David Meili, 11. November 2010, 10:37 Uhr

Kunst 10: Bedeutendste Schweizer Messe für Fotokunst

Für den VIP-Anlass der Kunst 10 von gestern blieb die vorläufige Bilanz eines bekannten deutschen Fotogaleristen unbestritten: Die Kunst 10 hat sich zur bedeutendsten Messe für Fotografie in der Schweiz entwickelt. Der Galerist aus Deutschland schätzt im Gegensatz zur Art Basel die Nähe zu den Kunden. Kunst 10 scheint ein zeitgemässes Profil gefunden haben, und es wurde am Mittwoch nicht nur angestossen, sondern effektiv gekauft.

Auch der heutige Preview Day dürfte zum Erfolg werden. Geladen sind Namen aus den Kundenkarteien der Galerien, dann folgt die eigentlich Eröffnung am Freitag mit einer öffentlichen Vernissage. Das Konzept in den ABB-Hallen in Zürich-Oerlikon erinnert an die Art Basel, und es steht ausser Zweifel, dass die Public Days an diesem Wochenende zum Erfolg werden.

Das war nicht immer so. Noch vor wenigen Jahren musste man sich überwinden, die ABB-Hallen in Oerlikon aufzusuchen. Messeorganisation und Medienarbeit waren amateurhaft, einige Galerien kamen hinzu, andere stiegen wieder aus. Weshalb sollte man in Oerlikon päsent sein, wenn die Miete für gut geheizte eigene Räume in Kreis 5 bezahlt ist?  Das hat sich mit dem Kunstmarkt grundlegend verändert. Galerien, die den Trend spüren, sind dabei.

Noch nie zeigte eine Kunstmesse derart viel Fotografie, wobei die Abgrenzung zu anderen traditionellen Kategorien der Kunst keinen Sinn mehr macht. Wir schätzen, dass etwa vierzig Prozent der ausgestellten Arbeiten entweder Fotografien sind oder auf  Fotografien basieren.

Hier öffnet sich ein weites Feld, denn das Medium verzweigt sich. Zahlreiche Künstler/innen erarbeiten Werke auf der Grundlage von eigenen oder fremden Fotografien und entdecken zum Teil alte Verfahren, wie Wachsdruck oder erarbeiten sich Kenntnisse in der Lithographie. Wie und ob man diese Werke und Werkserien einordnen kann, ist nicht mehr relevant. Eine ältere Besucherin: „Picasso hat auch alles ausprobiert und damit ein grossartiges Lebenswerk geschaffen.“

Als Ergänzung zu den durch Galerien vertretenen Fotograf/innen findet sich ein Kojengang mit jungen Künstker/innen, die für den ZKB Kulturpreis 2010 der Zürcher Kantonalbank evaluiert wurden. Fabio Marco Pirovino ist mit einem überzeugenden, jungen Werk Gewinner.

Wie die meisten Bewerber/innen und Aussteller im etwas düsteren Zwischengang ist er Absolvent einer Kunsthochschule (Zürich). Was Pirovino von seinen Mitkonkurrent/innen unterscheidet, ist sein Konzept. Er kann als Installation die Entwicklung seiner Arbeiten erklären.

Fotografie ist bei den meisten Galerien präsent und steht oft im Vordergrund. Die Gründe sind offensichtlich. Für Sammler/innen, die im vierstelligen Bereich Kunst kaufen, ist Fotografie attraktiv. Wie jüngste Analysen zeigen, ist die Wertsteigerung von Spitzenwerken nach wie vor ungebrochen, sofern sie frühzeitig in diesem Segment angeboten werden.

So vermittelt die Galerie Rigassi (Bern) Werke des im vergangenen Jahr verstorbenen Balthasar Burkhard, deren Wert zweifellos steigen wird. Leider kann Raphael T. Rigassi die grossformatigen Schwarzweissbilder aus Platzgründen in der Messe nicht ausstellen, doch eine kleine, intime Nature Morte, mit der Burkard vor seinem Tod zur Farbe zurückkehrte ist ein Höhepunkt der Messe.

