Urs Tillmanns, 8. September 2018, 10:34 Uhr

Images 2018 in Vevey: Die Bilderstadt lebt – aussergewöhnlich

Vevey wird alle zwei Jahre zur Bilderstadt – immer dann, wenn die von Stefano Stoll künstlerisch geleitete «Images» während drei Wochen die Stadt mit hochkarierten und originellen Fotos schmückt. Insgesamt 61 Projekte von 58 Künstlern aus 19 Ländern sind dieses Jahr über das ganze Stadtgebiet verteilt und präsentieren sich als fassadengrosse Giganten, in harmonischen Aussenausstellungen oder sie verstecken sich in Museen, Galerien oder derzeit gerade leer stehenden Gebäuden. Allen gemeinsam ist das desjährige Thema «Extravaganza – Alles ausser gewöhnlich». Tatsächlich ist das diesjährige Fotofestival «aussergewöhnlich», sowohl was die Bilderauswahl anbelangt als auch was die Originalität der Präsentation angeht. Images setzt auf eine neue Karte und zeigt Bildserien, die sowohl mit etablierten Künstlern als auch mit Newcomern trendbestimmend sein dürften.

Extravaganz sei ein festliches und genussvolles Wort, das Assoziationen zu Fantasie, Humor und dem Absurden weckt, sagt Stefano Stoll, der Leiter der Biennale in seiner Einleitung. «Sie kann überraschen oder beängstigen. Sie hat die Fähigkeit uns aus der Monotonie des Alltages herauszuziehen.»

Kommen Sie mit auf einen Rundgang und lassen Sie sich einige dieser Extravaganzen zeigen …

Mit einem besonders aussergewöhnlichen Bild werden die Besucher gleich begrüsst, wenn sie aus der Bahnhofhalle heraustreten: An der gegenüberliegenden Wand der Waadtländer Kantonalbank ist in monumentaler Grösse das Bild des Nidwaldner Kantonspolizisten von Arnold Odermatt zu sehen, der auf einer Verkehrsfreien Strasse den Handstand macht – eine Ikone, die bereits in zahlreichen Ausstellungen und Publikationen Furore gemacht hat. In der Parkanlage davor sind verschiedene weitere Bilder von Odermatt zu sehen, welche die aus dem Leben des fotografierenden Polizisten von Unfällen aller Arten erzählen. Nr. 42 (die Nummern beziehen sich auf den Lageplan am Schluss des Artikels), Fassade BCV / Place de la Gare

Ebenso gigantisch und eben «aussergewöhnlich» präsentiert sich der Walfisch von Daido Moriyama an einer Fassade auf der Bordseite des Bahnhofs. Moriyama entdeckte diesen Ozeanriesen während eines Spazierganges in Paris, als das aufblasbare Gebilde zwischen zwei Kränen in der Luft schwebte. Nr. 38, Fassade Andritz Hydro

 

Im Bahnhof Vevey sind noch mehr Werke von Daido Moriyama zu entdecken. Sie zeigen Reisende auf dem Perron 1, die auf den Zug zu warten scheinen. Daido Moriyama lebt in einer Vorstadt von Tokio und pendelt täglich mit der Bahn in die Metropole. Vom Zug aus beobachtet er eine Menge ihm unbekannter Menschen die sich an den Bahnsteigen drängen um möglichst schnell zur Arbeit zu kommen.

Präsentiert entlang eines Gleises des Bahnhofes von Vevey scheint die Gruppe von Japanern auf den nächsten Zug zu warten, der sie diesmal nicht in eine pulsierende Grossstadt bringt, sondern auf eine Bahnreise entlang der Waadtländer Riviera. Nr. 39, Bahnhof Vevey, Gleis 1

 

Die «Grenette» am grossen Marktplatz in Vevey ist ein weiteres Wahrzeichen der Stadt, in welchem die Biennale jedesmal Bilder präsentiert. Dieses Jahr ist es die Porträtreihe «Mongrelism» von Jono Rotman. Die Bilder zeigen das Ergebnis einer Forschung über eine historische Neuseeländische Gang, welche sich der nationalistischen Symbolik des Britischen Weltreichs sowie des Dritten Reiches bedient, mit dem Ziel, das Konzept der rassischen Identität zu hinterfragen. Im Stile einer ethnographischen Studie hat Jono Rotman über 200 Porträts dieser Krieger mit tätowierten Gesichtern und den Ganglogos auf den Kleidern dokumentiert. Nr. 48, Grenette, Grande Place

 

