Urs Tillmanns, 23. November 2023, 12:12 Uhr

BelleVue Basel: «Morgennebel» – oder die Spätfolgen eines Krieges

Vor einem halben Jahrhundert fand in Laos und Vietnam ein brutaler Krieg statt, bei dem von den Amerikanern Dioxin zur Entlaubung eingesetzt worden war. Die heutigen Spätfolgen davon zeigen die beiden Fotografen Marco Frauchiger und Roland Schmid noch bis 10. Dezember 2023 im BelleVue in Basel. Zudem gibt es ein Buch zum Thema.

Zwei Fotografen stellen gegenwärtig im BelleVue in Basel aus – Marco Frauchiger und Roland Schmid. Ein Fotograf und Künstler neben einem freiberuflichen Fotojournalisten. Ihre Themen ähneln sich: Beide Bildreihen befassen sich mit Spätfolgen der Kriege in Laos und in Vietnam in den 1970er Jahre. Das ist lange her. Man neigt dazu zu vergessen. Oder man wusste es bei uns gar nie so genau. Beide, sowohl Marco Frauchiger als auch Roland Schmid, haben diese Orte mehrmals bereist und die Folgen eindrücklich dokumentiert – die Minenfelder in Laos, die verstümmelten Menschen in Vietnam. Sie erinnern an einen Krieg, der nie zu Ende geht …

«Morgennebel» heisst die Ausstellung. Man sieht in Gedanken traumhafte Stimmungen über einer lieblichen Landschaft vor sich – pastellene Farben und eine Sonne, die allmählich zum Tag durchbricht. Doch der Schein trügt. Der Titel ist eine Allusion auf die amerikanischen Flieger, die jeden Morgen tonnenweise einen Nebel von Agent-Orange als Entlaubungsmittel über Südvietnam versprühten. Dies ohne zu wissen, dass dadurch nicht nur die Bäume und Pflanzen vernichtet wurden, sondern dass mit dem tödlichen Stoff auch die Bevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dies bis heute – in der vierten Generation …

 

Marco Frauchiger: «How to dismantle a bomb»

Szenenwechsel. Laos 1964 bis 1973. Im Achtminutentakt prassen insgesamt zwei Millionen Bomben auf das kleine Land nieder, um die Versorgungswege des Vietcong zu zerstören. Das sind mehr Bomben als im Zweiten Weltkrieg auf Deutschland und Japan zusammen abgeworfen wurden. Noch heute ist das Land übersäht mit Bombenkratern, Blindgängern und Metallteilen. Die Menschen mussten lernen mit dieser Situation fertig zu werden. Sie schafften es. Sie verwenden die Bombentrümmer – grösstenteils wertvolles und leicht zu bearbeitendes Aluminium – um mit einer beachtlichen Fantasie und Fertigkeit Gebrauchsgegenstände aller Arten daraus zu formen.

Marco Frauchiger gewann als Fotograf und Künstler mit der Arbeit «How to dismantle a bomb (Bringing light into Dark)» den «Prix Photoforum 2022» (Photoforum Pasquart, Biel/Bienne). In dieser Lichtinstallation zeigt er Direkt-Positiv Papier Unikate der zerbombten Landschaft im Laos, die er mit einer Lochkamera aufgenommen hat, die ein laotischer Handwerker aus Bombentrümmern gebastelt hatte.

«How to dismantle a bomb» ist ein Experiment rund um die Wahrnehmung und Bedeutung von Objekten und Bildern. Es zeigt die Fragilität zwischen unserer eigenen Wahrnehmung und der Erzählung der historischen Narration und hinterfragt die Bedeutung von «Wahrheit». Die Zweifel, die dabei zutage treten, machen einem die Ambivalenz bewusst, die in Erzählungen verborgen sind.

