Urs Tillmanns, 14. Mai 2021, 14:00 Uhr

Mittelformat: Die 4 Kronjuwelen im Praxistest

Kameratests sind ein gängiges Mittel, um verschiedene Kameramodelle miteinander zu vergleichen, nicht zuletzt, um potentiellen Kaufenden eine Entscheidungshilfe zu bieten oder um eine Bestätigung zu bekommen, dass man beim Kauf seiner Kamera doch die richtige Wahl getroffen hat. Allerdings: Digitalkameras sind in den letzten Jahren so viel besser geworden, dass sich kaum noch nennenswerte Unterschiede ausmachen lassen.

Peter Schäublin und Christian Habermeier wollten in einem Test herausfinden, inwieweit sich die vier Mittelformat Topmodelle Fujifilm GFX100, Hasselblad H6D, Leica S3 und Phase One IQ4 unterscheiden. Der Aufwand war und wurde gigantisch, denn aus geplanten vier Tagen sind ein paar Wochen geworden, und um die Unterschiede zu sehen, haben die beiden rund 50 Meter Fotopapier für ihre Prints verbraucht – weil die Unterschiede in dieser Kameraklasse vor allem im Print beurteilt werden muss. Auf dem Monitor sieht man bei normaler Abbildung ohne zigfaches «Pixelpeeping-Vergrössern» so gut wie keine Unterschiede.

Wir haben Peter Schäublin zu diesem gigantischen Test ein paar Fragen gestellt:

 

Eine der Testszene zeigt verschiedene Objekte, wie sie für die Studiofotografie und den Einsatz solcher Kameras typisch sind.

Fotointern: Die Frage zum Endergebnis des Tests gleich vorweg: Gibt es Unterschiede in der Bildqualität dieser vier Topkameras?

Peter Schäublin: Ja, die gibt es, und zwar in drei Bereichen:
Auflösung: Das Spektrum reicht von der Leica S3 mit 64 Mpx über die Fujifilm 100GFX und die Hasselblad H6D mit je 100 Mpx bis zur PhaseOne IQ4 mit 150 Mpx. Die Auflösung hat natürlich einen Einfluss auf die Bildqualität. Allerdings ist er kleiner als erwartet
Farbmanagement: Wir haben logischerweise nur in RAW fotografiert, und obwohl drei der vier Kameras einen Sony-Sensor einverleibt haben, wirken die Bilder unterschiedlich, weil die Verrechnung der Daten unterschiedlich ist. Ein RAW-File ist also auch bereits eine interpretierte Datei, das geht gar nicht anders.
Zusammenspiel von Objektiv und Sensor: Hier reicht die Palette von einer eher härteren Wiedergabe bei der GFX100 über eine etwas weichere Wiedergabe bei Hasselblad und PhaseOne bis zur Leica, die weniger hart wirkt. Was einem am besten gefällt, ist Geschmackssache.

 

Dann wurde aber auch auf die Akurranz der Hauttöne grossen Wert gelegt

Man neigt ja dazu bei solchen Tests das Schwergewicht auf die Auflösung und die Schärfeleistung zu leben. Entscheidend für das Endresultat eines Bildes ist jedoch der ganz Workflow von Kamera, Objektiv, Software, Postproduktion bis hin zum Druck. Wir stark habt Ihr diese Parameter beim Test miteinbezogen?

Vom Moment, in dem das Licht durch das Objektiv tritt bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Bild auf dem Papier gedruckt ist, gibt es so viele Parameter, die einen Einfluss auf die Bildqualität haben:

Objektiv, Sensor, Verrechnung der Daten in der Kamera, Verrechnung der Daten in der Software, Bildbearbeitung, Ausgabegerät, Papier auf das gedruckt wird. Wenn Du Christian und mir dasselbe RAW-File gibst und einen Print bestellst, bekommst Du zwei verschiedene Resultate. Doch dieser ganze Workflow mit all seinen Parametern kann man in einem Test gar nicht abbilden. In unserem Testbericht weisen wir aber darauf hin, dass viele Faktoren das finale Bild beeinflussen.

 

Auch die Präzision des Autofokus war ein sehr wesentliches Testkriterium

Was hat sich als unerwartete Schwierigkeit beim Test ergeben? Welches waren die Überraschungen?

Wir wollten ja ganz bewusst nicht unter Laborbedingungen testen und haben damit gerechnet, dass jeder winzige Faktor einen Einfluss aufs Endresultat hat. Überrascht hat uns dann aber beispielsweise, dass sich – bedingt durch die verschiedenen Bauhöhen der Kameras – die Aufnahmewinkel bei der Fotografie ab Stativ teilweise minim verändert haben und dass diese kleinen Veränderungen im Aufnahmewinkel wesentlich mehr Einfluss auf die Bildwirkung hatten als die unterschiedlichen Sensorauflösungen.

