Urs Tillmanns, 25. März 2023, 11:39 Uhr

Buchtipp: Werner Bischof «Unseen Colour»

Vor ein paar Jahren sind im Archiv von Werner Bischof eigenartige Aufnahmen zum Vorschein gekommen, die aus jeweils drei Schwarzweissnegativen bestehen. Spezialisten haben diese zu frühesten Farbfotografien restauriert, die jetzt in diesem Buch und in zwei Ausstellungen erstmals gezeigt werden.

Werner Bischof gehörte zu den grossen Schweizer Fotografen der Nachkriegszeit. Er war vor allem für seine Schwarzweiss-Reportagen aus dem kriegszerstörten Europa, dann aus dem Mittleren und Fernen Osten, aus Indochina bekannt, und schliesslich mit Bilderserien vom amerikanischen Kontinent, wo er 1954 in den peruanischen Anden ums Leben kam. Seine fotografische Schaffenszeit betrug rund zwei Jahrzehnte, während denen der Zweite Weltkrieg Bischofs Reise- und Arbeitspläne nachhaltig störte.

Damals, in den 1940er- und -50er-Jahren, war die Schwarzweissfotografie in den Illustrierten üblich. Der Farbdruck –meist im aufwendigen Kuper-Tiefdruckverfahren – war teuer und der Titelseite sowie den bezahlten Inseraten vorbehalten. Die Farbfotografie steckte damals noch in den Anfängen und war jenen Pionieren vorbehalten, die mit den komplizierten Verfahren experimentierten. Dabei war die Dreifarben-Fotografie damals das Meistbenutzte. Man benötigte dazu eine Spezialkamera, mit der gleichzeitig drei Schwarzweissaufnahmen durch die drei Farbauszugsfilter Rot, Blau und Grün realisiert werden konnten, die man danach übereinander kopierte. Dass Werner Bischof sich für die amerikanische Devin Tricolor Camera entschied, welche der Conzett & Huber Verlag für ihn anschaffte, liegt wohl daran, dass diese mit dem Plattenformat 6,5 x 9 cm relativ handlich war, während die deutschen Fabrikate, wie die Bermpohl- oder Jos-Pe-Kamera, auf grössere Aufnahmeformate ausgelegt waren.

Marco Bischof, der den Bildnachlass seines Vaters verwaltet und diese eigenartigen, fast identischen drei Negative pro Aufnahme entdeckte, hat sich an Spezialisten gewandt, denen es gelang damit wieder die ursprünglichen Farbbilder zu rekonstruieren – und so ist nicht nur dieses Buch, sondern auch die Ausstellung entstanden (siehe Kasten). Glücklicherweise wurden die Farbränder an den Bildern belassen, welche für die Direkt-Farbauszüge charakteristisch sind.

Den frühen Farbbildern von Werner Bischof kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als von ihm praktisch nur Schwarzweissfotos bekannt waren. Die Bilder sind aber auch wertvoll, weil sie den späteren Fotos mit Farbfilmen qualitativ überlegen und nicht alterungsanfällig sind. Es sind einzigartige Dokumente, die Werner Bischof bei seinen Reisen beispielsweise ins kriegsversehrte Deutschland oder für andere Reportagen in Italien oder Griechenland realisierte. Weiter sind auch Sachaufnahmen und Porträts dabei, die zu den frühesten Experimenten von Werner Bischof gehören und damals wahrscheinlich jeweils eine Sensation waren. Das Buch zeigt aber noch mehr von Bischofs Farbfotografien. Neben den 62 Tricolor-Aufnahmen sind 24 quadratische Farbbilder zu sehen, die Bischof mit einer Rolleiflex von 1948 bis 1952 aufnahm und weitere 16, bei denen er von 1953 bis zu seinem tragischen Tod 1954 seine Leica mit Farbfilmen benutzte, die in den frühen 1950er-Jahren allgemeine Verbreitung fanden.

Die bisher kaum gesehen Farbbilder von Werner Bischof werden im Buch von vier interessanten Texten begleitet. Tobia Bezzola, Direktor das MASI in Lugano, leitet mit dem Text «Werner Bischof und die Farbfotografie» in das Buch ein, die französische Fotohistorikerin Clara Bouveresse befasst sich mit dem «zwiespältigen Ruf der Farbe», Luc Debraine vom Schweizerischen Kameramuseum erklärt die damaligen Techniken der Farbfotografie und Peter Pfrunder der Schweizer Fotostiftung bringt den spannenden Hintergrund an den Tag, wie das Bild des holländischen Jungen entstand, dessen Gesicht von einer Baby-Mine verunstaltet worden war. Das Bild ist auch deshalb bekannt, weil es im März 1946 auf der Titelseite der Du-Ausgabe erschien und seither als eine der Ikonen für Werner Bischofs Farbfotografie gilt.

Für wen ist dieses Buch? Abgesehen davon, dass es als Ausstellungskatalog im MASI in Lugano und später in der Fotostiftung in Winterthur dient, ist das Werk vor allem fotohistorisch interessant. Es zeigt erstmals bisher unbekannte Farbaufnahmen von Werner Bischof und ist zudem ein qualitativ hochwertiger und authentischer Beleg dafür, was die Dreifarbenfotografie zu leisten im Stande war. Es sind Bilddokumente, die von eminenter fotohistorischer Bedeutung sind und das grosse technische und artistische Können von Werner Bischof einmal mehr bestätigen.