 

Roland Schmid: «Der endlose Krieg»

Seit der Beendigung des Vietnamkriegs sind beinahe 50 Jahre vergangen. Der Krieg hat damals die Welt erschüttert und vor allem westliche Gesellschaften, zumindest vorübergehend, tiefgreifend verändert. Doch mit den Folgen dieses Krieges hat Südvietnam bis heute zu kämpfen: nebst den üblichen Hinterlassenschaften eines Krieges, wie Blindgänger und die entsetzlichen Folgen, die sich daraus ergeben, gibt es einen Stoff, der weder fassbar oder sichtbar ist und der bis heute zahlreiche Opfer fordert: Agent Orange – so benannt aufgrund der Farbe der Fässer in denen der tödliche Stoff gelagert war. Laut der VAVA, der Vietnamesischen Vereinigung für Opfer von Agent Orange und Dioxin, sollen bis zu 4,8 Millionen Menschen an den Folgen des anscheinend harmlosen Herbizides verstorben sein. Das im Agent Orange enthaltene TCDD, der giftigste Vertreter der Dioxine, ist bis heute in der Nahrungskette zu finden und verursacht in Südvietnam Erbgutschäden mittlerweile bis in die vierte Nachkriegsgeneration.

Roland Schmid ist freischaffender Fotojournalist, arbeitet für zahlreiche schweizerische und internationale Medien und ist regelmässig in Krisengebieten unterwegs. Er unternahm zusammen mit dem Journalisten Peter Jaeggi mehrere Reisen nach Südostasien, insbesondere nach Vietnam, um die Spätfolgen dieses Krieges und von Agent Orange in eine Bildserie und mit einem Buch (siehe Kasten) in unser Bewusstsein zu rücken. Das Bild im Porträt von Roland Schmid zeigt die Eingliederungsstätte «Friendship Village» in Hanoi für rund 120 Behinderte, die mit leichteren bis mittleren Spätfolgen ins Alltagsleben integriert werden sollen.

Roland Schmid und Peter Jaeggi haben immer wieder betroffene Familien besucht. Wenig geändert hat sich am Leben dieser Leute. Vom vietnamesischen Staat kommt nach wie vor meist nur symbolische Hilfe. Die USA leugnen weiterhin jeglichen Zusammenhang zwischen Agent Orange und dem Elend. Prozesse um Entschädigungen wurden bisher abgeschmettert. Trotzdem versuchen die USA in den letzten Jahren kontaminierte Gegenden zu reinigen, als «Geste des guten Willens».

«Mir geht es mit der Arbeit vor allem darum aufzuzeigen, welche Konsequenzen schwerwiegende Entscheidungen der Politik auf das Leben der einfachen Leute haben kann» sagt Roland Schmid. «Vietnam ist für mich in diesem Fall der Stellvertreter für alle Konflikte, die auf der Welt ausgetragen werden. Es ist eine Geschichte über das Leid und die Widerstandskraft der Opfer über die Ignoranz der Mächtigen».

Das Buch zur Ausstellung: Peter Jaeggi «Krieg ohne Ende»

Zum Thema der Chemiewaffen im Vietnamkrieg ist soeben das Buch von Peter Jaeggi «Krieg ohne Ende» im Lenos-Verlag erschienen. Es enthüllt auf mehr als 400 Seiten schonungslos und fundiert recherchiert die Strategie der Amerikaner im Vietnamkrieg, die Hintergründe zum Einsatz von Agent Orange und die noch kaum absehbaren Langzeitfolgen dieses Krieges. Zudem verdeutlicht das Buch den Ablauf und die Geschichte eines Krieges, der im Westen zu wenig bekannt ist. Es ist mit eindrücklichen Bildern von Roland Schmid und Horst Fass reich illustriert.

Das Buch ist während der Ausstellung im BelleVue zum Spezialpreis von CHF 25 erhältlich und kostet regulär im Buchhandel oder direkt beim Verlag CHF 32.

Die Ausstellung «Morgennebel» ist noch bis 10. Dezember 2023 zu sehen im
BelleVue – Ort der Fotografie  
Breisacherstrasse 50
CH 4057 Basel

Öffnungszeiten:
Das BelleVue ist nur Samstag und Sonntag jeweils 11 bis 17 Uhr geöffnet

Veranstaltung:
Mittwoch, 29. November, 19 Uhr
Gespräch mit Roland Schmid und Marco Frauchiger; Moderation: Regine Flury
Die Ausstellung ist ab 18 Uhr geöffnet

Führung
Sonntag, 10. Dezember, 14 Uhr mit Marco Frauchiger und Roland Schmid

 

 

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