Dass das Bergell zu den schönsten Tälern der Schweiz gehört, hatte der Fotograf Ernst Scheidegger während seines Aktivdiensts in den frühen 1940er-Jahren erfahren. Die Maloja-Region ist zu seiner zweiten und motivreichen Heimat geworden, was nun in einem Ausstellungskatalog dokumentiert ist.
Ernst Scheidegger (1923–2016) gehört zu den grossen Schweizer Fotografen. Er war vor allem für seine Künstlerporträts und Reportagen bekannt, war freier Fotojournalist für die Fotoagentur Magnum sowie Bildredaktor der Wochenendbeilagen der Neuen Zürcher Zeitung und gründete den heute noch existierenden Verlag Scheidegger & Spiess. Eine seiner Lieblingsregionen war das Bergell, das er als zweiten Wohnsitz wählte und dort oft und ausgiebig fotografierte. Dazu ist jetzt ein Buch erschienen, das zugleich als Katalog der gleichnamigen Ausstellung dient, die noch bis 19. Oktober 2025 im Museo Bregalia Ciäsa Granda in Stampa zu sehen ist.
Seine Liebe zum Bergell war durch die intensive Freundschaft mit Alberto Giacometti entstanden, der im Bergell aufgewachsen war und nach seinen zahlreichen Auslandaufenthalten immer wieder in seine Heimat und ins Atelier seines Vaters in Stampa zurückkehrte. Ernst Scheidegger war vor allem von Giacomettis Skulpturen angetan, die er fotografisch dokumentierte und zusammen mit autobiografischen und dichterischen Texten des Künstlers 1958 in einem Buch im Arche Verlag veröffentlichte. Bekannt ist auch ein Porträt von Alberto Giacometti, das nach 1998 die Schweizer 100-Franken-Banknote zierte und von Ernst Scheidegger aufgenommen worden war. Ernst Scheidegger pflegte auch mit dem Kunstmaler Varlin (Willy Guggenheim) einen tiefen freundschaftlichen Kontakt, der nach 1963 ebenfalls im Bergell wohnte.
Es waren vor allem diese beiden persönlichen Beziehungen, die Scheidegger immer wieder bewog ins Bergell zu reisen, bis sich schliesslich 1965 die Gelegenheit bot, das leerstehende Pfarrhaus von Bondo zu mieten, womit das Bergell für Scheidegger zur zweiten Heimat wurde. «Und dann hat mich natürlich auch das Tal fasziniert» schreibt Scheidegger in seinen persönlichen Erinnerungen, «mit diesen Felsen, auf denen ich ja auf fast allen schon mal oben war. Und dann hat es einen wunderschönen Fluss, den ich praktisch wie meinen eigenen Hosensack gekannt habe. Ich wusste genau, wo die Forellen waren …» erinnert sich der begeisterte Hobbyfischer.
Rund 5000 Bilder aus dem Bergell sollen sich im Nachlass von Ernst Scheidegger befinden, von den 61 repräsentative im Buch und in der Ausstellung zu finden sind. Es sind Bilder, die uns das damalige Maloja-Tal zeigen mit einer naturbelassenen Landschaft, mit seinen vielen malerischen Dörfchen und Weilern und deren urtümlichen Bewohnern – Menschen, mit denen Scheidegger befreundet war und die er auf seinen ausgedehnten Spaziergängen häufig auf einen Schwaz oder zu einem Glas Wein traf. All das findet in diesem Buch seinen Niederschlag in Bildern, die nicht nur dokumentarischen Charakter haben, sondern die mit besonderen Lichtstimmungen und mit dem Bildaufbau eines Könners eine sehr hohe fotografische Qualität aufweisen. Daneben gibt es auch Bilder, die umfangreichen Reportagen entnommen sind, zum Beispiel über den Bau der Albigna-Staumauer im Jahre 1958 oder über den Bergsturz bei Vicosporano von 1990.
Im Buch kommen noch mehrere Zeitzeugen zu Wort, die sich an den Zürcher mit dem roten Porsche, mit der Toscano-Zigarre und dem treuherzigen Boxer erinnern. Es sind spannende persönliche Erinnerungen und Episoden, welche das Leben und die Persönlichkeit von Ernst Scheidegger sehr treffend charakterisieren.
