Urs Tillmanns, 7. November 2021, 10:14 Uhr

Claudia Andujar – Das Leben bei den Yanomami

Seit fünf Jahrzehnten widmet sich Claudia Andujar (*1931) der indigenen Gemeinschaft der Yanomami im Amazonas im Norden Brasiliens und begleitet diese mit ihrer Kamera. Als sich deren Lebensraum in den 1970er-Jahren akuten Bedrohungen ausgesetzt sieht, verschreibt die Fotografin ihr Leben und ihre Arbeit dem Kampf um die Rechte der Yanomami. Ihr jahrelanges politisches Engagement an der Seite von Yanomami-Führer Davi Kopenawa und weiteren Beteiligten führte 1992 schliesslich zur Demarkierung des Landes der Gemeinschaft. Vor dem Hintergrund gegenwärtiger Ereignisse wie anhaltender Landrodungen durch den Bergbau und die Viehwirtschaft oder der Verbreitung von Malaria und Covid-19 haben Andujars aktivistische Bestrebungen nicht an Aktualität verloren.

Die Ausstellung «Der Überlebenskampf der Yanomami» belegt sämtliche fünf Räume des Fotomuseum Winterthur und ist die Retrospektive über das Schaffen von Claudia Andujar in der Schweiz. (Foto: Urs Tillmanns / Fotointern.ch)

Die Ausstellung Claudia Andujar «Der Überlebenskampf der Yanomami» umfasst Fotografien, audiovisuelle Installationen, Zeichnungen der Yanomami und andere Dokumente und basiert auf zweijährigen Recherchen im Archiv von Andujar. Es ist die erste grosse Retrospektive des Werks der in der Schweiz geborenen brasilianischen Fotografin, Aktivistin und Überlebenden des Holocaust. Seit 1971 fotografiert Andujar die Yanomami, die in relativer Isolation im nördlichen Amazonasregenwald leben. In den folgenden Jahren schliesst sie sich der Gemeinschaft an und baut eine enge Beziehung zu diesen Menschen auf.

 

Claudia Andujar, «Sergio, Tomé, Adriano Xaxanapi thëri and Marokoi Wapokohipi thëri during the nocturnal dance», Catrimani, Bundesstaat Roraima, Brasilien, 1974 © Claudia Andujar

Claudia Andujar, aus der Serie «Portraits», in der Nähe von Catrimani, Bundesstaat Roraima,Brasilien, 1976 © Claudia Andujar
 

Der erste Teil der Ausstellung zeigt die künstlerische Entwicklung Andujars während der 1970er-Jahre, als sie versuchte, ihrer Faszination für die schamanische Kultur der Yanomami durch Fotografie und illustrierte Bücher Ausdruck zu verleihen. Mit Serien von spirituellen Ritualen, einfühlsamen Porträts und einem von Andujar initiierten Projekt mit Yanomami-Zeichnungen vermittelt sie uns ihre Sicht auf die Lebensweise der Gemeinschaft. Zeitgleich beginnt die brasilianische Militärdiktatur, Amazonien zu kolonisieren und seine natürlichen Ressourcen auszubeuten, was zur Verbreitung tödlicher Krankheiten und einem Massensterben der Yanomami führt. Angesichts dieser Katastrophe wird Andujars Arbeit zunehmend aktivistisch.

 

Claudia Andujar, «Maloca near the Catholic mission at the Catrimani River», Bundesstaat Roraima, Brasilien, Infrarot-Aufnahme, 1976 © Claudia Andujar

Claudia Andujar, «Funeral urn, Catrimani», Bundesstaat Roraima, Brasilien, 1976 © Claudia Andujar

«In diese Zeit fallen meine ersten Überlegungen für ein umfassenderes Projekt, das es mir ermöglichen würde, sowohl tiefer in die Yanomami-Kultur einzutauchen als auch Strategien zu ihrer Verteidigung zu entwickeln. Ich hatte gar nicht vor, es zu meinem Lebensprojekt zu machen, aber genau das ist passiert – ich bin immer noch stark involviert und werde es wohl bis an mein Lebensende bleiben.»

 

Claudia Andujar, «Collective house surrounded by sweet-potato leaves», Catrimani, Bundesstaat Roraima, Brasilien, 1974 © Claudia Andujar

Der zweite Teil der Ausstellung zeigt, wie Andujar ihre künstlerischen Ambitionen zugunsten des politischen Aktivismus zurückstellte. 1978 gründete Andujar mit einer Gruppe von Aktivist/innen eine NGO, um sich für die Rechte und das Land der Yanomami einzusetzen. In den 1980er-Jahren reiste sie ausserdem mit Davi Kopenawa, einem Schamanen und Sprecher der Yanomami, um die Welt, um international Aufmerksamkeit zu erlangen. Ihr jahrelanger Kampf führte schliesslich zur Demarkierung des Yanomami-Territoriums im Jahr 1992 – ein Erfolg, der durch die aktuelle brasilianische Regierungspolitik abermals in Gefahr ist.

