Urs Tillmanns, 24. Februar 2019, 10:00 Uhr

Islandpferde im Abendlicht

Bilder entstehen immer zuerst im Kopf, und die Kamera ist der Pinsel, mit dem sie gemalt werden. Normalerweise fotografiere ich mit einem konzeptionellen Ansatz, dem ich dann folge. Doch dieses Mal war alles etwas anders. Weil jemand in einer Fotografen-Reisegruppe kurzfristig ausfiel, kam ich anfangs Jahr sehr überraschend zu einer einwöchigen Reise durch Island. Unsere Abmachung: Überall dort, wo Bilder in unserem Kopf entstehen, halten wir an – eine Art Carte blanche zum Fotografieren.

Bereits im Sommer 2014 waren Ursula und ich ja in Island unterwegs, um das Iceland Art Project zu realiseren – grossformatige, eher abstrakte Bilder, die wir auf Metallplatten präsentierten, die wir während der dreiwöchigen Reise verwittern liessen. Dieses Mal haben uns die kurze Reisedauer und die kurzen Tage gezwungen, sehr konzentriert zu fotografieren und manchmal eine Location früher zu verlassen, als es uns lieb war. Dennoch bin ich mit unglaublich intensiven Bildern zurückgekommen.

Wir haben uns primär auf die Nord- und die Westküste konzentriert, um uns nicht zu verzetteln. Sturmböen, Schnee, Regen, beinahe kitschige Sonnenauf- und -untergänge – alles war drin in diesen wenigen Tagen. Besonders angetan haben mir es dieses Mal die Islandpferde. 2014 habe ich kein einziges Islandpferd fotografiert, obwohl es mich oft in den Fingern gejuckt hat. Doch damals waren Ursula und ich auf ein anderes Thema fokussiert. Dieses Mal haben uns die Natur und die wunderschönen Pferde so verwöhnt, dass ganz viele Pferdefotos entstanden sind.

Das Islandpferd, auch Isländer oder Islandpony genannt, ist eine zähe Pferderasse, die dank ihres kräftigen Körperbaus auch von Erwachsenen geritten werden kann (obwohl ich mit fast zwei Metern Grösse wohl oft unten mit den Füssen auf dem Boden streifen würde). Als Islandpferd anerkannt werden nur reingezogene Tiere, ohne Fremdbluteinkreuzung, deren Abstammung lückenlos bis nach Island zurückzuverfolgen ist.

In Island ist die Einfuhr von Pferden zur Vermeidung von Krankheiten verboten. Daher können Pferde, die in Island geboren wurden und einmal die Insel verlassen haben, nicht wieder nach Island eingeführt werden. Isländer sind rassetypisch robust und wetterhart, denn sie entwickeln ein besonders dichtes Winterfell, das es ihnen ermöglicht, in ihrer isländischen Heimat draußen zu überwintern. Soweit ein paar «technische» Infos von Wikipedia.

Am vierten Tag, kurz nach 15 Uhr im letzten Nachmittagslicht – im Januar sind die Tage in Island ja nicht gerade lang – treffen wir dann auf eine Gruppe von Islandpferden, die sich malerisch auf einer Weide mit kleinen Hügeln drapiert hat. Wir vergessen alles um uns herum, auch die Handschuhe, die wir eigentlich bei den knappen Minustemperaturen gut gebrauchen könnten, gehen langsam auf die Pferde zu und beginnen zu fotografieren. Das warme Licht spielt mit den Fellfarben und den wilden Mähnen.

Wie in Trance realisiere ich Übersichtsbilder und Details. Der elektronische Sucher der Leica SL zeigt mir immer gleich an, wie das Bild mit leichter Unterbelichtung aussieht. Die beiden exzellenten SL-Zooms 24–90 und 90–280 mm liefern unglaublich nuancenreiche Bilder, wie man sie sonst nur von Festbrennweiten her kennt. Wir sprechen ruhig und freundlich mit den Pferden, und sie scheinen uns zu akzeptieren. Als dann eines an meiner Jacke anfängt zu knabbern, überlege ich mir kurz, ob ich eine zweite Karriere als Island-Pferdeflüsterer starten soll.

Nein, Spass beiseite: Wenn ein Tier einem Menschen sein Vertrauen schenkt und nicht flieht, ist das jedes Mal ein tiefes Erlebnis – egal, ob es sich um eine Katze, einen Bären, einen Wal, einen Seelöwen oder eben ein Islandpferd handelt. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass es ein unsichtbares Band zwischen Tieren und Menschen gibt. Und weil Tiere uns Menschen zu oft als Feinde wahrnehmen (müssen), ist dieses Band gestört. Wenn dann wilde oder halb domestizierte Tiere uns trotzdem ihr Vertrauen schenken, löst das ganz tief in unserer Seele etwas aus. Wir lesen ja auch immer wieder von Fotografinnen und Fotografen, die Tiere in Gegenden fotografieren, wo der Mensch so wenig hinkommt, dass er nicht als Feind wahrgenommen wird. Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht – mich berühren die Schilderungen dieser Fotografen jedes Mal.

Und so hoffe ich, dass die Bilder der Islandpferde auch etwas tief in Ihnen anrühren und Sie motiviert, wieder einmal in der Natur unterwegs zu sein. Wer weiss ­– vielleicht erleben Sie auch eine tiefe Begegnung mit einem oder mehreren Tieren. Ob Sie dann eine Kamera dabei haben oder nicht, ist gar nicht so entscheidend … 😉

Bilder und Text: Peter Schäublin

Weitere Bilder von Island im Winter auf dem Blog von Peter Schäublin: www.720.ch/blog und auf www.peterschaeublin.com

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