Urs Tillmanns, 3. März 2023, 16:45 Uhr

Unschärfe, Lippmann und Parfums – drei Highlights im Photo Elysée

Heute sind gleich drei völlig unterschiedliche Ausstellungen im Photo Elysée eröffnet worden: Eine befasst sich mit dem Thema «Unschärfe» in der Fotografie, die zweite erklärt das Farbverfahren von Gabriel Lippmann, und in der Dritten befassen sich Fotostudierende mit Parfums von Jean Paul Gaultier.

 

Unschärfe – eine fotografische Geschichte

Die Unschärfe ist ein spannendes Phänomen in der Fotografie. Oft entsteht sie durch Fehlmanipulationen, wie falsch eingestellt Entfernung, Bewegung der Kamera im Moment des Auslösens oder durch eine zu lange Verschlusszeit bei bewegten Motiven. Oft ist sie aber auch erwünscht, um das Motiv vor unscharfem Hintergrund zu betonen oder dem Bild mit einer gänzlichen Unschärfe eine bestimmte irreale, mystische Aussage zu verleihen.

In der Geschichte der Fotografie lassen sich immer wieder Zeitepochen beobachten, in denen die Unschärfe als Stilmittel genutzt wurde, ganz besonders deutlich im Piktorialismus vor rund hundert Jahren oder in der Porträtfotografie durch Verwendung von Weichzeichnern. Die Unschärfe als Ausdrucks- und Stilmittel finden wir aber auch in der Malerei und im Film, wie diese Ausstellung im Photo Elysée in Lausanne anhand von rund 400 Werken und rund 180 verschiedenen Künstler/innen zeigt.

 

Die Ausstellung zeigt mehr als 400 Werke zum Thema Unschärfe, die sowohl durch Fehlmanipulationen entstand oder aber als künstlerischer Akzent, was zu verschiedenen Epochen immer wieder gepflegt wurde

Ausgehend von einigen Gemälden des 17. und 18. Jahrhunderts – jener Zeit, als die «Unschärfe» in der Malerei eine sehr spezifische Kategorie bildete –, untergliedert sich die Ausstellung in zwölf historische und thematische Abschnitte bis hin zur Gegenwart, in der die Unschärfe zu einem entscheidenden Element der fotografischen Ästhetik wird.

Die Ausstellung gibt Aufschluss darüber, wie Unschärfe in den unterschiedlichen Epochen als Fehler oder stilistisches Ausdrucksmittel in Erscheinung tritt, zum Beispiel in der Kunstfotografie, der Amateurfotografie, in der wissenschaftlichen Fotografie oder in der Reportage-Fotografie.

Von Alfred Stieglitz bis hin zu Gerhard Richter, über Auguste Rodin, Man Ray, William Klein, Sarah Moon und Jan Groover, wird man eine Vielfalt der Unschärfe erkennen können, die oftmals ein Element und dessen Gegenteil heraufbeschwört, sei es in ihrer Beziehung zur Wirklichkeit und zur Nachahmung, in ihren bürgerlichen und revolutionären Affinitäten, in ihrer Beziehung zum amateurhaften und zum fachmännischen Vorgehen oder in der technischen Vielfalt, an die sie erinnert oder, ganz im Gegenteil, im zugrundeliegenden Fehler, auf den sie verweist.

 

«Die Unschärfe ist sowohl ein wesentliches Element des menschlichen Blicks als auch eine technische Manipulation, die der Darstellung Form verleiht» schreibt die Kuratorin Pauline Martin einleitend zu ihrem Buch, das anlässlich der Ausstellung veröffentlicht wird. «Sie ist daher ein wunderbarer Aufhänger, um die Konflikte und Spannungen zu beobachten, die sich bei der Suche nach einer Darstellungsmöglichkeit abspielen, die je nach Epoche und Technik dem menschlichen Blick treu bleiben soll, oder im Gegenteil idealisiert und verklärt, wenn nicht gar entwirklicht oder sogar in die Nähe des Unsichtbaren gerückt werden soll.»

Die Ausstellung ist ausserdem interessant, weil das Thema «Unschärfe» bisher noch nicht so umfassend erforscht und allgemeinverständlich erklärt wurde. Zudem besteht sie aus einer grossen Anzahl von Leihgaben (z.B. des Centre Pompidou, Paris, und Museum of Modern Art, New York) welche in dieser Vielfalt kaum jemals wieder zu sehen sein werden.