Ein neues und besonders geeignetes Lokal der diesjährigen Biennale ist die alte Drogerie neben dem modernen Stadttheater, die gleich mehrere Ausstellungen beherbergt. Eine davon zeigt die Bildreige von Cristina de Middel und Kalev Erickson, die auf einem Flohmarkt in Mexiko-Stadt auf eine alte Sammlung von herrenlosen Polaroid-Bildern gestossen waren. Die Unikate dürften von jemandem in den 1970er Jahren in der Nähe der Maya-Ruinen von Tulum aufgenommen worden sein, und erzählen eine mysteriöse Geschichte, die wohl nie aufgelöst werden wird. Nr. 14, La Droguerie du Theâtre

 

Und wenn Sie schon in der alten Drogerie sind, dürfen Sie sich den Gang in deren Katakomben nicht entgehen lassen. Dort zeigen die Künstlerpaar Martin Zimmermann und Augustin Rebetez mit «Les catacombes de Mr. Skeleton» in einer dazu passenden gruseligen Atmosphäre mit einer Vielzahl verschiedener Figuren eine von alten Slapstick Stummfilmklassikern inspirierte Filmreihe. Nr. 61, La Droguerie du Theâtre

 

Unweit vom Marktplatz im Jardin du Rivage sind die Werke von Jeff Bridges zu sehen. In «Lebowski and other Big Shots» zeigt er seltene Bilder von Drehplätzen, die er in den 1980er Jahren mit seiner 140°-Widelux-Kamera realisiert hat. Die Bilder zeigen die Schauspieler, Techniker, Locations, faszinierende Sets und fantasievolle Kostüme in den Kulissen der grössten Hollywood-Produktionen und belegen die unbegrenzten Möglichkeiten einer unreellen Welt mit eindrucksvollen und extravaganten Bildern. Nr. 07, Jardin du Rivage

 

 

Gleich daneben, ebenfalls im Jardin du Rivage finden Sie die Bildserie von Marcos Chaves «Sugar Loafer», welche den Zuckerhut von Rio de Janeiro in ungewohnter Weise zeigt. Eines der meistfotografierten Objekte der Welt hat Marcos Chaves nicht postkarenmässig fotografiert sondern unter Miteinbezug allerlei komischer, zum Teil unpassender Gegenstände, um damit einen neuen Blick für dieses überfotografierte Panorama zu schaffen. Nr. 12, Théâtre de Verdure / Jardin du Rivage

 

Im Keller des Veveyer Schlosses «de l’Aile» sind die wandgrossen Selbstporträts von Marcos Chaves: «Dying of Laughter» zu sehen. Dazu werden Kopfhörer verteilt, aus denen das schallende Gelächter des Künstler ertönt, mit dem Zweck, die Reaktionen des Publikums zu beobachten. Einige werden den Kopfhörer gleich wieder kopfschüttelnd weglegen, andere werden sich dieses einige Zeit anhören und ein dritte Gruppe wird von der Akustik angesteckt werden und herzhaft mitlachen. Lachen Sie mit … Nr. 11, Château de l’Aile

 

Quer über den Platz finden Sie das Schweizer Kameramuseum, welches zur Image die Arbeiten von Magali Koenig aus Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken zeigt. Ihre Bilder verödeter Landschaften und verlassener Räume drücken die Sehnsucht des russischen Volkes nach einer längst vergangenen Zeit und einer erhofften Zukunft, die ihre Versprechungen nicht gehalten hat. Übrigens ist im Museum eine einzigartige und umfassende Sammlung zur Geschichte der Fotografie zu sehen, deren Besuch fast eine weitere Reise nach Vevey notwendig macht. No 29, Musée Suisse de l’Appareil Photographique

 

Eine weitere feste Institution der Fotografie in Vevey ist die Fachhochschule für Gestaltung CEPV (Centre d’enseignement Professionnel). Sie zeigt im Rahmen der Image die Ausstellung «Brutti ma buoni» mit Arbeiten zur Beziehung zwischen Küche und Fotografie, welche 25 Studierende erstellt haben, mit der Aufgabe die etwa 30 vom Lehrpersonal und von Referenten der Schule vorgeschlagene Rezepte visuell umzusetzen. Die Ausstellung wird durch ein von Pauline Piguet realisiertem Buch komplettiert, mit Fotografien, Rezepten und 12 Kurzgeschichten von Salomé Kiner, welches im Buchladen des Festival Images erhältlich ist. Nr. 10, CEPV Centre d’enseignement Professionnel de Vevey

 