Ein unbestrittenes Meisterwerk der jüngsten Fotografie in der Schweiz ist Morteratsch von Guido Baselgia (Galerie Faessler, Zug). Baselgia hat den Gletscher von Innen mit einfallendem Licht fotografiert und zeigt die Schwarzweiss-Aufnahme hintergrundbeleuchtet. Schaltet man das Licht aus, entsteht ein anderes Bild. Um den gesamten (analogen) Prozess ausführen und kontrollieren zu können, arbeitet Baselgia in einem Labor, das er für seine Bedürfnisse eingerichtet hat.

Die in der Zürcher Szene neu präsente Hammer Gallery bringt Überraschungen. So kann man sich über Patricia Faessler streiten, doch bis anhin nicht in Europa präsente Fototografien aus Asien sind sehenswert. Die Galerie Kashya Hildebrand überzeugt durch Bilder aus dem indischen Subkontinent von Fotografen, die in der Kunstkritik in Europa noch kaum bekannt sind. Hier bieten sich für Sammler, die sich informieren lassen und zum Galeristen Vertrauen haben interessante Einstiegsmöglichkeiten an.

Ein anderer Trend führt zu den ungehobenen Schätzen von Vintages aus schweizerischem Schaffen. ArteF Galerie für Kunstfotografie zeigt Bergbilder aus den dreissiger und vierziger Jahren von bekannten Landschaftsfotografen, wie Albert Steiner. Es ist ein aufkommendes Sammelgebiet, nicht nur für Bergbegeisterte. Alessandro Botteri Balli erwartet mit der Messe auch Gespräche mit älteren Besucher/innen, die über ungehobene Schätze verfügen.

Wer grosse Formate mag, soll sich bei der Berliner Galerie Camera Work umschauen. Im Mittelpunkt stehen die Werke von Robert Polidori, die durch Fotografien von Tina Bering & Michelangelo Di Battista und Jean-Baptiste Huynh ergänzt werden. Und wer sich für dieses global ausgerichtete Sammelgebiet interessiert, findet freundliche und fachkundige Beratung durch die Vertreter einer der in Europa führenden Fotogalerien.

Doch dann folgen auch Überraschungen, wie die Installation von Monica Urisna Jäger, die von Christinger de Mayo präsentiert wird. Auf Filmleinwände sind Projektionen in Schwarzweiss fixiert. Das interessante Werk erregt viel Aufmerksamkeit, und man kniet sich auf den Boden, um sich von der Künstlerin aktuelle und frühere Werke aus einer Zeigmatte erklären zu lassen.

Nicht zu übersehen ist die Bildserie Sites&Signs von Georg Aerni, präsentiert von der Galerie Bob Gysin. Aerni hält Eingriffe in die Natur durch den Menschen fest, und wie die Natur diese Eingriffe wieder überdeckt. Es sind Teile einer Monographie, die 2011 im Verlag Scheidegger & Spiess erscheinen wird.

Walter Keller ist mit seiner neuen Galerie und alten und neuen Kunden wiederum präsent. Er zeigt Prints von Stefanie Schneider. Gleichzeitig vermittelt er als Kurator der Langhans-Galerie in Prag Kontakte zu Tschechien. Wie kaum ein andere Galerist hat Keller die Höhen und Tiefen im Kunstbetrieb der vergangenen Jahre gespürt. Nun herrscht Aufbruchstimmung. Bereits der VIP-Anlass von gestern hat ihm neue Kunden gebracht.

Zum Nachdednken über die Fotografie und ihre Entwicklung verführen Bildende Künstler/innen, die sich der Stilmittel oder Kommunikationmöglichkeiten  des Mediums bedienen. Die Galerie Alex Schlesinger irritiert durch fotorealistische Malerei von Riccardo Pozzi. Auch bei weiteren Künstler/innen fragt man sich, ob man nun eine Fotografie oder ein Gemälde vor sich hat, vor allem, wenn das Entprodukt ein C-Print ist.

Die Zeichnerin Irene Weingarten (rechts im Bild) benützt einen digitalen Bilderrahmen aus dem Fotogeschäft zum dynamischen Ineinander-Fliessenlassen ihrer Zeichnungen, – faszinierend (Galerie Schau Ort).

David Meili

Kunst 10, Messe für zeitgenössische Kunst
ABB Halle 550 (beim Bahnhof Zürich-Oerlikon)
Donnerstag, 11. November bis Sonntag, 14. November 2010

Öffnungszeiten:
Donnerstag und Freitag: 16 bis 22 Uhr
Samstag: 11 bis 19 Uhr
Sonntag: 11 bis 18 Uhr

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