Urs Tillmanns, 22. Mai 2023, 12:26 Uhr

Bieler Fototage 2023 – ein Rundgang durch die «Physicalities»

Noch bis nächsten Sonntag, 28. Mai 2023 sind die Bilder Fototage zu sehen. Rund 20 Ausstellungen zu verschiedensten fotografischen Themen werden an 12 Orten der Stadt Biel gezeigt. Leitgedanke sind die «Physicalities», der Einfluss der virtuellen Welt auf unsere Erfahrung der realen Welt.

Wie bereits kurz berichtet finden zur Zeit und noch bis nächstes Wochenende die Bieler Fototage statt. 20 Ausstellungen werden an 12 Orten in der Stadt Biel gezeigt, die alle unter dem Begriff «Physicalities» stehen. Dieser macht das Gros der Ausstellungen äusserst vielfältig und regt zum Nachdenken über den Einfluss der virtuellen Trends auf unsere reale Welt an. Fotointern hat sich die Ausstellungen der Bieler Fototage angesehen und zeigt hier einige Schwerpunkte.

 

Karla Hiraldo Voleau (FR): «A Man In Public Space, part II»

Die Bilder der französischen Fotografin, die an der ECAL studiert hat, sind entlang des Flüsschens «Schüss» als Plakate ausgestellt. Inspiriert durch die Zunahme feministischer Aktionen will sie mit ihren Bildern die Fragen der Männlichkeit untersuchen und lädt die Besucherinnen und Besucher ein, sich Gedanken über die Wirkung der Geschlechtsidentität bei Machtfragen zu machen. [3]

 

«Physicalities» – Leitgedanke der diesjährigen Bieler Fototage

Im Zeitalter, in dem Bildschirme nicht mehr aus dem physischen Leben wegzudenken sind und Menschen sich in einer Welt der Darstellung, der künstlichen Intelligenz und der Automatisierung bewegen, regt die 26. Ausgabe der Bieler Fototage zum Nachdenken darüber an, was untrennbar mit unserer Gesellschaft verbunden ist. Roboter sind fähig Entscheidungen zu treffen, Autos fahren von alleine und Individuen können im Metaversum ihr Alter Ego erschaffen, um Stellvertretererfahrungen zu machen – dabei verschwimmen die Grenzen zwischen digitalen und realen Identitäten zunehmend. Durch die ständige Vernetzung werden Menschen konstant mit ihrem eigenen Image konfrontiert. Sie werden beobachtet, kontrolliert, gemessen, oft eingeschränkt oder dazu gezwungen zu fliehen.

Umgestaltung von Körpern, Neudefinition von Grenzen, Universen bevölkert von Avataren, Eroberung neuer Gebiete und Veränderung individueller Freiheiten – die virtuelle Welt beeinflusst unsere Erfahrung der greifbaren Welt. Die Individuen bewegen sich in Räumen der Darstellung, in denen alles möglich scheint, die jedoch Widersprüche und Konflikte hervorrufen. In einer Gesellschaft, in der Erscheinung, Sichtbarkeit und Anerkennung wichtiger sind als alles andere, sind die Menschen äusserlich immer stärker vernetzt, gleichzeitig aber auch mehr und mehr vom Lebendigen abgeschnitten. Der Rundgang durch die Ausstellungen ermöglicht eine eingehende Auseinandersetzung mit Fragen der «Physikalität». Im Rahmen der fotografischen Angebote und Veranstaltungen sollen Beobachtungsfenster geöffnet werden auf unsere Beziehung zur physischen, lebendigen, virtuellen oder erträumten Welt, eine Welt, in der wir leben und die wir erschaffen.

 

Beat Schweizer (CH): «All Things Considered, 2020 – 2021»

Beat Schweizer zog mit seiner Familie in die USA und lebte in einer kleinen Wohnung in New York. Das Leben auf engem Raum machte er zu seinem fotografischen Thema und publizierte poetische bis intime Bilder von Wohnzimmer bis ins Schlafzimmer in seinem Blog. Seine Serie wird durch dokumentarische Bilder ergänzt, die während der Pandemie in der menschenleeren Stadt entstanden sind. [1]

 

Bertrand Cavalier (FR): «Permanent Concern, 2021 – 2022»

Durch das Medium Fotografie erkundet Bertrand Cavalier die Interaktionen zwischen Menschen und modernistischen urbanen Umgebungen, in denen sie sich bewegen. Seine Bildserie ist mit seinem Smartphone bei Spaziergängen in Holland entstanden und zeigen alltägliche Gegenstände, die banal erscheinen mögen, jedoch sinnbildlich für subjektive, gesellschaftliche Praktiken im öffentlichen Raum stehen. [1]

