David Meili, 28. März 2010, 10:34 Uhr

Shelf-Life im News-Journalismus, farbenblind und Nichts über Carl Hirschmann

Pressespiegel zum Wochenende vom 27./28 März 2010
Als Shelf-Life bezeichnet man in der Lebensmitteltechnologie die Zeitspanne bis zum Verfallsdatum einer Tomate, beispielsweise. Die Kombination von mehreren Methoden erlaubt es, um beim Beispiel zu bleiben, reife Tomaten nach der Ernte über zwei Monate als geniessbar anzubieten. Im News-Journalismus verkürzt sich das Verfallsdatum rasant. (Bildnachweis: zvg)

So brachte Bild-Online die Messergeschichte über Jörg Kachelmann bereits am Samstag. 18 Stunden später ist sie der Aufmacher im SonntagsBlick, – ohne erkennbaren Mehrwert. Auf den Bildredaktionen ist man resigniert. Bilder der „blonden Frau“ oder von „Petra“ liegen auf dem (digitalen)  Leuchtpult, doch niemand wagt aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes eine Publikation.“ Schlapp-Schwanz-Alarm“ ist die Headline des SonntagsBlick, und dann findet man im Text noch den Urologen, unter dessen Messer man selbst lag.

Auf Seite 3 im SonntagsBlick bewunderte Philippe Pfister gemeinsam mit Sabine Wunderlin vor dem Kloster Einsiedeln den Mond als Scheibe. Vermutlich hatte Sabine die Kamera bereits im Auto, und so bleibt der poetische Text über Kinderschänder unillustriert.

Mangels anderer Aktualitäten bildet der SonntagsBlick auf Seite 4 einen BMW 745Li und ein Archivbild von Armin und Ruth Walpen ab. Das Auto ist typengleich zum früheren Dienstwagen des SRG-Direktors, den ein Autohändler aus Freiburg kaufte und ihn verpetzt hat. Der Schreibende war einmal Nachbar von Walpens in einem Berner Vorort, – nette, unkomplizierte Walliser. Schon damals stand ein hochkarätiger Audi auf dem Vorplatz, mit dem der damalige Chef-Jurist des Tages-Anzeigers nach Zürich pendelte. Nun möchten wir wissen, weshalb Walpen die Marke gewechselt hat. (Bildnachweis: Symbolbild, zvg)

Unsere Kollegen von Radio DRS haben in ihrer Presseschau von heute Vormittag bereits festgestellt, dass in der Sonntagspresse keine Perlen zu finden sind. Süss ist Christophe Darbellay mit seinem Baby Alex, fotografiert im SonntagsBlick von Philipp Zinniker. Ganz am Rande offenbart sich ein weiteres Geheimnis des Newsroom. Darbellay ist „Agrarwissenschafter“ und nicht „Agrarwissenschaftler“. Für Schweizer Themen sollte sich das grösste Verlagshaus des Landes auch Schweizer als Korrektoren leisten können.

Ricardo Funari reiste mit Marc Sway in den Norden von Brasilien (magazin zum SonntagsBlick). Quote: „Ich wurde farbenblind erzogen.“ Doch wir erfahren aus dem Text von Helmut-Maria Glogger, dass Sway „Tattoo- und Neurosen-frei“ sei. Funari war offensichtlich in Brasilien, Glogger bei einem Cola Light im Seefeld. So macht man Zeitungen.

Nochmals magazin zum SonntagsBlick. Qualitätsfotografie von Charly Kurz zum Interview von Peter Hossli mit Botschafter Peter Maurer. Und Stefano Schröter porträtiert Heinz Spoerli. Es ist definitiv das DAS bessere MAGAZIN. Der Einhefter von Coop (Fotograf noch nicht eruriert) bewirkt auch bei älteren Herren Frühlingsgefühle.