Das Buch zur Ausstellung

Zur Ausstellung ist das Buch «Flou – une histore photographiquie» in französischer Sprache im Verlag Delpire & Co erschienen, welches als Ausstellungskatalog einen Dialog zu den Bildern herstellt. Es erklärt, wie die Unschärfe von unterschiedlichen Autor/innen und Künstler/innen wie Charles Baudelaire, Julia Margaret Cameron oder Pierre Bourdieu beschrieben worden ist. Damit werden die vielfältigen Fragestellungen hinsichtlich der Unschärfe in der Wahrnehmung im Laufe der Geschichte erläutert. Das Buch wurde von der Kuratorin Pauline Martin herausgegeben und enthält Textbeiträge von Martin Barnes, Martine Beugnet, Florian Ebner, Sébastien Lifshitz, Pauline Martin, Michel Poivert und Serge Tisseron sowie Nathalie Herschdorfer. Es umfasst 336 Seiten mit 282 Schwarzweiss- und Farbfotografien und ist im Buchhandel oder im Shop von Photo Elysée für CHF 55.00 erhältlich (ISBN: 979-10-95821-58-8)

Lesen Sie dazu die Buchbesprechung auf Fotointern.ch)

 

Gabriel Lippmann – ein Pionier der Farbfotografie

Photo Elysée bewahrt mit 137 von knapp 300 weltweit bekannten Aufnahmen den grössten Bestand von Lippmann-Platten auf. Damit wurde nun erstmals eine umfassende Ausstellung gestaltet, welche dieses komplizierte Herstellungsverfahren für Farbbilder erklärt und präsentiert, für welches der französische Physiker Gabriel Lippmann (1845-1921) im Jahr 1908 den Nobelpreis für Physik erhielt.

Das Lippmann Farbverfahren beruht auf Interferenzerscheinungen. Lippmann benutzte einen möglichst feinkörnigen Schwarzweissfilm, der mit der Schichtseite auf Quecksilber gelegt und belichtet wurde. So bildeten sich Interferenzen zwischen dem einfallenden und reflektierten Licht, die entsprechende Schwärzungen in der lichtempfindlichen Schicht bewirkten. Nach der Entwicklung wurde der Film wiederum auf Quecksilber gelegt, wobei – ähnlich wie bei Seifenblasen – Interferenzfarben entstanden. Lippmann veröffentlichte seine Erfindung 1891, doch wurde diese nie kommerzialisiert, da das Verfahren viel zu umständlich war und zu lange Belichtungszeiten erforderte. Zudem brachten die Gebrüder Lumière 1908 das Autochrome-Verfahren auf den Markt, das wesentlich einfacher und allgemeintauglich war. Pikantes Detail: Lippmann war mit den Gebrüdern Lumière in Kontakt, doch entstand daraus keine fruchtbare Zusammenarbeit.

 

Lippmann-Ausstellungsraum. Das Farbbild in der Mitte zeigt ein Bergdorf mit einer Frau im Vordergrund, fotografiert von Gabriel Lippmann zwischen 1893 und 1910. Links ist die Urkunde des Nobelpreises zu sehen © Collections Photo Elysée, Lausanne

Die Ausstellung ist in drei Schwerpunkte aufgeteilt, die den grossen Forschungsbereichen entsprechen, mit denen die Lippmann-Platten verbunden sind: die Lippmann-Platte als museologisches Objekt oder die Wichtigkeit der visuellen Erfahrung; die Lippmann-Platte als wissenschaftlicher Gegenstand oder die Wichtigkeit des technischen Verfahrens und schliesslich die Lippmann-Platte als Gegenstand der Kunstgeschichte oder die Wichtigkeit des Bildes.

Um die Komplexität der Interferenz-Fotografie zu erfassen, hat sich Photo Elysée mit dem AudioVisual Communications Laboratory (LCAV) der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) zusammengeschlossen. Diese Partnerschaft hat es erlaubt, das Verfahren nicht nur zu erforschen, sondern es auch zu erklären und es dem Publikum auf innovative Art zu präsentieren.

