Urs Tillmanns, 17. Mai 2025, 07:00 Uhr

Fotomuseum Winterthur, Eröffnungsausstellung: «The Lure of the Image»

Rund zwei Jahre lang war das Fotomuseum Winterthur geschlossen. Am Samstag, 17. Mai 2025, war Eröffnung des renovierten und erweiterten Museums, dies mit der Ausstellung «The Lure of the Image», welche «zeitgenössische Formen als digitale Verführungskünstlerin» zeigt.

Im März 2023 schloss das Fotomuseum Winterthur seine Pforten «bis Sommer 2025», wie es damals vorsichtig hiess (Fotointern berichtete). Jetzt konnte der altehrwürdige Bau sogar innert kürzerer Frist saniert und erweitert werden. Nach 26 Monaten konnte das Museum nun seine Wiedereröffnung feiern – dies mit einer spannenden Ausstellung über den Einfluss von Internetbildern auf die Gesellschaft.

Das Fotomuseum Winterthur erstrahlt in neuem Glanz. Auffallend ist die neu gestaltete Fassade mit grösserer Rampe und einem Vordach

Das Foyer präsentiert sich einladender und übersichtlicher. Ausser dem Museumshop gibt es auch eine Ecke mit einer bequemen Sitzgruppe

Zwar hat das neue Museum praktisch die gleiche Ausstellungsfläche, doch wurde ein neues flexibleres Raumkonzept realisiert, mit dem die Anzahl Räumen von ehemals vier auf acht verdoppelt wurde. Damit können die Ausstellung besser thematisch aufgeteilt, oder es können Parallelausstellungen realisiert werden. Es konnten auch neue Workshop-Räume gestaltet werden, sowie ein neues Fotolabor und eine begehbare Camera obscura. Mit den Umbau- und Sanierungsarbeiten ging auch eine Modernisierung der Infrastruktur einher, welche neue Möglichkeiten der Ausstellungsgestaltung bietet. «Das Medium der Fotografie hat sich in den letzten Jahrzehnten mit unglaublicher Geschwindigkeit verändert», sagt Nadine Wietlisbach, Direktorin Fotomuseum Winterthur. «Wir begleiten und diskutieren diesen Wandel und dessen Auswirkungen gleichermassen befragend und mit Begeisterung – in unserer Eröffnungsausstellung ‘The Lure of the Image – Wie Bilder im Netz verlocken’ und darüber hinaus.»

 

The Lure of the Image – Wie Bilder im Netz verlocken

Wie locken oder betören uns Bilder, die online zirkulieren? Wie fesseln, steuern oder täuschen sie uns? Die 14 künstlerischen Positionen in der Ausstellung setzen sich mit visuellen Phänomenen auseinander, die online als Vehikel für Kommunikation, Kritik oder Komik dienen. Sie veranschaulichen, welch zentrale Rolle Bilder in der Gestaltung unserer sozialen, kulturellen und politischen Umgebung spielen.

Die Schau lädt dazu ein, die visuellen Welten von Social-Media-Feeds, Dating-App-Profilen, Beauty-Filtern, Memes, ASMR-Videos, cute (niedlichen) oder cursed (verfluchten) images, Emoji, computergenerierten Bildern oder pixeligen Screenshots zu erkunden, die als Verschwörungstheorien oder als Protestmittel gleichermassen zum Einsatz kommen können. Dabei legen die künstlerischen Arbeiten die komplexen Mechanismen der Verführung im digitalen Raum offen und beleuchten, wie Bilder und die ihnen zugrunde liegenden Strukturen – von Algorithmen bis zu Datensätzen – unsere Aufmerksamkeit lenken, Gefühle provozieren und Meinungen beeinflussen. Vernetzte Bilder zeigen sich als prägende Elemente einer aufmerksamkeitsgesteuerten Ökonomie, die unsere Affekte und Begehren entfachen und uns dabei nicht selten auf Um- oder Abwege führen.

