David Meili, 18. Januar 2009, 09:09 Uhr

Pascal Mora bei Barak Obama, die BaZ wird zum Provinzblatt und Sex verkauft sich selbst nach 30 Jahren

Pressespiegel zum Wochenende vom 17./18. Januar 2009
Wer im SonntagsBlick mehr über Didier Défago erfahren möchte, sieht sich auf den Sportteil zurückgeworfen. Man hat dem älteren Semester diesen Erfolg nicht zugetraut, und so gibt es eine Home-Story vielleicht erst in der Schweiz Illustrierten vom 26. Januar, wenn die Ramona-Geschichte endgültig ausgequetscht ist. Das Reporter-Team des Blick verwurstelte lieblos einige Promibilder vom Lauberhorn. Doch nicht EINE gute Sportaufnahme findet sich in den aus Verlegenheit zusammengeklitterten Beiträgen.

Pascal Mora, den wir bereits als Fotograf des Bestsellers „Starke Worte“ mit Porträts u.a. von Sepp Blatter und Marc Forster gewürdigt haben, ist gemäss Blick am Abend ganz nahe bei Barak Obama und beschrieb dies auch in einer Art Tagebuch. Durch den Auftrag von Ringier hat Mora die Chance, an der Amtseinsetzung von Obama am 20. Januar teilzunehmen und mindestens einen Preis für ein Pressbild des Jahres 2009 zu gewinnen. Wir drücken dem jungen Zürcher Fotografen für den  entscheidenden „Klick“ beide Daumen.

Neben dem Besten sollte man dieses Jahr auch das Unglücklichste Pressebild des Jahres prämieren. Favoritin ist nach aktuellem Stand bereits Mitte Januar die NZZ am Sonntag. Auf Seite 10 der Ausgabe vom 18. Januar präsentiert sie einen deutschen Touristen aus Passau, der an seinem Opel in Sils Schneeketten montiert. Die Aufnahme stammt von Mark Van Swoll/Keystone, der nichts dafür kann, … denn: Die Aufnahme entstand beim SonntagsBlick Carving Plausch im vergangenen Winter und wird nun als Illustration zu einem Beitrag verwendet, der aufzeigen soll, dass die Einwanderung der Deutschen in die Schweiz rückläufig ist. „Pain-lich“ hat unser siebenjähriges Nachbarsmädchen von seiner kürzlich aus Deutschland eingewanderten Spielkollegingelernt und als neues Modewort in der Agglo Zürich Nord in Umlauf gebracht.

Doch die NZZ am Sonntag bringt die besten und kompetentesten Sportreportagen an diesem Wochenende. Christian Beutler schoss ein Bild von Didier Défago, das zweifellos im Haus seiner Kinder über dem Kaminfeuer hängen wird. Eine sichere Hand führt den Kulturteil, der uns deutlich macht, dass in Lausanne und Genf sehr gute Schweizer Filme entstehen. Das Filmfestival in Solothurn wird zeigen, ob der „fotografische“ Film Home von Ursula Meier letztlich auch in der Deutschschweiz sein Publikum findet.

Bei der Basler Zeitung BaZ sieht es düster aus. Das Qualitätsblatt spart bei Ressorts, die auch für Nicht-Basler interessant sind und baut in bescheidenem Mass die regionale Berichterstattung aus. So geht der Verlust von 22 Stellen auf den Abbau von Menschen, die nur noch bis Ende Februar oft ganz diskret an einer guten Zeitung mitarbeiten, wie im Korrektorat oder in der Bildredaktion. Im erste Bund mit nationaler und internationaler Berichterstattung werden Eigenleistungen zu Gunsten von Fremdbeiträgen gekürzt, und die für Fotoreportagen bei Insidern geschätzte Wochenend-Ergänzung wird ganz aufgegeben.

Wer die BaZ online ansteuert, wird auf Newsnetz umgeleitet, das de facto für alle drei grossen Agglomerationen der Schweiz in Zürich produziert wird. Verleger Matthias Hagemann gibt gegenüber dem Branchendienst persönlich.ch zu, dass auch in Basel die Tageszeitung von Newsnetz kannibalisiert wird. Ein Blick auf Zürich bestätigt seine Einschätzung. Newsnetz  ist aktueller, schneller und bringt nun oft im Voraus die relevanten Beiträge des Tages-Anzeiger. TA-Media Verleger Piero Supino soll von seinem „Kind“ so begeistert sein, dass in seinem Büro die aktuellen Clicks in Echtzeit über einen Bildschirm flimmern.