 

Marta Zgierska (PL): «Afterbeauty, 2018»

Für ihre sanften aber auch verführerischen Bilder nutzt die Künstlerin ihren eigenen Körper. Sie legte mehrfach Schönheitsmasken auf ihr Gesicht und fotografierte danach die Abdrücke ihrer Gesichtsform wie abstrakte Skulpturen oder inhaltsleere Körper. Ihre Performances, herauskristallisiert durch das fotografische Bild, orientiert sich an den Gesetzen der Kosmetikindustrie und hinterfragen die Erwartungen an den weiblichen Körper. [1]

 

Clément Lambelet (CH) & Valentin Woeffray (CH): «The Mathematics of Regression, 2019 – 2023»

Für seine Bilderserie hat Clement Lambelet über 55’000 Bilder aus einer amerikanischen Datenbank mit Fahndungsfotos gesammelt und diese Daten dazu verwendet, um künstliche Intelligenzen für die Gesichtserkennung zu schaffen. Die daraus entstehenden Porträts sind die Stereotypen dieser Datenbank. Die durch Algorithmen entstandenen Verdächtigen werden, dank einer Überlagerung von Bildern und einem Lentikulardruck anonymisiert. Das Video «Reassuring White Noises» von Valentin Woeffray ergänzt die Porträtserie. [1]

 

Emma Bertuchoz & Ricardo Caldas: «Embracet: Réflexion d’une performance, 2022»

In der «Espace libre»-Installation zeigen die beiden Künstler eine Performance, die scharfe und tückische Schuhe aus Metall zum Inhalt hat. Wie beim De-Skilling schaffen sie eine unpraktische Situation, die sie dazu zwingt neue Wege und Gangarten zu finden, um sich zu bewegen. Sie verschmelzen sich ineinander, durchlaufen Evolutionen. Was braucht es am Ende um voranzukommen? [2]

 

SNF-Wettbewerb für wissenschaftliche Fotografie: «Ganz schön wissenschaftlich»

Die Forschung erweitert täglich unseren Wissensstand, ist aber auch eine soziale, konkrete und oft persönliche Tätigkeit. Die Menschen, die Forschung betreiben, betrachten ihre Arbeit aus vielfältigen Blickwinkeln. Welche Botschaft lässt sich in der ästhetischen Schönheit ihrer Arbeit entdecken? Jedes Jahr beantwortet eine internationale Jury diese Frage neu, indem sie sich mit den Hunderten von Werken auseinandersetzt, die beim Wettbewerb des Schweizer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) für wissenschaftliche Bilder eingehen. [4]

 

Sabina Bösch (CH): «Hoselupf, 2021»

Frauen sind beim Schwingen (Gürtelringen) erst seit 1982 offiziell zugelassen. Das hat Sabina Bösch zu ihrem fotografischen Thema gemacht, indem sie sich eine Saison lang bei fünf Tournieren auf Frauen und Mädchen konzentriert hat, die diesen Schweizer Sport ausüben. Zugleich sinnlich und brutal vermitteln ihre Fotos einen zeitgenössischen und weiblichen Blick auf diese Kampfsportart und ermöglichen es ihren Protagonistinnen aus dem Schatten zu treten, in dem sie auch in der heutigen Zeit noch stehen. [8]

 

Vanessa Gandar (FR): «Das Abdriften der Pole, 2018 – 2023»

Meteorologische Ereignisse im Weltall wie Sonnenwinde oder Asteoroiden schwächen regelmässig die schützende Wirkung der Magnetfelder auf der Erde und beeinflussen beispielsweise das Klima und die Wege wandernder Tierarten. Für das Projekt «La dérive des pôles», welches den Einfluss der Magnetfelder auf den Wandel irdischer Landschaften untersucht, stützt sich  Vanessa Gandar auf irdische Erhebungen von Seefahrern aus dem Jahr 1650, Forschungsergebnisse des Naturwissenschaftlers Alexander von Humboldt sowie auf jüngste Entdeckungen. Sie hat sich zudem in verschiedene Meteoritenkrater auf der ganzen Welt begeben, um Spuren zu finden, die von diesen magnetischen Phänomenen zeugen könnten. Die für das Festival geschaffene Installation hinterfragt das Verhältnis des Menschen zum Lebendigen, zur Erde und zum Kosmos. [8]

 

Lucas Dubois (CH): «De la terre à la terre, 2019 – 2023»