 

Die Besuchenden werden im ersten Raum mit der Videoshow von Sara Cwynar ins Thema eingeführt. Der Videoessay lässt unterschiedlichste Gegenstände und Bilder aus den Bereichen Kunstgeschichte, Werbung, Mode, Design und Journalismus in einem kontinuierlichen, geradezu hypnotischen Bewegungsfluss an uns vorbeiziehen.

 

Viktoria Binschtok setzt sich mit ihrer Arbeit unter den Titel «Digital Semiotics, 2024-2025» mit der Omnipräsenz von Emojis in der digitalen Kommunikation auseinander. Binschtok richtet ihren Blick dabei auf die permanente Weiterentwicklung der Bedeutungsebenen und kulturellen wie gesellschaftspolitischen Implikationen digitaler Bildsymbole wie Emojis, um zu beleuchten, wie diese den öffentlichen Diskurs prägen oder politische Zensur unterlaufen können.

 

Jenny Rova lotet mit ihren handgefertigten Fotocollagen unter dem Thema «A Milf Dream – My Matches on Tinder, 2024» ihr eigenes Beziehungsleben aus mit Schnittstellen von Intimität, Selbstdarstellung und dem fotografischen Blick. In ihren Collagen bringt sie fotografische Elemente aus den Profilen ihrer Tinder-Matches zusammen und verwandelt sie in Projektionen potenzieller romantischer und sexueller Beziehungen.

Im gleichen Raum sind mehrere Installationen von Joiri Minaya zusehen, mit denen sie sich mit karibischer Identität, damit verbundenen Stereotypen und körperbezogenen Politiken auseinandersetzt.

 

In Taking Stock wertet Michael Mandiberg mithilfe maschinellen Lernens 130 Millionen Stockfotos aus Bilderbanken aus, um daraus hypnotische Videosequenzen und dichte, vielschichtige Fotografien zu kreieren, die Muster visueller Gleichförmigkeit in den Datensätzen offenlegen. Während diese Bilder vorbeiflimmern, lassen sie ein geisterhaftes Porträt entstehen, das deutlich macht, inwiefern unsere visuelle Kultur von einer kapitalistischen Ideologie heimgesucht wird, die unsere Vorstellungen von Normalität mitbestimmt, Vorurteile am Leben erhält und systembedingte soziale Ungleichheiten verstärkt und verfestigt.

 

Die Lure Lounge lässt einen Blick hinter die Kulissen des kuratorischen Rechercheprozesses von The Lure of the Image zu. Eine Karte, die Schlüsselbegriffe und Konzepte sowie vernakuläre Neologismen darstellt, vermittelt einen Eindruck davon, wie das Thema «Lure» (Verlockung) im Zusammenhang mit online zirkulierenden Bildern samt deren zeitgenössischen sozialen und politischen Implikationen angegangen wurde. Hier können die Besuchenden aktiv an der Forschung zum Thema mitzuwirken: Es liegen Bücher aus, die mit Randbemerkungen versehen sind und verschiedene Denkprozesse des kuratorischen Teams illustrieren.

 

Für The Wave hat Dina Kelberman auf lnstagram Tausende ASMR-Videos (Autonomous Sensory Meridian Response) von Schwämmen gesammelt, auf denen Hände mit Gummihandschuhen zu sehen sind, die innig mit seifigen Schwämmen spielen – die sie zusammendrücken, aufschäumen und auseinanderzupfen. Die immersive Videoinstallation, welche die Videos in ihrer Wirkung von «beruhigend» bis «grob» anordnet und stark vergrössert auf einander gegenüberliegende Wände projiziert, resultiert in einer Kakophonie aus Klängen und Bildern.

