Urs Tillmanns, 23. April 2021, 16:00 Uhr

Dennis Savini 6. Folge: Still-Life – das fotografische Handwerk

Der Still-Life-Fotograf erzählt Geschichten in einem einzelnen Bild. Ob er sich dabei von einer vorhandenen Szene leiten lässt oder das Stillleben frei inszeniert: Immer gehören alle Dinge, die auf dem Bild zu sehen sind, zu einem Thema und bilden gemeinsam die Geschichte. Anders als bei der reinen Sachfotografie ist daher nicht nur das Hauptobjekt, wenn es denn ein solches gibt, wichtig, sondern die ganze einbezogene Szene ist für die Bildaussage massgeblich.

Im Unterschied zur «einfachen» Sachaufnahme, bei der wir das Objekt sachlich klar und ohne weiteren Bezug abbilden, sozusagen rein dokumentarisch, fügen wir im Still-Life weitere erzählerische Ebenen hinzu. Im Still-Life kommen also all Ihre Talente zur Geltung: von der Idee über das Arrangement, die Komposition, Lichtführung und Farbwahl bis zur Ausarbeitung. All diese Fähigkeiten sind gefordert, um dem Stillleben das nötige Leben einzuhauchen.

Wenn Objekt(e), Untergrund, Materialien, Licht und Farbe in einer passenden Komposition zusammenkommen, dann entsteht ein stimmiges Stillleben. Meine Lust, Stillleben (oder kurz: Stills) zu fotografieren, entsteht eigentlich immer aus dem Leben heraus. Manchmal möchte ich Erinnerungen, Erlebnisse, Eindrücke festhalten. Davon ein Bild zu machen, ist zum einen ein Weg, sich selber nochmals vertiefter damit zu beschäftigen, und zum anderen eine Möglichkeit, andere daran teilhaben zu lassen. Sie brauchen den Betrachter dabei nicht an den Händen zu nehmen, es reichen Andeutungen in der Unschärfe, um der Fantasie auf die Sprünge zu helfen.

 

«Japanisches Messer», von Martin Rhyner fotografiert. Eine ganz reduzierte Lichtführung und die formale Strenge passen gut zu diesem japanischen Messer. Die Lichtführung erfolgte durch eine weisse runde Leuchtstoffröhre, die das Objekt rundum beleuchtete. Sie hatte einen Durchmesser von 50 cm und lag auf gleicher Höhe wie das Messer auf dem Tisch. So entstand dieses Konturlicht. (Canon 5D Mark IV mit 100-mm-Objektiv und 0,5 Sek. Belichtungszeit)

Jeder Betrachter wird sich dabei, angeregt durch Ihre Kunst, in eine eigene Welt begeben und seinen Gedanken Lauf lassen.

In diesem Bereich steht die Aufnahmetechnik ganz im Dienste des angestrebten Ergebnisses, sei es bei der Wahl der Kamera, des Objektivs oder der Beleuchtung. Wenn man die Technik nicht mehr spürt, diese sich also atmosphärisch integriert, dann haben Sie das Ziel erreicht. Stillleben sollten Natürlichkeit ausstrahlen und auf keinen Fall künstlich und arrangiert daherkommen, sonst wirken sie unglaubwürdig.

 

«Schwarzkunst». Andrea Knechtle, eine cap Studentin, fotografierte in einer alten Setzerei diese Stillleben-Serie mit vorhandenem Licht. Ein typisches Beispiel für spontan entdeckte Stillleben. Wunderschön, wie die Lichtfarben spielen und die Bleibuchstaben zum Leben erwecken, gut gesehen und umgesetzt! (Canon EOS 5D Mark IV und Tamron SP mit 90-mm-Makroobjektiv, bei Blende 2,8 und 2 Sek. Belichtungszeit)

 

«Flowers». Diesen Frühlingsstrauss fotografierte ich aus der Hand und verdrehte die Kamera in einer Kreisbewegung während der Belichtungszeit von ¼ Sekunde. Daher ist er im Zentrum weniger verwischt als aussen. Die leichte Überbelichtung führte zu einer hellen, von zarten Pastelltönen geprägten Wiedergabe. Dabei ging es mir nur um die Farben. (Nikon mit 50-mm-Objektiv und bei einer ¼ Sek. Belichtungszeit)