Für wen ist dieses Buch? Als Ausstellungskatalog konzipiert, wendet es sich in erster Linie an deren Besucherinnen und Besucher, die mit diesem handlichen Buch eine bleibende Erinnerung an die Bilder Scheideggers mitnehmen können. Dann ist das Buch auch eine sinnvolle bibliothekarische Ergänzung zum grösseren Werk über das Schaffen von Ernst Scheidegger «Ernst Scheidegger – Fotograf», das wir bereits früher auf Fotointern.ch besprochen hatten. Als Zusatzwerk beleuchtet es eine besonders wichtige Epoche im Leben Scheideggers, in der er seine Liebe zum Bergell und zur Fotografie ausleben konnte.
Urs Tillmanns
Buchbeschreibung des Verlages
1943 kam der Fotograf Ernst Scheidegger (1923–2016) während seines Militärdienstes erstmals ins Bergell. In Maloja begegnete der Neunzehnjährige Alberto Giacometti – der Beginn einer besonderen Freundschaft, die bis zum Tode Giacomettis 1966 währte. Auch dem Bergell und seinen Menschen blieb Scheidegger sein Leben lang eng verbunden, von 1965 an hatte er in Bondo auch einen Zweitwohnsitz.
Berühmt ist Ernst Scheidegger für seine Künstler/innenporträts. Im Bergell hat er immer wieder Alberto Giacometti und später auch den Schweizer Maler Varlin (Willy Guggenheim, 1900–1977) fotografiert. Sein Nachlass umfasst jedoch auch rund 5000 Aufnahmen, die das Bergell selbst zum Gegenstand haben: Landschaften, Dörfer, Gebäude und Menschen. Diese Bilder sind bisher kaum ausgestellt und wahrgenommen worden.
Dieses Buch versammelt einen repräsentativen Querschnitt dieser Bergell-Bilder. Sie formen eine Langzeitreportage in 60 Schwarzweiss-Aufnahmen über dieses einzigartige Tal am Südrand der Schweiz. Ein Essay zu Ernst Scheidegger im Bergell, eine Kurzbiografie und Erinnerungen an ihn von acht Bergeller/innen ergänzen die Abbildungen.
Der Inhalt
Vorwort von Jakob Messerli
Ernst Scheidegger im Bergell von Jakob Messerli
Erinnerungen an Ernst Scheidegger
Gian Andrea Walther / Remo Capadrutt / Patrizia Guggenheim / Renato Chiesa / Arnoldo Giacometti / lvana Semadeni / Donato Salis / Armando Ruinelli
Biografie Ernst Scheidegger
Impressum
Der Fotograf
Ernst Scheidegger, geboren am 30. November 1923 in Rorschach SG, Lehre als Schaufensterdekorateur, Aktivdienst, Beginn der Maltätigkeit, Fotoklasse von Hans Finsler an der Kunstgewerbeschule Zürich (1945-1948), verschiedene Auslandreisen und Assistenz von Werner Bischof und Max Bill (1948/49). Kontakte zur Pariser Kunstszene, Gestaltung von fünf Wanderausstellungen, Werk- und Atelieraufnahmen sowie Künstlerporträts für Zeitschriften, freier Fotojournalist für die Fotoagentur Magnum (1952-1954), Reisen und Fotoreportagen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Südostasien, Mitwirkung bei Filmproduktionen, Dozent für visuelle Gestaltung an der Hochschule für Gestaltung Ulm (1956/57), Dokumentation der Stadt Chandigarh (Indien), Bildredaktor der Wochenendbeilage der Neuen Zürcher Zeitung (1960-1989), Gründung des eigenen Verlags, Mitarbeit an der Expo 64 in Lausanne, betreibt Galerie (1971-1992), freier Filmregisseur beim Schweizer Fernsehen (1980-1984), Gründung des Verlags Scheidegger & Spiess (1997) zusammen mit Heiner Spiess, Gründung der Stiftung Ernst Scheidegger Archiv (2010), verschiedene Einzel- und Gruppenausstellungen bis zu seinem Tod am 16. Februar 2016 in Zürich.
Hinweis: Das Buch erschien zur Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung im Museo Bregalia Ciäsa Granda in Stampa (Bregaglia), die noch bis 19. Oktober 2025 dauert. -> Infos
Bibliografie
Ernst Scheidegger und das Bergell
112 Seiten, 61 Abbildungen, Fadenheftung, Broschiert, Format 170 x 235 mm, April 2025
Sprachen: Deutsch und Italienisch
Texte von Jakob Messerli
Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich
Herausgegeben von Stiftung Museum Ciäsa Granda und Atelier Giacometti
Preis: CHF 25.00 / EUR 25,00
ISBN 978-3-03942-299-9
Das Buch kann im Buchhandel gekauft, im Museum Ciäsa Granda erworben oder direkt beim Verlag bestellt werden.
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«Buchtipp: Ernst Scheidegger – Fotograf», Fotointern 11.11.2023