Ebenfalls überraschend war, dass man höchst präzise fokussieren muss, wenn man einen Print von beispielsweise 300 x 200 cm machen will, der auch aus 20 cm Betrachtungsdistanz scharf wirken muss. Das ist mit diesen Kameras möglich. Doch selbst bei stärkerem Abblenden führt ein ungenaues Fokussieren zu Schärfeeinbussen. Wenn ich bei einer Person beispielsweise nicht exakt auf die Pupille sondern nur zwei Millimeter daneben fokussiere, macht sich das bei einem grossen Print im direkten Vergleich mit einem exakt fokussierten Bild bemerkbar.

 

So einfach dieses Testobjekt scheint, die Fokussierung auf die Krone der Uhr erwies sich als sehr heikel

Gab es auch bezüglich der Resultate Überraschungen?

Wie bereits erwähnt hat sich der Unterschied in der Auflösung nicht so stark auf die Prints ausgewirkt, wie wir das erwartet haben. Die Objektive und das Licht haben viel mehr Einfluss. Das war vielleicht die grösste Überraschung. Eine weitere Überraschung war, dass im Quervergleich eines Still Lifes sechs von zehn Testpersonen das Leica-S3-Bild als das stofflichste empfunden haben. Da stellt sich die Frage, ob die S3 als einzige Kamera mit einem anderen Sensorfabrikat anders wirkt. Das müsste man vertieft testen mit mehreren Motiven und mehr Testpersonen.

 

Mit in den Test einbezogen wurden realistische Szenen der Studiofotografie

Um alles auf einen Nenner zu bringen: Ist in dieser Kameraklasse eine Kamera, die viermal teurer ist auch viermal besser?

Nein.

Entscheidend für den Kauf einer Kamera ist ja nicht nur deren technische Leistung, sondern auch die Handhabung, das System und die Objektivauswahl.

Absolut. Diese Parameter werden den Systementscheid stark beeinflussen. Sehr entscheidend ist zudem die Frage, ob das Mittelformat in Ergänzung zu einem anderen System oder als einziges System eingesetzt wird. Wenn das Mittelformatsystem das einzige ist, ist meines Erachtens das Fujifilm-System im Vorteil, weil es aus meiner Sicht das vielseitigste ist. Auch das Hasselblad-X-System, das wir nicht im Test hatten, wäre dafür spannend. Wenn man mit zwei Systemen arbeitet, könnte man mit der Mittelformatkamera einen Kontrapunkt setzen und eine Kamera wählen, die einem ein langsameres Arbeiten vorgibt. Das würde für die Hasselblad H6D und die PhaseOne IQ4 und dann auch für die Leica S3 sprechen.

 

Eine erste Auswertung der Resultate erfolgte gleich im Studio, um in Zweifelsfällen eine Situation gleich wiederholen zu können

Nun spielt es ja auch eine Rolle, wofür man eine Kamera braucht. Die Handlichkeit ist in der Reportagefotografie vielleicht wichtiger als die Auflösung, um mit einer Kamera, die ich vor allem im Studio brauche, ist die Haptik weniger wichtig. Habt Ihr diese praktischen Faktoren mitberücksichtigt?

Keiner der Mittelformatkamera-Hersteller sieht sein System als reines Studiosystem. Und auch im Studio macht es mehr Spass, mit einer Kamera zu arbeiten, die einem liegt ;-). Deshalb – und darauf habe ich bereits in früheren Testberichten hingewiesen – müssen wir aufhören, Kameras nur über technische Daten zu definieren. Natürlich muss eine Kamera je nach Aufnahmezweck gewisse technischen Eckdaten erfüllen, aber die Menuführung, das Gefühl beim Arbeiten mit der Kamera, das Gesamthandling – das sind alles Faktoren, die mich entweder in meiner Inspiration unterstützen oder behindern. Diese Frage kann nur individuell beantwortet werden, und dafür muss man die Kamera ein paar Tage testen. Die Investition in eine Kameramiete lohnt sich dafür sehr. Aber ich denke sowieso, dass niemand einen fünfstelligen Betrag in ein Kamerasystem investiert, ohne es vorher zu testen. Christian hat diesbezüglich eine Überraschung erlebt, doch das kann man im Bericht nachlesen …

 

Um Differenzen zwischen den vier Topkameras feststellen zu können mussten die Tester weit in die Tiefe der Ergebnisse gehen. Die Qualitätsunterschiede sind minim. Viel wichtiger für die Kaufentscheidung ist die Handhabung der Kamera und ihr System 

Das Ergebnis auf Prints zu beurteilen, ist immer heikel, weil noch andere Faktoren hinzukommen, wie Interpolation und Optimierungen des Druckertreibers. Wie aufschlussreich waren die Prints?

Alle Prints zum Vergleichen der Unterschiede wurden über dieselbe Schiene mit dem gleichen Papier produziert. Von daher sind sie auf jeden Fall aufschlussreich. Aber natürlich: Nimmt man ein anderes Papier, wirkt der Schärfeunterschied unter Umständen weniger oder stärker. Aber wir konnten nicht noch mehr Papier verdrucken ;-).

 

Die Qualität der Bilddatei ist eine Sache, das Ergebnis auf dem Papier eine ganz andere. Die beiden Tester haben rund 50 Meter Fotopapier verbraucht. Die Resultate richtig zu interpretieren war nicht immer einfach.

