Urs Tillmanns, 15. Mai 2025, 16:00 Uhr

Christian Flierl im BelleVue: «Unter uns – Erkundungen im Zwischenraum»

Christian Flierl untersucht die Berührungsflächen zwischen dem scheinbaren Gegensatz von «Kultur» und «Natur». Die Bilder zeigen die Aneignung und die Rationalisierung der Natur durch den Menschen sowie die Spuren der Rückeroberung menschlicher Zumutungen durch die Natur.

In «Unter uns» begegnen wir solchen Zwischenräumen exemplarisch, wenn Siedlungs- und Stadtlandschaften auf die Natur oder das, was wir darunter verstehen, treffen; denn längst ist die «wilde, freie Natur» zweckmässig nach unseren Bedürfnissen geformt. Andere Werkgruppen zeigen aber auch eine subtile Umkehr der Beziehung Mensch-Natur: Die Einritzungen auf Baumrinden sind im Laufe der Zeit vernarbt und bilden jetzt ein Aneinander geheimnisvoller Schriftzeichen; oder wir erkennen Formen und Relikte von Bauwerken in Küstennähe, die durch das ewige Anspülen des Wassers zurückverwandelt wurden in etwas Organisches, zum Meer Gehörendes.

Um  die Prozesse an den Schnittstellen zwischen Natur und Kultur geht es auch, wenn Bauten, die der Mensch direkt ans Meeresufer gesetzt hat, von der Brandung wieder langsam abgebaut werden. Die klare Grenze zwischen Natur und Kultur beginnt zu bröckeln. Ähnliches geschieht, wenn eingeritzte Baumrinden wieder zuwachsen und ein neues Erscheinungsbild hervorbringen.

Und unweigerlich fragt man sich: Was ist natürlich, was vom Menschen gemacht? Durch das schnelle Erfassen eines Moments oder das akribische, fotografische Erkunden eines Ortes erzeugt Christian Flierl – durchaus auch mit Humor und Ironie – einen Kontrast, in dem die problematischen Folgen des menschlichen Handelns offensichtlich werden. Aber die Arbeiten verharren nicht in der Kritik. Sie verändern oder erweitern den Horizont, indem sie gewohnte Seh- und Denklinien hinterfragen und verschieben.

Flierl macht diese Zwischenräume sichtbar, indem er räumlich und zeitlich definierte Situationen durch den Prozess des dokumentarischen und künstlerischen Fotografierens herauslöst und der Erforschung durch die Betrachtenden zugänglich macht. Nach Flierl ist entscheidend, wie Pflanzen, Gewässer, Gebirge oder andere Naturelemente in Kombination und Abgrenzung zu Kultur fotografisch vermittelt werden: Die spezifische Darstellung prägt unsere Wahrnehmung und entsprechend den Umgang mit den Strukturen, die gemeinhin unter dem Begriff «Natur» zusammengefasst werden.

Zum  Schluss wird in der Ausstellung eine Polaroid-Serie gezeigt, die von 2006 bis 2008 entstanden ist. Flora und Fauna sind hier mitunter in Formen gebracht, in welchen sie vor allem den im Kapitalismus generierten Wünschen und Idealen entsprechen. Dabei werden die Kulturtechniken – auch in Gegenüberstellung zur unberührten Natur und im Kontext der Ausstellung – in ihrer brachialen Künstlichkeit erkennbar und fassbar.

Flierls Fotografie will – ganz im Sinne des Dokumentarischen – aufklären und hilft uns, zu verstehen. Sie geht aber über das Dokumentarische hinaus, weil sie nicht nur zeigt, was ist, sondern uns berührt und es uns so ermöglicht, immer auch etwas Neues, Unerwartetes zu entdecken.

 

Biografie

Christian Flierl (*1974) ist seit 2002 als professioneller Fotograf tätig für Zeitungen, Magazine, Bücher und Institutionen. Er realisiert regelmässig eigene Buch- und Ausstellungsprojekte und als Gründungsmitglied von «BelleVue – Ort für Fotografie» begleitet er Ausstellungsprojekte anderer Fotograf:innen. Christian Flierl ist Mitglied der Fotografen Agentur 13photo und hat einen Lehrauftrag für Fotografie an der Schule für Gestaltung Basel. > www.flierl.ch

 

Weitere Informationen zum Programm > www.bellevue-fotografie.ch

Die Ausstellung ist vom 11. Mai bis 22. Juni 2025 jeweils Samstag und Sonntag, 11 bis 17 Uhr zu sehen im

BelleVue – Ort für Fotografie
Breisacherstrasse 50
CH 4057 Basel

 

Rahmenprogramm und Veranstaltungen

Führungen: An den Sonntagen 25. Mai, 1. Juni, 15. Juni, 22. Juni, jeweils um 14 Uhr oder auf Anfrage: info@bellevue-fotografie.ch

Donnerstag, 22. Mai, 19 Uhr: «verwoben & verflochten»
Die Beziehungen zwischen den Lebewesen sind vielschichtig und faszinierend – und wir sind Teil davon. Streifzüge in wissenschaftliches Neuland. Vortrag und Diskussion mit der Buchautorin und Biologin Florianne Koechlin

Mittwoch, 4. Juni, 19 Uhr: Im Gespräch
Christian Flierl und Heinz Stahlhut, Kunsthistoriker und Leiter des Hans Erni Museums, Luzern

Mittwoch, 11. Juni, 19 Uhr: Presse- und Dokumentarfotografie, ade?
Presse- sowie Dokumentarfotografie geraten unter Druck – klassische Publikationsorte und Geldquellen verschwinden zunehmend. Wo könnten Bedeutung und Zukunft dieses fotografischen Genres liegen? Im Gespräch mit diversen Gästen. Moderation: Regine Flury

Mittwoch, 18. Juni, 19 Uhr: Andreas Seibert,
Fotograf und Autor, stellt sein neues Buch vor: «Über Sehen Über Leben – A Photographic Document». Fotografische Porträts von Long-Covid- und ME/CFS-Betroffenen, mit ausführlichen Texten zu ihrer Situation. Ein breit angelegtes Werk zu einem Thema, das von vielen Menschen übersehen wird.

 

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