Gemäss sonntag.ch geht das Flagschiff NZZ mit der eigenen Partei FDP zu kritisch um. Nachgefragt betrifft dies auch die Bilder, die oft unpassend und mit banalen Legenden versehen sind. Die NZZ ist in Fachkreisen dafür bekannt, dass die klassische Arbeitsteilung von Text- und Bildredaktion und Layout oft ungewollt komisch wirkt. Während die berner Bären ihre eigene FB-Gruppe haben, sind wir als NZZ-Leser/innen nicht einmal gewerkschaftlich organisiert.

Alex Spichale fotografiert für sonntag.ch Postpräsident Peter Hasler. „Ich kannte die Post vorher nicht.“ sagt uns Hasler (63), und man glaubt es ihm aufgrund des Porträts. Dann folgt ein Beitrag über Susanne Wille beim Slummen in Mumbai. „Ich war mir dieser Problematik bewusst.“ Das Shooting von Patrizia Laeri in der Schweizer Illustrierten lehnt sich an den Film  Slumdog Millionaire an. Ein richtiger Slum ist die Location von SF DRS nicht, und die Inder, die Wille halb entblösst verpassten, werden die SI kaum kaufen.

Beim fruchtlosen Durchstöbern der Sonntagspresse landeten auch unsere Kollegen von Radio DRS für ihren Pressespiegel auf Seite 86 der NZZ am Sonntag. Da werden Ostereier vorgestellt (Foodfotografie Sandra Kennel?), und Jeroen van Rooijen übt sich in Stilberatung. Stilvoll wäre eine informativere Zeitung, obgleich dieNZZ am Sonntag im Kampf um kaufkräftige Leser/innen den Abstand zur Konkurrenz gemäss WEMF-Statistik vergrössern konnte.

Nicht finden konnten wir die Credits zum Bild von Max Frisch in New York von 1981 (Seite 28). Immerhin füllt es die halbe Einstiegsseite aus und vermittelt Frisch weit eindrücklicher als der kandidelte Textbeitrag des Literaturkritikers Andreas Isenschmid.

P.S. Dass Thomas Buchwalder fotointern.ch liest und nach dem Beitrag vom vergangenen Wochenende anregte, mehr über seine Shootings und weniger über ihn selbst zu schreiben, hat mich gefreut. Nur habe ich über den Beitrag von Sacha Ercolani in sonntag.ch gelästert, und nicht über Buchwalder selbst.

Buchwalder und ich sind in der Zwischenzeit FB-Freunde geworden, und stellten dabei fest, dass wir nur einen Katzensprung von einander wohnen, die Gipfeli beim gleichen Bäcker und die Zeitungen am gleichen Bahnhofkiosk einkaufen. Global Village Kloten.

Update: Liebe SMS- und FB-Freund/innen. Ich habe im Titel den Treueschwur geleistet, „Nichts über Carl Hirschmann“.

2 Kommentare zu “Shelf-Life im News-Journalismus, farbenblind und Nichts über Carl Hirschmann”

  1. Haue, wem Haue gebührt. Aber bei Wissenschafter/-ler liegt der Autor zu sehr bei den „tumben Schweizern von hinter den sieben Bergen“. Schon 1985 pplädierte Wolf Schneider in „Deutsch für Profis“ für die Abschaffung dieses beleidigenden, weil verkleinernden Ler-Unsinns. Der aktuelle Duden kennt das -ler nur noch als österreichische und schweizerische Marotte. Sie orientiert sich am mündlichen Gebrauch der lokalen Idiome. Gewissensfrage: Aus Politik wird Politiker oder Politikler? Aus Musik Musiker oder Musikler?

  2. @Werner Zuber Ur-Grosseltern waren Deutsche, Immigranten, Hufschmied und Pfarrerstöchter. Meine Verwandten im Raum Stuttgart sind die treusten. Doch Darbellay, den ich persönlich kennengelernt habe und sehr schätze, Deutschwalliser als „Agrarwissenschaftler“ zu bezeichnen, mochte ich nicht.

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