Urs Tillmanns, 15. Februar 2020, 10:16 Uhr

Buchtipp: «The Glacier’s Essence»

Die Ausstellung im Kunsthaus Glarus (Fotointern berichtete) dauert nur noch bis 1. März 2020. Dann erinnert nur noch dieser Bildband an die beeindruckende Bilderschau, welche nicht nur die Radierungen von Martin Stützle und die grossformatigen Fotos von Fridolin Walcher verewigt, sondern auch mit den Begleittexten eindrücklich die Problematik der weltweiten Eisschmelze auf Grund des Klimawandels dokumentiert.

Das Buch ist mehr als nur ein Bildband. Ergänzt mit fünf aufschlussreichen Texten zum Thema und zu den Bildern, zum Klimawandel und zu dessen wissenschaftlicher Erforschung, ist die Publikation eine interessante und fundierte Informationsquelle zu einem Thema, das nicht nur die unendliche Eiswüste Grönlands in Gefahr bringt, sondern alle Eiszonen der Welt betrifft. Deshalb macht der fotografische Vergleich der Glarner-Gletscher und der Eisabbrüche in Grönland von Fridolin Walcher absolut Sinn.

Fridolin Walcher kennt die Glarner Gletscher, den Biferten und den Clariden, seit dem Kindsalter. «Damals war die Schmelzkante hier unten» erklärt er mir an einem eindrucksvollen Schwarzweissbild als wir zusammen die Ausstellung besuchten. «Und heute, ungefähr ein halbes Jahrhundert später, ist sie hier oben …» Seine Aussage schockiert und lässt das Bild von der steinernen Glarnerlandschaft jetzt in einem ganz anderen Licht erscheinen.

In den Weiten Grönlands wird der Rückgang des Eises erst offensichtlich, wenn man die heutige Landschaft mit früheren Aufzeichnungen vergleicht. Oder wenn man auf einem Panorama von Fridolin Walcher mitten in einer unendlichen Eisfläche einen Riss sieht, der das ganze Bild durchläuft und unaufhaltsam immer grösser wird … bis er eines Tages selbst zur Abbruchkante wird.

Wie schon in der Ausstellung ist auch im Buch die Gegenüberstellung der Radierungen von Martin Stützle mit den Fotografien von Fridolin Walcher ein sehr gelungenes Experiment. Der Eine interpretiert und gestaltet auf dem Skizzenblock, der Andere hält realistisch fest, wie sich ihm die Landschaft realistisch präsentiert. Fridolin Walcher ist noch einen Schritt weitergegangen und hat nach der Expedition noch eine Zeit lang bei der einheimischen Bevölkerung, bei den Inuits, verbracht, hat mit ihnen rohen Fisch und rohes Fleisch gegessen und ihre einfache Lebensweise in aussagestarken Bildern festgehalten. Grönland ist nicht nur eine öde Eiswüste, sondern es gibt auch Leben dort von einem Volk, das einen ständigen Existenzkampf mit den Elementen führt.

Neben den Skizzen von Martin Stützle und den Fotografien von Fridolin Walcher bietet das Buch noch einen weiteren, sehr wichtigen Inhaltsteil: die Texte der Kunstpublizistin Nadine Olonetzky, der Biologin Gabriela Schaepman-Strub, des Glaziologen Konrad Steffen, des Klima- und Umweltphysikers Thomas Stocker sowie einem Vor- bzw. Nachwort von Benedikt Wechsler, dem vormaligen Schweizer Generalkonsul in Dänemark. Sie alle gehen mit wissenschaftlich fundierten Texten und eigenen Erfahrungen auf eine Problematik ein, die sich nicht irgendwo im fernen Grönland abspielt, sondern die uns dereinst alle betreffen wird.

Für wen ist dieses Buch? Es ist einmal ein vorzüglich gestalteter Bildband, der an die wichtige Ausstellung im Kunsthaus Glarus erinnert und das themenbezogene Schaffen der beiden Künstler Martin Stützle und Fridolin Walcher verewigt. Dann ist es auch eine wertvolle Dokumentation zu den Folgen des Klimawandels, die nicht nur aus den Bildern hervorgehen sondern diese auch in den Texten der fünf Autoren mit kompetenten und beeindruckenden Aussagen belegt. Dies zu einem Thema, das uns alle angeht …

Urs Tillmanns

 

Buchbeschreibung des Verlages

Die Gletscher in den Alpen und auf Grönland schmelzen seit Jahrzehnten. Die globale Erwärmung beschleunigt ihren Schwund in alarmierendem Ausmass. Der Schweizer Geophysiker Alfred de Quervain (1879–1927) vermass als Erster den Glarner Claridengletscher und führte 1909 und 1912 bedeutende Forschungsexpeditionen nach Grönland durch.