Ein wiederum gigantisches Bild entdeckt man in der Avenue Général Guisan nordwestlich des Bahnhofs in Richtung Lausanne. Philippe Ramette zeigt mit «Promenade irrationnelle» in Zusammenarbeit mit dem Fotografen Marc Domage eine akrobatische Performance ganz ohne Manipulation oder digitale Bearbeitung. Gekleidet in ein Kostüm integriert er sich mit Hilfe einer geschickten Gurtvorrichtung und anderer Gegenstände auf überraschende Art in die Landschaft. Nr. 46, Fassade Holdigaz

 

Eine der beliebtesten Flaniermeilen ist der Quai Perdonnet, an welchem die Image jedesmal ihre Ausstellungen präsentiert. Eine davon ist dieses Jahr die Serie «Fireflies» von Frédéric Nauczyciel, welche Porträts von Models für die Cover der Modezeitschrift Vogue, welche wie Leuchtwürmchen (Fireflies) die Strassen von Baltimore beleben. Es resultierten nüchterne Aufnahmen der Tänzer in ihren extravaganten Kostümen und ultrafemininen Accessoires, die aus den Regeln und Konventionen der Gesellschaft ausbrechen. Nr. 40, Quai Perdonnet

 

Etwas weiter unten am Quai Perdonnet sind die Zwillingsbilder von Fumiko Imano «We Oui!» zu sehen. Fumiko Imano litt 2002 unter einer schweren Identitätskrise und erfand eine imaginäre Zwillingsschwester. In der Folge fügt sie ihren Bildern eine ausgeschnittene und zusammengeklebte Doppelgängerin hinzu und schafft damit Szenen aus einem vollkommen erfundenen Alltag. Nr. 27, Quai Perdonnet

 

Der «Parc du Panorama» ist eine Erholungsinsel inmitten der Stadt. Hier präsentiert Pachi Santiago die Bildreihe «Copying Claudia», eine Art Hommage an Claudia Schiffer. Pachi Santiago reproduziert seit Jahren auf irritierende Weise die bekanntesten Fotografien des deutschen Models und kombiniert diese Bilder mit eigenen Porträts zu einer Mischung aus Faszination, Bewunderung und Besessenheit. Nr. 50, Parc du Panorama

 

Unweit davon ist das alte Stadtgefängnis, dessen Fassade das riesige Kunstwerk «Reina» von Cyril Porchet zeigt. Thema ist der Karneval von Santa Cruz de Tenerife auf den Kanaren, mit der Wahl der Königin als Höhepunkt. Diese monumentale Fotografie an der Fassade des alten Gefängnisses von Vevey zeigt eine Karnevalskönigin, deren Gefühl von Freiheit in starkem Kontrast mit dem Urzweck des Gebäudes steht. Nr. 43, Altes Gefängnis / Place de l’Hôtel-de-Ville

 

Am Place Scanavin gibt es eine alte Schmiede, an welche die Zeit vorbei strich. Mit «Chimères et Merveilles» zeigt Coco Fronsac alte Fotografien, die sie auf Flohmärkten zusammensuchte und denen sie durch die Bearbeitung der Bildoberfläche mit bunter Fantasie ein zweites Leben einhaucht. Diese surrealistisch angehauchten Arbeiten finden in der Umgebung des alten Eisenwerkes ein neues und spannendes Ambiente. Nr. 21, Place Scanavin

 

Eine Nachspeise besonderer Art ist die Installation «Feu (au lac)» von Philippe Durand, welche durch die Kraft der Bilder die urmenschliche Faszination für das Feuer erweckt. Durch seine Fotos des Feuers und die Bewegung, welche durch ein Linsenraster hervorgerufen wird, entsteht ein verblüffender und extravaganter Effekt. Im Genfersee aufgestellt, steckt dieses fast 4 Meter lange Bild wortwörtlich «den See in Brand» – in subtiler Anlehnung an das in der Region verbreitete Sprichwort «Il n’y a pas le feu au lac» (zu deutsch: «der See brennt ja nicht» und es besteht kein Grund zur Eile. Nr. 17, Quai Maria-Belgia

 

Der kleine Rundgang durch die diesjährige Images ist als Appetitanreger gedacht, damit Sie die weiteren Fotoausstellungen und -installationen hier in Vevey selbst entdecken. Die Image dauert noch bis 30. September 2018 und kann kostenlos besucht werden.

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite www.images.ch

Text und Stimmungsbilder: Urs Tillmanns
Inserts: Pressebilder der «Images»

 

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