Lucas Dubois hat während mehreren Monaten einen Bauern und Bestatter bei seiner Arbeit begleitet und zeigt ihn in seiner Serie die Zeit zwischen Aufgaben auf seinem Hof bei der Familie und bei der Betreuung der Verstorbenen in seiner Region. Der Fotograf schafft damit einen parallelen Einblick in die Welt des Bauernhofs und jene der Leichenhalle, die Welt der Lebenden und der Toten, zwei Universen, die zugleich gegensätzlich aber auch sehr ähnlich sind – und sich ergänzen. [7]

 

Calypso Mahieu (FR): «Je vivrai pour toi, part II, 2020»

Im Internet-Zeitalter werden zunehmend Rituale rund um den Tod einer nahestehenden Person, die früher im engsten Kreis begangen wurden, in die sozialen Netzwerke verlagert. In «Je vivrai pour toi» stellt Calypso Mahieu dieses wachsende Phänomen, mit dem wir alle konfrontiert sind, nämlich die virtuelle Ewigkeit, bildlich dar und durchforscht Geisterprofile, die in der virtuellen Welt weiterhin Tags, Pokes und Mitteilungen erhalten sind. Für den zweiten Teil dieses Projekts, hat die Künstlerin die Bildersymbolik von Trauer und Spiritualität, wie Blumenschmuck, Kerzen oder Weihrauch aufgegriffen um virtuelle Altare von hybrider Form nachzustellen. Die ausgestellten Stillleben verkörpern diese neuen Andachtsräume, die fortan von räumlichen und zeitlichen Grenzen frei sind.

 

Olivier Suter (CH): «Lectures»

Lesen ist zu einer immer stärker immateriellen, zeitlich und räumlich fragmentierten Tätigkeit geworden. ln seiner Fotoserie stellt Olivier Suter Kinder in den Mittelpunkt, die in Bücher vertieft sind, welche die Geschichte der Menschheit geprägt haben; Werke, die bereits zum Zeitpunkt ihres Erscheinens unsere Beziehung zur Welt und zu anderen Menschen durchleuchteten. Durch seine Bilder erforscht Suter den Einfluss, den Schriftstellerinnen, Denker und Philosophinnen noch heute auf unsere Gesellschaft haben können. [10]

 

Pascal Greco (CH): «Place(s), 2020 – 2023»

Als Pascal Greco im März 2020 aufgrund der Pandemie nicht nach lsland reisen konnte, befasste er sich mit digitalen Landschaften des Spiels «Death Stranding» auf seiner Playstation 4. Je länger er sich in diesem digitalen Umfeld bewegte, desto bewusster wurde ihm, wie erstaunlich ähnlich die digitalen Landschaften jenen in lsland sind, die er fotografieren wollte. Die Installation Place(s) erforscht die «In-Game-Fotografie», wobei seine Bilder verstörend realistisch wirken und sich auf «natürliche» und «bestehende» Landschaften konzentrieren. Sie hinterfragen unsere Wahrnehmung und Konstruktion der Realität im Internet-Zeitalter. [10]

 

Sabina Bösch (CH): «Hoselupf II, 2021»

Ergänzend zur Ausstellung im «Le Grenier», auf dem Dachboden eines Verwaltungsgebäudes aus dem 14. Jahrhunderts, wird im Farelhaus als beliebter Treffpunkt vor allem junger Leute ein gigantischer Print zum Thema «Hoselupf» gezeigt. Das Bild besticht nicht nur durch seine Grösse, sondern vor allem auch durch die Position der beiden ringenden Frauen und deren Gesichtsausdruck. Nur nicht auf den Rücken – denn damit ist der Kampf verloren. [11]

Situationsfotos: Urs Tillmanns / Fotointern.ch
Copyrights der abgebildeten Werke bei den Fotograf/innen

Die Ausstellungsorte

Die Bilder Fototage – Informationen

Dauer: noch bis Sonntag 29. Mai 2023
Orte: 12 Lokalitäten in Biel/Bienne (siehe Plan oben)
Öffnungszeiten: Mi – Fr: 12.00 – 18.00, Do: 12.00 – 20.00, Sa – So 11.00 – 18.00, Montag und Dienstag geschlossen
Preise: 1-Tages-Pass: CHF 20.- / 15.- , 2-Tages-Pass: CH 25.- / 18.- *, Gratis: bis 16 Jahre
Info und Billetverkauf: Photoforum Pasquart [1], Le Grenier [8]

Alle Bereiche sind rollstuhlgerecht ausgenommen Gewölbe Galerie [7] und Le Grenier [8]

Weitere Informationen finden Sie unter https://bielerfototage.ch/

UPDATE 28.05.2023 19:00 Die Bieler Fototage mit dem spannenden Thema «Physicalities» konnte vom 5. bis 28. Mai 2023 rund 11’000 Besuchende vermelden

 

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