 

In Annihilation Core lnherited Lore untersucht Noura Tafeche, wie eine Ästhetik der Niedlichkeit online als Waffe eingesetzt wird, um militärische Propaganda und Gewalt zu verbreiten. Auf der Basis von vier Jahren Forschung und ausgehend von einem Archiv mit über 30’000 Dateien zeigt Tafeche, wie pastellfarbene Plüschtiere, Manga-Fan-Art und Rehaugen dazu genutzt werden können, um kriegerische Botschaften, sexualisierte Gewalt, die Fetischisierung von Waffen und Alt-Right-ldeologien zu verbreiten. Die Installation wirft ein Schlaglicht darauf, wie die vermeintlich unschuldigsten Formen visueller Mainstreamkultur von schädlicher Propaganda infiziert sein können.

 

Unberührte Landschaften, wunderschöne Blumen und lavendelfarbene Sonnenuntergänge – so zauberhaft und unschuldig die Bilder in der Installation #Ingrid von Zoé Aubry auf den ersten Blick auch scheinen, so grausam ist die Realität, die hinter ihnen steckt. Der Titel #Ingrid verweist auf Ingrid Escamilla Vargas, eine junge mexikanische Frau, die 2020 von ihrem Ehemann brutal ermordet wurde. Als korrupte Behörden Fotos ihres verstümmelten Körpers an die örtliche Presse weitergaben, die diese auf ihren Titelseiten mit Überschriften wie «Amor war schuld» veröffentlichten, protestierte die Öffentlichkeit gegen diese voyeuristische und sensationsheischende Berichterstattung. Die Welle der Solidarität setzte sich in den sozialen Medien fort, wo es sich die Hashtag-lnitiative #lngridEscamillaVargas zum Ziel machte, die illegal an die Öffentlichkeit gespielten Fotos aus dem Internet zu «Schwemmen» und zukünftige Online-Suchen nach Ingrid nur noch mit schönen Bildern zu verknüpfen.

Situationsbilder: © Urs Tillmanns / Fotointern

In der Ausstellung sind Arbeiten von Zoé Aubry, Sara Bezovšek, Viktoria Binschtok, Sara Cwynar, Éamonn Freel x Lynski, Dina Kelberman, Michael Mandiberg, Joiri Minaya, Simone C Niquille, Jon Rafman, Jenny Rova, Hito Steyerl, Noura Tafeche und Ellie Wyatt zu sehen. 

Die Ausstellung ist noch bis 12. Oktober 2025 zu sehen im
Fotomuseum Winterthur
Grüzenstrasse 44+45
CH-8400 Winterthur
Tel. 052 234 10 60

Geöffnet Di/Do/Fr 11:00–17:00, Mi 11:00–20:00, Sa/So 11:00–18:00 Uhr, Mo geschlossen.
Weitere Informationen finden Sie unter https://www.fotomuseum.ch

 

Das Buch zur Ausstellung

Das Buch, als Ringordners gestaltet, setzen sich in künstlerischen Positionen und kontextualisierenden Beiträge mit visuellen Phänomenen auseinander, die online als Vehikel für Kommunikation, Kritik oder Komik dienen. Sie veranschaulichen, welch zentrale Rolle Bilder in der Gestaltung unserer sozialen, kulturellen und politischen Umgebung spielen. Parallel zur Ausstellung untersucht das Buch, wie Bilder und die ihnen zugrunde liegenden Strukturen – von Algorithmen bis zu Datensätzen – unsere Aufmerksamkeit lenken, Gefühle provozieren und Meinungen beeinflussen. Und damit prägende Elemente einer aufmerksamkeitsgesteuerten Ökonomie sind, die unsere Affekte und Begehren entfachen.

286 Seiten in Ringbuch, Format 20,5 x 24,5 x 5,5 cm, 2025
Sprache: Englisch
Spector Books, Leipzig
Preis: CHF 47.00
ISBN 078-3-95905-914-5

Das Buch kann im Buchhandel oder im Shop des Fotomuseums Winterthur bestellt bzw. beim Ausstellungsbesuch gekauft werden.

 

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