Newsnetz hat seit Beginn des Jahres auf ein andernorts bereits überholtes System umgestellt. Die Beiträge werden nach Clicks dynamisch organisiert. Was man meisten Clicks hat, wird automatisch zuvordest positioniert. Ladenhüter am unteren Ende werden ausgestaubt. Bei Spiegel-Online ist man klüger geworden. Man verfügt über eine kompetente Chefredaktion, die abschätzen kann, welche Themen innerhalb von 24-48 Stunden relevant sind und in den ersten Rängen erscheinen.

Nebenbei: fotointern.ch kann die Verfahren im Kleinen kombinieren. Beiträge, die wir für unsere Leser/innen als wichtig betrachten, können wir auf Platz 1 für eine bestimmte Zeit fest terminieren. Jeder der Redaktoren hat Zugang zu dieser Funktion und kann entscheiden, ob sein neuer Beitrag von grösserer Bedeutung sein würde. Und dann erlebt man auch Überraschungen. Beiträge, die wir rasch ins Archiv wandern liessen, haben Wochen später über unsere Suchfunktion oder über Google mehr Clicks erhalten, weil wir der Zeit voraus waren.

Während sich die Papierpresse von ihren im eigenen Haus aufgebauten Internet-Produkten umzingelt sieht, blühen Alternativen, die direkt aus dem Internet und aus WEB 2.0 herausgewachsen sind. In Zürich dürfte bezüglich Innovationsfähigkeit und Aktualität der Newsletter RonOrp dem Platzhirsch Züritipp als Stadtmagazin den Rang abgelaufen haben.

RonOrp ist in der Szene hervorragend und international  vernetzt, zeigt Geschmack und ist tagesaktuell. Züritipp, zu dessen Redaktion freundschaftliche Kontakte bestehen, kann seiner Zahlkundschaft oft erst im Print bringen, was RonOrp Tage zuvor seinen Abonnenten gratis in die Mailbox gelegt hat. Beide Medien sind fotofreundlich und in der Zwischenzeit zu einem wichtigen Erfolgsfaktor für die Fotoszene in Zürich geworden.

Playlust geht einen Schritt weiter. „Play“ hat mit seinem Blog tatsächlich auf der Strasse begonnen. Die aktuellste Mode entdeckte er nicht an Modeschauen, sondern bei jungen Leuten in Trendstädten wie Madrid, Barcelona, Rom, Dublin oder Stockholm. Er sprach sie als Passanten oder Partygänger an und  vermittelte seine Erlebnisse in die Zürcher Szene. Heute ist daraus eine der interessantesten europäischen Modezeitschriften entstanden. Zur Zeit berichtet Play auf seinem Blog per Twitter über die Fashion Week in Sao Paulo und erreicht Zugriffszahlen, von denen Printmagazine nur noch träumen können.

Dass sich Sex immer noch verkauft, weiss selbst die NZZ. In ihrer Samstagsausgabe vom 17. Januar findet sich ein peinlicher Beitrag über ein Thema, das zum von der spanischen oder italienischen Presse bereits vor vielen, von der französischen vor wenigen Jahren abgehakt wurde. Man erfährt in Testimonials, wie sich Studentinnen prostituieren. Illustriert werden die „Erlebnisgeschichten“ mit einem Symbolbild aus dem Fundus von Reuters über Strassenprostitution, das mit dem Thema der Sugar Daddies nun wirklich nichts zu tun hat.

Dass sich Sex auch über ein dreissig Jahre altes Aktbild von Madonna an diesem Wochenende bestens verkaufen lässt, zeigen Bild am Sonntag (und SonntagsBlick (Seite 5)  als schweizerischer Ableger des deutschen Qualitätsblatts). Lee Friedlander hatte 1979 die Schauspielschülerin für 25 Dollar pro Bild als Aktmodell verpflichtet und die Aufnahme später dem Playboy verkauft, der sie 1985 publizierte. Der SonntagsBlick verschweigt haarige Details, zu denen man in hoher Auflösung gelangt, wenn man bei Christie’s recherchiert. Dort kann das Bild am 12. Februar ersteigert werden und steht bis dann zum Download frei zur Verfügung.

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