Urs Tillmanns, 29. Juni 2023, 18:45 Uhr

Martin Parr Ausstellung im IPFO Haus der Fotografie in Olten

Die Bilder von Martin Parr, die in einer Retrospektive noch bis 10. September 2023 im IPFO Haus der Fotografie on Olten zu sehen sind, sind mehr als nur Bilddokumente von skurrilen Szenen. Es sind ebenso gesellschaftskritische wie humorvolle Momentaufnahmen mit einer stilistisch eigenen und treffenden Bildsprache.

Die Bilder von Martin Parr zeigen Moment des Alltags mit oft banalen Motiven, hinter denen sich jedoch meist eine sozialkritische, humoristische bis provokative Note verbirgt. Jeder Moment ist perfekt getroffen und dokumentiert einen Augenblick, der einmalig ist. Es ist nichts inszeniert oder geschönt, es sind Bilder, die eine ernüchternde Realität, oft auf ironische oder sogar zynische Art zeigen. In seinen Bildern mokiert er sich ebenso über das Luxusleben der Superreichen ebenso wie über den globalen Konsumismus oder über den exzessiven Massentourismus.

 

Skurrile Alltagszenen gehören zu den Lieblingsmotiven von Martin Parr (Pressebild IPFO / Magnum)

Die mehr als 200 beeindruckende Fotografien von Martin Parr, die in der Ausstellung «Parrathon» im IPFO Haus der Fotografie nach Olten zu sehen sind, sind thematisch in 14 Kategorien aufgeteilt, die sich über drei Stockwerke erstrecken. Ferner sind rund 220 ungerahmte Drucke sowie fünf fotografisch gestaltete Liegestühle ebenso Teil der Ausstellung, wie der Sonderduck der NZZ von 2003, der thematisch der Stadt Olten gewidmet ist.

 

Einige Highlights der Ausstellung «Parrathon»

Ein sehr frühes Thema von Martin Parr war «Bad Weather», zu dem sich in Grossbritannien und in Irland genügend Gelegenheit bietet. Die Serie ist eine charmante Bestandsaufnahme der Menschen, die ihrem Leben bei schlechtem Wetter nachgehen – eine anerkannte nationale Obsession.

 

Die Serie «The Last Resort» von Martin Parr bewegt sich zwischen Satire und Brutalität, in dem er einkommensschwache Familien porträtiert, die ihren Urlaub in einem kleinen, im Niedergang begriffenen Badeort in der Nähe von Liverpool verbringen.

 

Die Bildersammlung «Autoportraits» zeigt Porträts aus aller Welt, die von professionellen Fotografen, lokalen Amateuren oder in Fotoautomaten aufgenommen wurden. Von stark manipulierten Digitalfotografien über Studioaufnahmen vor exotischem Hintergrund bis hin zu kolorierten Porträts, zeigt diese Serie die Entwicklung von Martin Parrs ikonischer Ironie und seinem Humor.

 

Die Bilderreihe «Non Conformists» entstand Mitte der 1970er Jahre im malerischen Mühlenstädtchen Hebden Bridge in den Pennines in Yorkshire. Martin Parr dokumentierte während fünf Jahren die Stadt fotografisch und zeigte dabei insbesondere die Aspekte des traditionellen Lebens, die zu verfallen begannen.

 

Die Fotoserie «Bored Couples» zeigt gelangweilte Paare, die auf etwas zu warten scheinen und sich nichts (mehr) zu sagen haben. Ob diese zufällig fotografierten Paare gelangweilt sind oder ob der Grund des Schweigens eine tiefere Ursache hat, bleibt ein Rätsel. Parr hat sich auch mit seiner Partnerin fotografiert, die zwar den Anschein erweckt, gelangweilt zu sein, in Wirklichkeit aber sehr aufgeregt darüber war, dass dieses Foto in das Projekt aufgenommen wurde.

 

Für Martin Parr ist die Fotografie neben dem Tanz die wohl demokratischste Form des Ausdrucks. Im Rahmen seines Themas «Everybody Dance Now» fotografiert Martin Parr von São Paulo bis zu den schottischen Inseln seit mehr als fünfunddreissig Jahren temperamentvolle Tänzerinnen und Tänzer, Aerobic-Kurse und Tanztees.

