Urs Tillmanns, 1. April 2023, 11:37 Uhr

Buchtipp: Willy Spiller «Hell on Wheels – New York Subway 1977-1984» 

Mit der Eröffnung der Ausstellung «Hell on Wheels» in der Bildhalle Zürich ist das gleichnamige Buch von Willy Spiller erschienen, welches das pulsierende Leben in der New Yorker Subway vor rund vier Jahrzehnten in stimmungsvollen Bildern und eindrucksvollen Porträts darstellt.

«Don’t go there …» riet mir mein New Yorker Freund, als ich das erste Mal im «Big Apple» unterwegs war. «Our tube isn’t safe for tourists – not even for us …». Ich hatte seinen Ratschlag beherzigt, und habe mich weitgehend mit Taxis durch Manhattan fortbewegt, die damals noch preislich günstig waren. In späteren Jahren wurde ich mutiger und habe doch hin und wieder die Subway genommen. Seinen Ratschlag jedoch, ist mir in den Ohren geblieben – «Don’t go there!». Und was ich damals in der Subway an Eindrücken gewonnen hatte, deckt sich optisch und zeitlich ziemlich genau mit dem, was Willy Spiller in seinem Buch dokumentiert: alles schmutzig, morbide, mit dunklen Gestalten – Angst einflössend … «Our tube isn’t safe– not even for us …».

Die New Yorker Subway ist eine Welt für sich – eine Notwendigkeit für mehr als vier Millionen Leute, die täglich in der Tunnelwelt zur Arbeit und nach Hause hasten, eingepfercht in engen Wagons, in denen man kaum Luft bekommt. Ein Unbehagen ist immer mit dabei …

Willy Spillers Bilder sind just in der Zeit des historischen Tiefpunkts in der Geschichte der Subway entstanden. Die Kriminalität hatte in den 1970er-Jahren massiv zugenommen, viel von der Infrastruktur war durch Vandalismus beschädigt, und die Wagen waren innen wie aussen mit mehr oder weniger gekonnter Graffiti versehen – genau die Motive, welche Willy Spiller für seine Reportage brauchte.

Die Bilder geben das typische Ambiente der New Yorker Subway perfekt wieder. Sie vermitteln einen authentischen Eindruck der Stimmung in jener Untergrundwelt, mit der täglichen Hektik zur Rushhour, mit der Anonymität der Menschen, mit dem Gedränge in den Wagen – und mit der gespenstigen Leere in den Nachtstunden. Hinzu kommen eindrucksvolle Porträts von den Leuten, die hier arbeiten, von den Schaffnern, den Zugführern, den Kioskverkäuferinnen, den Cops der Traffic Police – und letztlich von den Passagieren, vom feingekleideten Banker bis zum zweifelhaften Ganoven.

Willy Spiller hat die Situationen schnell und geistesgegenwärtig mit seiner Leica oder mit der Olympus OM-2 erfasst, denn die Szenen warten nicht. Sekundenbruchteile sind entscheidend. Meist hat er dazu die damals höchstempfindlichen Diafilme verwendet, Kodak Ektachrome, Kodachrome oder was er gerade dabeihatte. Mit der Push-Entwicklung konnte er noch eine oder anderthalb Empfindlichkeitsstufe gewinnen, aber bei 800 ASA (damals) war die Lichtempfindlichkeit ausgeschöpft. Gerade diese Technik gibt die Stimmung der New Yorker Subway treffend wieder, mit einer nuancenreichen Tonalität, charakteristischer Farbpalette, und dann und wann mit einer Unschärfe, die für die damalige Availablelight-Fotografie typisch ist und die Stimmung der Szene authentisch betont. Das Buch ist ein wertvolles Zeitdokument über das Leben im New Yorker Untergrund in den dunkelsten Jahren.

Für wen ist dieses Buch? In erster Linie werden Leute, welche die damalige Zeit der Subway selbst erlebt haben, dem Buch einen hohen Erinnerungswert abgewinnen. Dann ist es eine hervorragende Reportage, über Jahre entstanden, zu einem Thema, das selten in dieser Bandbreite und mit derart vielen gelungenen Schnappschüssen realisiert worden ist. Was damals Alltag war, hat Willy Spiller für uns mit beeindruckenden Bildern aufgehoben. Sie vermitteln uns eine besondere Stimmung, wie sie für die Zeit damals und die analoge Fotografie typisch ist.