 

«Erinnerungen». Objekte aus meiner Kindheit, die ich fotografierte, um die damit verknüpften Erinnerungen festzuhalten. Die vier Stills sollten als Polaroids oder kleine Fotoabzüge wirken, die übereinandergelegt auf einem Tisch liegen. Sie sind einzeln mit der Fachkamera und auf Polaroid-Material entstanden, könnten aber ebenso gut mit der Kleinbildkamera fotografiert worden sein. Das Licht war dem Raumlicht nachempfunden, indem ich es indirekt über die Decke führte. Solche Stillleben laufen einem immer wieder über den Weg. Da sie so alltäglich scheinen, hält man sie selten mit der Kamera fest. (Fachkamera Sinar mit Sinaron 210-mm-Objektiv und Polaroid Typ 58)

 

«Mondphasen-Uhr». Uhrenaufnahmen brauchen ein sehr sorgfältiges Händchen und etwas Geduld. Der kleine Werkzeugkasten diente als Basis und verlieh der Uhr den mechanischen Touch. Nachdem die Uhr fixiert und die Zeiger durch Herausziehen des Aufzugknopfs ruhiggestellt waren, widmete ich mich dem Licht. Da ich on Location fotografierte, benutzte ich eine kleine Bürolampe, deren Licht ich mit einem Kalkpapier diffuser gestaltete. Kleine Silberfolien dienten als Aufheller für Zeiger und Fassung sowie das Lederband. Die Aufnahme wurde mit der Nikon D850 und einem 85-mm-Tilt/Shift-Objektiv, bei einer Belichtungszeit von ½ Sek. und Blende 11 gemacht. In der Verarbeitung fügte ich eine starke Vignette hinzu, um das Umfeld abzudunkeln und den Blick auf die Uhr zu lenken.

 

«Designerbrillen aus Holz», in Szene gesetzt und fotografiert von Babs Heritiér, Biel. Während dem Studium an der cap fotoschule wird natürlich auch das Thema «Still-Life» behandelt. Babs fotografierte diese Brillen in spielerischer Form, wobei sie die Formen durch das Licht- und Schattenspiel gut zum Ausdruck brachte. Eine direkte Lampe von hinten mit einem Wabenfilter erzeugte dieses harte Licht. Die Brillen lagen auf einem gebürsteten Alublech. Kamera (Nikon D810 mit 85-mm-2,8-Tilt/Shift-Objektiv).

Text-Copyright Dennis Savini

Lesen Sie auch:

Folge 1: «Fotografisches Sehen lernen» (19. März 2021)
Folge 2: «Den richtigen Moment erfassen» (26. März 2021)
Folge 3: «Den Blick fokussieren» (1. April 2021)
Folge 4: «Available Light-Fotografie» (9. April 2021)
Folge 5: «Mit Licht arbeiten» (16. April 2021)

In der nächsten Folge, die am kommenden Freitag um 16:00 Uhr auf Fotointern erscheint, geht darum, wie man das Backoffice organisiert.

 

Dieser Artikel von Dennis Savini, Leiter der cap fotoschule, ist eine Leseprobe aus dem Buch «Professionell fotografieren lernen», das 2019 im Verlag dpunkt erschienen ist. Das Buch kann im Buchhandel, direkt beim Verlag oder im Ausland hier bestellt werden. Lesen Sie dazu auch die Buchbesprechung auf Fotointern.ch.

216 Seiten, komplett in Farbe, Festeinband
April 2019, Format: 207 x 255 mm
dpunkt.verlag, Heidelberg
Buch ISBN 978-3-86490-504-9
Preise:
Buch CHF 46.90 / EUR 34,90
PDF: EUR 27,99 (ohne DRM) ISBN PDF: 978-3-96088-217-6
E-Book (PDF + ePub + Mobi) EUR 27,99 ohne DRM

Das Buch kann direkt beim Autor oder im Ausland hier bestellt werden.

 

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