 

Claudia Andujar, Catrimani, Bundesstaat Roraima, Brasilien, 1972-76 © Claudia Andujar

Claudia Andujar, «Susi Korihana thëri», Catrimani, Bundesstaat Roraima, Brasilien, 1972-1974 © Claudia Andujar

Die brasilianische Regierung unterlässt es, die indigenen Gemeinschaften und ihr Land gegen den Bau von illegalen Goldmienen, die Abholzung des Regenwaldes und Landraub zu schützen. Zusätzlich sind die Yanomami akut durch Covid-19 bedroht, gegen das sich die Gemeinschaft in der internationalen Kampagne #MinersOutCovidOut engagiert. Die Ausstellung rückt somit die humanitären und ökologischen Krisen in den Fokus, die durch die Pandemie weiter verschärft werden.

 

Claudia Andujar, aus der Serie «Portraits», in der Nähe von Catrimani, Bundesstaat Roraima, Brasilien, 1976 © Claudia Andujar

Claudia Andujar, «Unahi Opikɨ thëri», Bundesstaat Roraima, Brasilien, 1974 © Claudia Andujar

Eine Ausstellung des Instituto Moreira Salles in Brasilien in Zusammenarbeit mit der Hutukara Associação Yanomami und dem Instituto Socioambiental, kuratiert von Thyago Nogueira. In Kooperation mit Culturescapes 2021 Amazonas und als internationale Zusammenarbeit mit der Fondation Cartier Paris, der Triennale Milano, der Fundación Mapfre Madrid und dem Barbican Centre in London angelegt.

Claudia Andujar, «Yanomami in the construction work of the North Perimeter Highway», Bundesstaat Roraima, Brasilien, 1975 © Claudia Andujar

 

Claudia Andujar

© Renato Parada

Claudine Haas wurde am 12. Juni 1931 in Neuenburg in der Schweiz als einzige Tochter von Germaine Guye, einer Schweizer Protestantin, und Siegfried Haas, einem ungarischen Juden, geboren. Sie wächst in Nordsiebenbürgen auf und lebt nach der Trennung ihrer Eltern bei ihrem Vater. Nach der deutschen Besetzung Siebenbürgens werden ihr Vater und ein Grossteil seiner Familie nach Auschwitz und Dachau deportiert, wo alle ums Leben kommen. Claudine flieht mit ihrer Mutter in die Schweiz und siedelt wenig später nach New York über, wo sie den Namen Claudia annimmt. Sie heiratet den Spanier Julio Andujar, lässt sich kurz darauf scheiden, behält allerdings seinen Nachnamen, um ihre jüdische Herkunft zu verbergen. Mitte der 1950er-Jahre verlässt Andujar New York und zieht zu ihrer Mutter nach Brasilien. Sie lässt sich in São Paulo nieder, wo sie bis heute lebt.

(Redigierter Pressetext)

 

Die Ausstellung ist noch bis 13. Februar 2022 zu sehen im

Fotomuseum Winterthur
Grüzenstrasse 44+45
CH8400 Winterthur

 

Begleitprogramm

Die Ausstellung wird von einem vielseitigen Veranstaltungsprogramm begleitet.

Samstag, 23.10.2021, 14:00: Rundgang und Gespräch: «Can Plants Teach?»
mit Jeremy Narby, Anthropologe, und Ibã Sales Huni Kuin, Schamane, über die sinnvolle Nutzung der Ressourcen des Regenwalds.

Samstag, 23.10.2021, 15:30: Kuratorenführung mit Thyago Nogueira und Davi Kopenawa, Yanomami-Sprecher

Samstag, 27.11.2021, 14:00: Rundgang und Gespräch: Naturkatastophen im Amazonas und ihre Konsequenzen mit Nadine Wietlisbach und Dr. Omar Bellprat, Klimawissenschaftler

Samstag, 11.12.2021, 14:00: Rundgang und Gespräch: «Is There Such as Thing as Latin American Art?» mit Nadine Wietlisbach und Andrea Hinteregger De Mayo, unabhängige Kunstberaterin und Kuratorin, über Kunst aus Brasilien, fotografische Praktiken und den globalen Markt

Samstag, 22.01.2022, 14:00: Online-Paneldiskussion mit internationalen Gästen zum Thema Aktivismus und Exotisierung in Presse und humanitärer Hilfe, Repräsentation und Kommunikation

Änderungen aufgrund der aktuellen Situation vorbehalten.

 

Das Buch zur Ausstellung

Claudia Andujar
«The Yanomami Struggle» Fondation Cartier

336 Seiten, reich illustriert, Fadenheftung
Format 23.4 x 29,7 cm, Softcover, Ausstellungskatalog
Texte von Claudia Andujar, Thyago Nogueira, Curator of the exhibition, und Bruce Albert, Anthropologist.
Verlag Thames & Hudson, London / Fondation Cartier
Sprachen: Englisch, Französisch
Preis: CHF 48.00 / EUR 40.00
Erhältlich im Shop des Fotomuseum.ch oder im Buchhandel

 

 

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