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlages

Von Werner Bischof (1916–1954) kennt man vor allem seine eindrücklichen Schwarzweiss- Fotografien. Sie stammen mehrheitlich von seinen Einsätzen als Reporter im Europa der Nachkriegszeit und im Indochinakrieg 1946–1954 sowie von Reisen durch den Fernen Osten und Südamerika, wo er bei einem Unfall ums Leben kam. Weniger bekannt sind dagegen Bischofs Farbaufnahmen, die er in den ersten Jahren nach Abschluss seiner Ausbildung an der Zürcher Kunstgewerbeschule geschaffen hat – einerseits in seinem Studio für Mode- und Reklamefotografie, aber auch Reportagen von Schauplätzen im kriegsversehrten Europa. Realisiert hat Bischof die Fotos im Auftrag des Zürcher Verlages Conzett & Huber, der ihm dafür eine Devin Tri-Color-Kamera zur Verfügung stellte, die jede Aufnahme auf drei mit Farbfiltern versehenen Glasplatten abbildete. Rund 200 dieser Farb-Negative aus dem Nachlass sind für dieses Buch erstmals restauriert und neu aufbereitet worden.

Faszinierend ist der reich illustrierte Band nicht allein aus fotohistorischer Sicht: Bereits diese frühen Farbfotografien lassen Werner Bischofs feinfühlige Ästhetik erkennen, die das gesamte Schaffen des Zürcher Magnum-Fotografen prägt. Die Abbildungen werden ergänzt durch Texte von Clara Bouveresse, französische Fotografie-Historikerin, von Peter Pfrunder, Direktor der Fotostiftung Schweiz in Winterthur, sowie von Luc Debraine, Direktor des Schweizer Kameramuseums in Vevey.

 

Der Inhalt

«Versuche der Farbfotografie mit den heutigen Mitteln»
Werner Bischof und die Farbfotografie von Tobia Bezzola

«Von kommerziellen Zwängen zu künstlerischen Vorhaben: Der zwiespältige Ruf der Farbe» von Clara Bouveresse

«Schmerzhafte Farben» von Peter Pfrunder

«Von Farben und Techniken» von Luc Debraine

Biografische Angaben

Bildlegenden

Dank / Impressum

 

Der Fotograf

Werner Bischof wurde am 26. April 1916 geboren, wuchs in Zürich und Kilchberg auf, verbrachte dann seine Schulzeit in Waldshut und besuchte später das Lehrerseminar in Schiers, um Zeichen- und Sportlehrer zu werden. 1932 begann er ein Studium an der Zürcher Kunstgewerbeschule bei Hans Finsler und Alfred Willimann, erhielt 1936 sein Diplom mit Auszeichnung als Fotograf und eröffnete in Zürich ein Studio für Mode- und Werbefotografie. Es folgte die Anstellungen bei einem Zürcher Verlag, dann war Bischof als freischaffender Künstler für die Schweizerische Landesausstellung 1939 sowie als Grafiker in Paris tätig, bis er 1939 zum Aktivdienst in der Schweiz gezogen wurde. 1942 wurden seine ersten Fotos in der Monatszeitschrift Du publiziert, bevor er im Herbst 1945 nach Süddeutschland, Frankreich und die Niederlande reiste, um die Folgen des Zweiten Weltkrieg und die stark betroffene Bevölkerung zu dokumentieren. Danach war er für berühmte Illustrierte, wie Time und Paris Match im Mittleren und Fernen Osten, sowie in Indochina unterwegs und verbrachte danach längere Zeit auf dem amerikanischen Kontinent. Am 16. Mai 1954 kam sein Geländewagen in den peruanischen Anden von der Strasse ab, wobei Werner Bischof ums Leben kam.
Weitere Informationen über Werner Bischof finden Sie unter www.wernerbischof.com

 

Die Herausgeberinnen

Ludovica Introini ist Kunsthistorikerin und arbeitet seit 2019 im Ausstellungsbüro des MASI Lugano.

Francesca Bernasconi ist Kunsthistorikerin und seit 2017 als Leiterin Ausstellungsorganisation am MASI Lugano tätig.

 

Die Ausstellungen

MASI Lugano: noch bis 2. Juli 2023 
Fotostiftung Winterthur: 26. August 2023 bis 21. Januar 2024

 

Bibliografie

Werner Bischof «Unseen Colour»

Herausgegeben von Ludovica Introini und Francesca Bernasconi
mit Texten von Tobia Bezzola, Clara Bouveresse, Peter Pfrunder und Luc Debraine
184 Seiten, 102 farbige Abbildungen, Fadenheftung, gebunden, fester Halbleinen-Umschlag
Format 21 x 24 cm
Erschienen im März 2023 in Zusammenarbeit mit dem MASI Lugano und der Fotostiftung Schweiz, Winterthur
Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich
Preis: CHF 49.00 | EUR 48.00
Deutsch oder Englisch erhältlich
ISBN 978-3-03942-129-9

Das Buch kann im Buchhandel, bei MASI und in der Fotostiftung gekauft oder direkt beim Verlag bestellt werden.

 

 

 

 

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