogue China gesehen, mit denen er nach langer Pause wieder einen Neuansatz in der Modefotografie gesucht hat. Hans Gissinger wird mit einer explodierenden Torte im Heft von Frank Bodin kuratiert. Bice Curiger konnte es nicht lassen, Robert Frank in die Runde einzubringen. Patrick Remy, der als Berater für den Steidl-Verlag tätig ist, präsentiert Guido Mocafico, bekannt durch Sachaufnahmen und exklusive Fotobücher. Am Schluss des Beitrags wird angemerkt, dass sehr exklusiv sind und man sie auch kaufen kann.

Die Auswahl überzeugt nicht. Man hätte gerne mehr zur Entwicklung der Mode- und Sachfotografie in der Annabelle erfahren. Mit entsprechenden Fachkenntnissen und Archiven wäre es möglich gewesen, überraschende und interessante Entdeckungen ausserhalb einer Szene zu machen, die sich gerne selbst darstellt. Zudem hätte das zweifellos grosszügige Jubiläumsbudget auch eine Ausstellung ermöglicht.

Was bei der Fotografie verpasst wurde, konnte mit der Literatur aufgeholt werden. Mit Beiträgen und Essays sind unter anderen Hansjörg Schneider, Eveline Hasler und Sibylle Berg vertreten. Der Verleger Jürg Marquard steuert seine erste Reportage bei.

Schade, dass die Jubiläumsausgabe nicht vor den Sommerferien erschien. Um den 460 Seiten gerecht zu werden, benötigt man mehrere Nachmittage am Pool. Doch es lohnt sich, CHF 5.90 zu investieren und das Heft für einen regnerischen Herbstsonntag aufzubewahren.

Annabelle, 16/08, Ausgabe vom 10. September 2008.

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