 

Porträt links zeigt Gabriel Lippmann, fotografiert von Laurence Lippmann, während das Bild rechts Laurence zeigt und von Gabriel fotografiert wurde. © Collections Photo Elysée, Lausanne 

Bei dieser Ausstellung erforderten die Schaukästen, in denen die Platten präsentiert werden, Forschungsarbeiten, die an der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) durchgeführt wurden, um ein einzigartiges Beleuchtungssystem herzustellen, das an die Betrachtung eines jeden Originalbildes angepasst ist.

Das Betrachten einer Lippmann-Platte ist zumeist eine einsame Erfahrung: Das Objekt kann gleichzeitig von nur einer Person in einem bestimmten Betrachtungswinkel gut gesehen werden. Zu seiner Zeit führte Gabriel Lippmann Projektionen durch, um es auf diese Weise einem breiten Publikum zu ermöglichen, ein und dasselbe Bild gleichzeitig zu sehen und sich über die wahrgenommenen Farben zu einigen. Mit Hilfe der EPFL konnten wir eine derartige Projektion durch Verwendung von zeitgenössischen Platten nachbilden, deren Anfertigung die Forschungen der EPFL erlaubt haben.

Die Lippmann-Ausstellung ist erstens empfehlenswert, weil noch nie so viele Lippmann-Platten an einem Ort öffentlich zu sehen waren und zweitens, weil hier dieses komplizierte Farbverfahren anschaulich und verständlich erklärt wird.

 

«Under Your Smell» – ECAL X Jean Paul Gaultier

Die dritte Ausstellung ist der Gegenwartskunst gewidmet und zeigt eine wirkliche immersive Erfahrung, welche die Begriffe Schönheit, Identität und Gender erforscht. Unter der Leitung von Florence Tétier (Creative Director bei Jean Paul Gaultier) und Nicolas Coulomb (Fotograf und Berater beim Novembre Magazine), präsentierten die Studierenden des Bachelor Photographie de l’ECAL / École cantonale d’art de Lausanne eine visuelle Interpretation der Parfums von Jean Paul Gaultier.

 

Die Installation zum Thema Parfums zeigt gigantische Fotos, die auf Textil gedruckt sind

Die Parfums Le Mâle, La Belle und Scandal dieser Marke stehen im Mittelpunkt der Installation. Die jungen Fotograf/innen haben das Thema durch die Anfertigung von Stillleben mit gegensätzlichen Texturen entwickelt: flüssig, trocken, organisch und leblos, die an die Bestandteile der Essenzen und das Design der Flakons erinnern. In einem Bereich mit inszenierten Bildern werden die Parfums zum Bühnenbild für Geschichten von Grenzüberschreitungen und für eigenwillige Projektionen.

Under Your Smell bietet eine hypnotische und immersive Erfahrung durch die monumentalen Textildrucke, die die Räume von Photo Elysée bespielen. Riesige Bilder-Kissen laden das Publikum ein, sich hinzulegen, um Genderdiversität und neue Definitionen von Schönheit und Körperausdruck zu feiern.

 

Mit einigen der Bilder wurden grosse Kissen bezogen, auf denen sich die Besucherinnen und Besucher ausruhen können

Die beteiligten Studierenden sind: Dominique Bartels, Julie Corday, Diego Fellmann, Florian Hilt, Samara Krähenbühl, Angèle Marignac-Serra, Lisa Mazenauer, Marvin Merkel, Inès Mermoud, Basil Pérot, Yolane Rais, Camille Spiller, Gwendoline Albasini, Tony Altermatt, Matteo Angelé, Laure Brandford Griffith, Noa Chevalley, Sara De Brito Faustino, Yann Difford, Jessica Dreier, Valerie Geissbühler, Eloïse Genoud, Ulises Lozano, Louis Michel, Yan Miranda, Lea Sblandano, Samuel Spreyz, Gaétan Uldry und Antoine Woeffray. Kuratiert wurde die Ausstellung von Florence Tétier und Nicolas Coulomb unter der künstlerischen Leitung v on Milo Keller.

 

Die drei Ausstellungen im Photo Elysée in Lausanne dauern vom 3. März bis 21. Mai 2023

Weitere Informationen finden Sie auf elysee.ch

Situationsfotos: Urs Tillmanns

 

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