Glarus und Grönland: Der Künstler Martin Stützle und der Fotograf Fridolin Walcher machten die Glarner Gletscher zum Thema ihrer Werke und begleiteten im Mai 2018 Schweizer Umweltwissenschaftler auf einer neuen Grönlandexpedition. Ihre Fotografien, Radierungen und Performances entstanden vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Fakten, sprechen jedoch die Sinne und Gefühle direkt an.

The Glacier’s Essence präsentiert die Essenz von Gletscherkernbohrung und Kunst und nimmt de Quervains Faden auf: Im Anschluss an ein Vorwort von Benedikt Wechsler, Schweizer Diplomat und Mitinitiator der Expedition von 2018, geben die Geografin und Evolutionsbiologin Gabriela Schaepman-Strub, der Glaziologe Konrad Steffen und der Klima- und Umweltphysiker Thomas Stocker Einblick in den neusten Stand ihrer Forschung. Die Kunstpublizistin Nadine Olonetzky beleuchtet Martin Stützles und Fridolin Walchers Arbeiten und die aktuelle Bewegung der Klimakunst.

 

Der Inhalt

Nadine Olonetzky «Bildproben und Kernfragen – Wahrnehmung im Anthropozän»

Thomas Stocker «Das Eis spricht»

Konrad Steffen «Grönland und der Meeresspiegel»

Gabriele Schaepmann-Strub «Die grüne Arktis»

Benedikt Wechsler «Glarus und Grönland – Synergien in Wissenschaft, Kunst und Diplomatie

Bildlegenden, Dank, Impressum

 

 

Die Autoren

Fridolin Walcher (*1951) ist in Braunwald/Glarus aufgewachsen und lebt in Nidfurn im Glarnerland. Nach seiner Tätigkeit als Reallehrer konzentrierte er sich als Autodidakt seit Anfang der 1990er-Jahre ganz auf die Fotografie. Für seine Buch- und Ausstellungsprojekte unternahm er längere Arbeits- und Stipendienaufenthalte auf vier Kontinenten. Seine Werke sind in diversen Sammlungen und Museen, etwa in der Fotostiftung Schweiz, und im öffentlichen Raum, vertreten. Er ist Mitbegründer der Agentur Lunax.ch, Mitglied der Vereinigung fotografischer Gestalterinnen (vfg) und Kurator des Raums für alpine Fotografie Im Kulturcafé Bsinti in Braunwald. Fridolin Walcher ist als freiberuflicher Fotograf tätig.

 

Martin Stützle (*1959) absolvierte eine Ausbildung an der Schule für Gestaltung Bern und eine Lehre als Steinmetz in Bern. Danach folgten kunstgeschichtliche Studien an der Universität Zürich sowie Weiterbildungen an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW) und in anderen Institutionen. Er Ist mit Arbeiten Im öffentlichen Raum und in Kirchen an verschiedenen Orten der Schweiz hervorgetreten. Seine Grafiken und Fotografien sind in Sammlungen, Stiftungen und Museen in der Schweiz, in Schweden und in Deutschland vertreten, unter anderem im Kupferstichkabinett Berlin I Staatliche Museen zu Berlin (SMB). Er lebt und arbeitet seit 2001in Ennenda im Kanton Glarus und ist Mitglied der Künstlergruppe Randlos.

 

Bibliografie

«The Glacier’s Essence»
Grönland – Glarus: Kunst, Klima, Wissenschaft
Künstlerische und wissenschaftliche Antworten auf existenzielle globale Herausforderungen
1. Auflage, 2020, Broschiert, Format 23 x 30.5 cm
272 Seiten, 137 farbige Abbildungen
Texte Deutsch, Englisch und Kalaallisut (Grönländisch)
Radierungen von Martin Stützle und Fotografien von Fridolin Walcher.
Mit Texten von Nadine Olonetzky, Gabriela Schaepman-Strub, Konrad Steffen und Thomas Stocker sowie einem Vorwort von Benedikt Wechsler
Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich
Preis; CHF 65.00 | EUR 58.00
ISBN 978-3-85881-665-8

Das Buch ist im Buchhandel oder direkt beim Verlag erhältlich und kann im Ausland hier bestellt werden.

 

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