Wir wollen zwar dem Artikel nicht vorgreifen, aber gab es unter den vier Topkameras, neutral betrachtet, eine Testsiegerin?

Nein. Es sind so viele Parameter, die eine Rolle spielen, dass man keine Kamera zur Siegerin erklären kann. Was man aber mit Sicherheit sagen kann: Alle vier Kameras liefern in normalen ISO-Bereichen Resultate, die unglaublich gut sind. Grosse Prints ab Daten von diesen Kameras sind meines Erachtens eine Klasse für sich.

 

Zum Test gibt es auch ein informatives Video

Nachdem Ihr dieses gigantische Projekt abgeschlossen habt, steht schon ein weiterer Test an?

Jetzt müssen wir erst mal durchatmen und die 50 Meter Papier archivieren, danach sehen wir weiter. Es hat riesig Spass gemacht, diesen Test nicht alleine, sondern mit meinem Freund Christian zusammen durchzuführen. Gut möglich, dass wir irgendwann wieder mal einen grösseren Test zusammen machen. Es sei darauf hingewiesen, dass uns keiner der Hersteller bezahlt hat und wir auch sonst in keiner Form für die vielen Stunden und das verbrauchte Material entschädigt worden sind.

Den ausführlichen Testbericht und einen Blick hinter die Kulissen gibt es auf www.720.ch/blog/test-the-best

 

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5 Kommentare zu “Mittelformat: Die 4 Kronjuwelen im Praxistest”

  1. Danke für den Vergleich. Leider hinkt er massiv. Ihr vergleicht den Output eines Systems. Auf diesem Niveau reicht das einfach nicht, auch wenn es in der Praxis leider untergeht. Wenn Ihr wirklich vergleichen wollt, dann muss es derselbe RAW-Konverter sein und was ganz wichtig ist: die Kameraprofile müssen identisch optimiert sein. Die Kameraprofile der GFX100 in Capture One weniger als suboptimal. Auch bei der GFX100s lässt sich noch viel herausholen. Die GFX100s ist vermutlich das aktuell beste System, da mit dem grössten Farbraum und optimal in Sachen AF. Die 1-Punkt-AF-Systeme sind einfach von vorgestern. Entweder man arbeitet mit 100 MP oder mehr und hat wirklich scharfe Bilder oder man schiesst auch mit 100 MP daneben. Also zurück auf Feld 1…

    1. Danke für dieses Feedback, Markus. Wie im Test beschrieben, ist der RAW-Konverter tatsächlich viel entscheidender wie ein paar Megapixel mehr oder weniger. Es hätte aber den Rahmen des Tests gesprengt, alle RAW-Konverter mit allen Kameras zu vergleichen. Aber vielleicht wäre das mal eine Art Folgeartikel, den Du verfassen könntest? Wie viele Autofokusfelder man benötigt, hängt stark davon ab, was man fotografiert. Aber es ist absolut richtig, dass sich kleine Fehler beim Fokussieren im Endergebnis, gerade bei grossen Prints, für die man ja die vielen Megapixel benötigt, stark bemerkbar machen.

  2. Zuber hats ja schon geschrieben: die Kameraprofile müssen identisch optimiert sein und dann sollte jeweils ein Objektiv gleicher Lichtstärke und beim Auslösen gleichgroßer Brennweite davor hängen.
    @Zuber Das GFX100s System ist sicher herausragend, nur fuji kommt mit seinen Linsen immer noch nicht ganz an die Leistung von Leica S3 und Hasslblad H6D heran. Der Dynamikumfang der Phase one spielt zudem in einer anderen Liga.
    Hautfarben gut u. schön, mir fehlen im Test Landschaftsaufnahmen bei bedecktem Himmel, um die Farbwerte wahrzunehmen. Jede Kamera der vier hat eigene Stärken. Der Mann hinter der Linse sollte überlegen, was er mit so einer Rakete genau machen will. Für Architektur /Produktfotos sind alle vier bestens. Für Portät und Modefotografie reicht eine Nikon Z 7II völlig.

    1. Das bisschen mehr Schärfe, resp. Dynamik (wenn man es denn ums Verrecken finden muss), rechtfertigen meiner Meinung nach in keiner Weise die gewaltige Preisdifferenz zu Fuji. Mal abgesehen davon, dass Fujis GFX-Serie ohne Fehl und Tadel ist, ist das Preis-/Leistungsverhältnis schlichtweg konkurrenzlos.

  3. „Für Architektur /Produktfotos sind alle vier bestens. Für Portät und Modefotografie reicht eine Nikon Z 7II völlig.“
    Hier verzweigt sich die Bewertung von Kamerasystemen ein weiteres Mal: wie werden die Ergebnisse verwendet? Die Masse der Onlineshops benötigt sicherlich keine digitale MF-Kamera. Die Nutzergruppe dieser Kameras ist überschaubar: wenige Profis in speziellen Bereichen und sehr solvente Amateure. Wenn es die letztere Gruppe nicht gäbe, wäre der Absatz vermutlich so klein, dass sich die technische Entwicklung kaum lohnen würde. Denn auch so reicht es – beispielsweise – deshalb nur zu dem kritisierten 1-Punkt AF …

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