 

Die Serie «Common Sense» ist eine Bildstudie über Massenkonsum und Verschwendung. Sie vereint alle Elemente, die Parrs Fotografie in den 1970er und 1980er Jahren prägten, und setzt seine obsessive fotografische Suche nach dem Vulgären, Kaputten und Absurden fort.

 

Jenseits der kulturellen Klischees Mexikos präsentiert Martin Parr eine fotografische Untersuchung der Konfrontation zweier visueller Kulturen auf den Strassen Mexikos: das volkstümliche Mexiko und das von den Marken und Ikonen der Vereinigten Staaten definierte Mexiko.

 

Im Auftrag der NZZ-Mediengruppe fotografierte Martin Parr 2003 für das im Juli 2003 erschienene NZZ Folio «Olten Einfach – Halt auf Verlangen». Es zeigt stadttypische Ansichten, vor allem des Verkehrsknotenpunktes, wobei die meisten der hier gezeigten Fotografien bisher unveröffentlicht waren.

 

Im langen Raum im 3. Stock sind gleich drei Bildserien zu sehen, die sowohl für das Schaffen von Martin Parr als auch für Grossbritannien typisch sind: «Think of England» ist ein witziger, meinungsstarker, liebevoll-satirischer Fotoessay über die Identität Englands. Mit seiner Serie «Establishment» setzt Martin Parr sein grosses Projekt fort, das britische Establishment, die Eliten, die das Land regieren, und ihren kuriosen Ritualen zu folgen. Und mit «Luxury» setzt sich Martin Parr mit dem Thema Wohlstand auseinander, einem weniger häufig dokumentarisch untersuchten (aber in seinen Augen ebenso sensiblen) Thema wie Armut. Im Einklang mit seinen früheren Projekten, die sich auf die Mittel- und Arbeiterklasse konzentrierten, wirft Parr einen kompromisslosen Blick auf die zurückhaltenden bis grotesken Kompositionen einer immer noch aufstrebenden internationalen Klasse, deren sozialer Code auf demonstrativem Konsum basiert.

Der heute 71-Jährige Martin Parr zeigt alltägliche Klischees, hält geschmackliche Entgleisungen fest und zeigt das Hässliche, das normalerweise als Motiv vermieden wird. «Wenn die Leute beim Betrachten meiner Bilder gleichzeitig weinen und lachen, dann ist das genau die Reaktion, die die Bilder auch bei mir hervorrufen» sagte Martin Parr über seine Bilder. «Die Dinge sind weder grundsätzlich gut noch schlecht. Ich bin immer daran interessiert, beide Extreme darzustellen.

Situationsbilder: Urs Tillmanns / Fotointern

Die Ausstellung «Parrathon»

Wann: 22. Juni bis 10. September 2023
(Mi 11 – 18 Uhr, Do/Fr 14 – 18 Uhr, Sa/So 11 – 17 Uhr)
Wo? IPFO Haus der Fotografie, Kirchgasse 10, CH-4600 Olten
Wie viel? Erwachsene CHF 15.00 / 10.00, Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre Eintritt frei.
Infos: https://www.ipfo.ch/

 

Über Martin Parr

Martin Parr (*1952) wuchs in Epsom, Surrey, einem Vorort von London, auf. Er studierte 1970 bis 1973 Fotografie an der Manchester Polytechnic und nahm danach neben seiner Beschäftigung als freier Fotograf immer wieder Lehraufträge als Dozent an. Seit 1994 ist er Mitglied bei der Agentur Magnum Photos, die er von 2013 bis 2017 präsidierte. 2017 gründete er die Martin Parr Foundation, welche seine Sammlungen, ein umfangreiches Archiv sowie eine Bibliothek und Ausstellungsräume beherbergt. Martin Parr lebt und arbeitet seit 1987 in Bristol. Er publizierte über 100 Bücher und präsentierte seine Werke auf mehr als 50 Ausstellungen.

 

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