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlages

«Während acht Jahren – 1977 bis 1984 – nahm Willy Spiller seine Kamera mit in die damals berüchtigte Subway von New York und schoss unzählige Bilder: Bilder von Polizisten und Dieben. Von gestylten Menschen und Obdachlosen. Von Büroangestellten und Kindern. Er hielt das Aufeinandertreffen von Fremden in einem engen Blechwaggon fest und somit die Anfänge von Geschichten, deren Ausgang er unserer Vorstellungskraft überlässt.

Willy Spiller brauchte nicht lange, um zu begreifen, dass nichts dem Geist New Yorks näherkam als die Subway: jeder Waggon ein verschwitzter, rasselnder Mikrokosmos. Ein lauter, bunter Schmelztiegel wie die Stadt selbst. Mit einer Fläche von 2 x 9 Metern und vollgepackt mit über 150 ungeduldigen Fahrgästen zur Hauptverkehrszeit, erzählt ein einziger Waggon die 8 Millionen Geschichten der Stadt: das Aufeinanderprallen von Hoch- und Subkultur, die Mischung aus Akzenten und Dialekten, aus Fluchen und Lachen.

Hell on Wheels ist der Titel der Ausstellung sowie des neu von der Edition Bildhalle herausgegebenen Fotobuches. Und doch geschieht etwas Bemerkenswertes, etwas Unerwartetes, wenn man die Fotografien heute, 40 Jahre nach deren Entstehung, betrachtet. Die Distanz, mit der die Zeit uns segnet, lässt uns die Bilder in einem neuen Licht sehen: das Bedrohliche ist einer wehmütigen Nostalgie gewichen.»  Bill Shapiro, vormals Chefredaktor des LIFE Magazine

 

Der Inhalt

Evidence of an Era by Bill Shapiro

Bildteil

On Willy Spiller by Paul Nizon

Rolling Wonderworld by Willy Spiller

Impressum

 

Der Fotograf

Willy Spiller (geb. 1947) absolvierte von 1963 bis 1966 die Fotofachklasse an der Kunstgewerbeschule in Zürich. Es folgten verschiedene Aufenthalte in Mailand bis 1968. Danach war Spiller als Fotoreporter für den «Züri-Leu», die «Neue Zürcher Zeitung», das «Tages-Anzeiger-Magazin», den «Stern» und andere Zeitungen und Zeitschriften tätig. Reportagereisen führten ihn zwischen 1969 und 1977 nach Südamerika, Asien und Afrika. Zwischen 1977 und 1985 hielt sich Willy Spiller in New York auf, wo unter anderem diese Reportage über die New Yorker Subway entstand. Von 1984 bis 1989 arbeitete er für die «Schweizer Illustrierte». Seit 1989 ist Willy Spiller freischaffender Fotograf mit Wohnsitz in Zürich. (Quelle: Foto-ch.ch)

 

Die Autoren

Bill Shapiro war Chefredakteur beim LIFE Magazine und Mitbegründer von life.com. Er hat verschiedentlich Artikel über Fotografie im New York Tomes Magazine, in Vanity Fair, Vogue, Esquire und The Atlantic publiziert. Ferner verfasste er verschiedene Bücher, wie beispiesweise «Guys & Me» in Kooperation mit dem Rolling Stone Gitarristen Keith Richard. Er lebt in Brookly nund Taos (New Mexico).

Mary Pratt ist Produzentin und Beraterin. Sie hat eine Reihe von international anerkannten Buchprojekte gestaltet, redigiert und herausgegeben. Mary Pratt wuchs in der Schweiz auf, lebt heute jedoch in New York und in den Catskills.

 

Hinweis: Das Buch ist zugleich Katalog zur Ausstellung von Willy Spiller, die noch bis 20. Mai 2023 in der Bildhalle Zürich zu sehen ist.

 

Bibliografie

Willy Spiller «Hell on Wheels – New York Subway 1977-1984» 

128 Seiten mit 65 meist doppelseitigen Fotos, Fadenheftung, Fester Umschlag mit Silber-Prägedruck, Format 24,5 x 32,4 cm, erschien im März 2023
mit Texten von Bill Shapiro, Paul Nizon und Willy Spiller.
Sprache: Englisch
Edition Bildhalle Zürich
Preis: CHF 85.00, signiert CHF 95.00
Limitierte Edition mit A4-Originalprint CHF 250.00

Edition Bildhalle, Zürich
ISBN 978-3-9525066-4-6

Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Verlag.

 

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